Waren Sie am Wochenende auf dem Fußballplatz? Also nicht bei einem Bundesliga-Spiel, sondern hier bei uns. Irgendwo auf dem Dorfsportplatz, bei der Kreisliga – oder besser noch bei einem der zahlreichen Juniorenspiele im Bezirk. Haben Sie das Geschehen nicht nur mit offenen Augen, sondern auch mit offenen Ohren verfolgt? Sind Ihnen die verbalen Aussetzer noch in Erinnerung, die auf dem Platz und aus den Zuschauerreihen – meist mit Ziel „Schiedsrichter“ – zu hören waren?
Schlimm genug, was jedes Wochenende auf unseren Sportplätzen passiert, weil manche Zeitgenossen ihre Kinderstube und ihren Anstand zu Hause vergessen haben. Noch schlimmer war die Situation im Frühjahr 2013: Spielabbrüche nach Gewaltattacken gegen Schiedsrichter häuften sich, Rote Karten wegen Schlägen, Tritten oder Beleidigungen waren bei den Aktiven, aber auch im Jugendspielbetrieb, an der Tagesordnung. Eskaliert war die Situation am 20. April 2013. An jenem Samstag ging bei einem Spiel der B-Junioren im Kandertal ein 16-Jähriger – beim Stand von 5:0 – auf den Schiedsrichter los, stieß ihn zu Boden, trat und schlug nach dem Unparteiischen, der sich in ärztliche Behandlung begeben musste.
Weil diese Attacke das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht hatte, zückten die Verantwortlichen die Rote Karte. Vier Tage nach dem Vorfall fassten die Funktionäre im Bezirk Hochrhein den viel beachteten Beschluss, am Wochenende vom 26. bis 28. April 2013 sämtliche Spiele im Bezirk abzusagen.
Es war einfach zuviel passiert: „Die Vernünftigen in den Vereinen schaffen es nicht, die Deppen aus dem Verkehr zu ziehen“, schimpfte Ralf Brombacher aus Kandern, seit 2009 Schiedsrichter-Obmann und seit 2011 auch Stellvertretender Vorsitzender im Bezirk Hochrhein, damals im Gespräch mit unserer Zeitung: „Wir fordern mehr Respekt ein und setzen jetzt ein Zeichen.“
Schluss, Aus, Feierabend – zwischen Bad Bellingen und Jestetten rollte kein Ball. Menschen, die ehrenamtlich im regionalen Fußball tätig sind, aber auch Zuschauer – nicht selten mit ein Auslöser für unschöne Szenen auf dem Spielfeld – hatten plötzlich viel Zeit, um über die prekäre Situation nachzudenken.
Die Reaktionen waren zwiespältig. Manch Spieler oder Trainer fühlte sich zu Unrecht bestraft. Dass die Probleme gelöst werden müssen, sah die Fußballfamilie allerdings ein. Auf den Punkt brachte es damals der Schiedsrichter Francesco Natale: „Wenn ein Schiedsrichter nach Hause kommt und seiner Frau, Freundin oder den Eltern erklären muss, dass er wegen seines Hobbys verprügelt wurde, hört‘s einfach auf.“
Ralf Brombacher, seinerzeit von den Medien mit Anfragen überhäuft, ist heute überzeugt, dass das Zeichen von 2013 bei Vereinen und Fußballern erkannt worden ist: „Es war damals richtig, so zu handeln. Die Zahl der Spielabbrüche ging drastisch zurück. Vor allem solche, bei denen der Schiedsrichter im Mittelpunkt steht, gibt es kaum noch“, zieht er fünf Jahre später eine zufriedene Bilanz: „Das war damals unser Ziel. Also haben wir alles richtig gemacht.“
In der Tat haben Spielabbrüche seither eher Gründe wie Unwetter oder die verminderte Zahl einsatzfähiger Spieler. Nur selten noch eskaliert es auf dem Sportplatz. Aus jüngster Vergangenheit ist nur ein Polizeieinsatz in Weil am Rhein in Erinnerung. Dort wurde im Oktober 2016 ein Spiel der Kreisliga C vorzeitig beendet. Ein scheinbar unberechtigt gegebener Eckball löste erst Diskussionen und dann eine Massenschlägerei mit bis zu 30 Beteiligten aus.
Was sich aber seit 2013 kaum geändert hat, ist der Umgangston auf dem Sportplatz. Nach wie vor sind Schiedsrichter, aber auch Spieler, oft Zielscheibe zumindest verbaler Angriffe, die in ihrer drastischen Wortwahl nicht selten unter der Gürtellinie sind. Und noch immer schauen Vereinsverantwortliche betreten zur Seite, wenn sich eines ihrer Mitglieder daneben benimmt, weil der Schiedsrichter einen Einwurf, einen Eckball oder ein knappes Abseits falsch entschieden hat. Im Umgang mit respektlosen und unvernünftigen Zeitgenossen ist fünf Jahre nach der Spieltag-Absage noch reichlich Luft nach oben.
Brombacher sieht den Fußball auf dem richtigen Weg: „Wir müssen im Dialog bleiben. Es braucht ein Miteinander von Spielern, Clubs und Schiedsrichtern.“ Im Bezirk werde viel getan: „Wir gehen in Vereine, bieten Regelkunde für die Spieler an.“ Für den 45-Jährigen ist Respekt wichtig, doch „Friedhofsatmosphäre“ erwarte kein Schiri: „Es darf auch mal Unmut sein. Nur müssen Grenzen eingehalten werden.“
„Es ist manchmal nicht zu fassen, was sich unsere jungen Schiedsrichter von draußen anhören müssen“
Seit 2005 ist Werner Bolte (64) aus Lörrach als Sportrichter für den Juniorenfußball im Bezirk Hochrhein tätig. In dieser Zeit sammelte er viel Erfahrung, vor allem in Sachen „Umgang miteinander“ auf dem Fußballplatz.
Werner Bolte, Sie waren 2013 bei der generellen Absage aller Fußballspiele als Sportrichter nah dran am Geschehen. Was war denn damals passiert?
Auslöser für die Entscheidung im Bezirksfußballausschuss war eine Attacke eines Jugendspielers auf den Schiedsrichter bei einem Spiel der B-Junioren.
Schlimm genug! Aber war es denn wirklich nötig, sämtliche Fußballer des Bezirks quasi in Sippenhaft zu nehmen?
Einspruch – diese Spieltag-Absage war keine Bestrafung! Es wurden Spiele abgesagt und später nachgeholt. Sinn und Zweck der Aktion war, den Geschehnissen jener Wochen endlich Einhalt zu gebieten. Spieler und Verantwortliche bekamen Zeit zum Nachdenken.
War es denn so wirklich schlimm?
Was sich damals an Vorkommnissen summierte, war heftig. Spielabbrüche und Rote Karten für Tätlichkeiten und Beleidigungen gegen Schiedsrichter und Spieler häuften sich. Es brauchte eine Reaktion. Schließlich standen wir Funktionäre auch unter dem Eindruck des zu Tode geprügelten Linienrichters in Holland vom Dezember 2012.
Und wie war die Reaktion nach dem abgesagten Spieltag auf den Plätzen?
Ich kann jetzt nicht behaupten, dass die Zahl der Strafen spürbar zurückgegangen wäre. Foulspiel und Fehler bei der Spiel-Verwaltung wird es immer geben. Was im Juniorenfußball zurückgegangen ist, ist die Zahl der Spielabbrüche, bei denen Gewalt angewendet wird. Allerdings fiel mir etwas anderes auf.
Was da wäre?
Interessanterweise gibt es bei den Junioren unter der Woche im Verhältnis mehr Rote Karten, als am Wochenende.
Wie erklären Sie sich das?
Ich bin davon überzeugt, dass das mit dem Druck zu tun hat, dem Jugendliche in Schule oder Ausbildung ausgesetzt sind. Spielen sie mittwochs, kommen sie oft direkt von der Schule oder aus dem Betrieb zum Spiel. Dann ist noch Dampf im Kessel. Wird samstags oder sonntags gespielt, sind sie entspannter.
Sind die Zustände auf den Sportplätzen auch ein gesellschaftliches Problem?
Schon. Es fällt manchen Zeitgenossen offensichtlich schwer, der ehrenamtlichen Tätigkeit den nötigen Respekt entgegenzubringen. Es ist für Spieler, Trainer aber auch Zuschauer mühsam, zu akzeptieren, dass da einer 90 Minuten lang etwas mehr als sie zu sagen hat.
Also hat die restriktive Maßnahme von 2013 letztlich nicht viel gebracht?
Doch schon. Ich bin davon überzeugt, dass ein wichtiger Effekt war, dass sich heute mancher Beteiligte überlegt, ob er im Eifer des Gefechts einfach den Mund hält, wenn der Schiedsrichter vielleicht einen Fehler gemacht hat. Denn Fehler dürfen alle mal machen – Schiedsrichter, Spieler und Trainer.
Wie stellt sich fünf Jahre danach für Sie die Situation im Nachwuchsfußball dar?
Es ist nach wie vor Luft nach oben. Wir haben im Juniorenfußball viele junge Schiedsrichter, die ihre ersten Schritte machen. Ihnen muss Respekt entgegengebracht werden. Es ist teils nicht zu fassen, was sich Jung-Schiedsrichter auf Plätzen anhören müssen – weniger von Spielern, als von Müttern und Vätern.
Ist es tatsächlich so schlimm?
Wir hatten in dieser Saison bereits vier Spielabbrüche, weil Mannschaften vom Feld genommen wurden – auch bei den E-Junioren. Kürzlich war ich bei einem Spieltag der F-Junioren, das sind Kinder zwischen sechs und acht Jahren. Was da von manchen Eltern ins Spielfeld gerufen wird, glaubt Ihnen kein Mensch.
Fragen: Matthias Scheibengruber