Elektronische Tanzmusik (Electronic Dance Music, kurz EDM), ist das nicht was für eine Techno-Party im Berliner Szene-Club Berghain? Das muss man mögen. Und vielleicht ein abgefahrenes Outfit anhaben, damit man am Türsteher vorbei kommt. Doch dieser Eindruck täuscht: EDM bezeichnet nichts weniger als tanzbare Musik, gemacht für die Massen – und das mögen naturgemäß viele. Selten funktioniert diese Musik besser als in dem Sommer, wenn Menschen endlich wieder Festivals besuchen können. Dicht an dicht mit einem fetten Grinsen im Gesicht, als hätte es die Corona-Pandemie nicht gegeben.

Feiern bei bestem Sommerwetter wie hier bei Giant Rooks: Nach einigem Regen am Donnerstag und Freitagmorgen ist eitel Sonnenschein beim ...
Feiern bei bestem Sommerwetter wie hier bei Giant Rooks: Nach einigem Regen am Donnerstag und Freitagmorgen ist eitel Sonnenschein beim Openair St. Gallen. | Bild: Arndt, Isabelle

Beim Openair St. Gallen strömten an vier Tagen insgesamt 110.000 Besucher ins Sittertobel. Die ersten standen dafür schon am Dienstag um 6 Uhr an – viel zu früh, denn eigentlich sollte es erst Donnerstagabend losgehen. Und wofür das Ganze? Für ganz viel Tanzmusik. Nicht nur EDM, schließlich standen auch Muse, Deichkind oder Annenmaykantereit auf dem Programm. Doch wo vor drei Jahren noch Die Ärzte rockten, legt jetzt Alan Walker auf.

Der Effekt: Endlich nicht mehr nachdenken

Der britisch-norwegische DJ schafft es bei seiner Rückkehr, selbst geschundene Körper in Bewegung zu setzen. Selten kommt das Festival in St. Gallen ohne Regen und Matsch aus, fast traditionell stapft man am Freitag am besten in Gummistiefeln über das Gelände. Am Samstag bleibt etwas Matsch und paart sich mit viel Sonne.

Da kann man schon mal müde werden, wenn der DJ auch noch 30 Minuten später als geplant ans Pult tritt – aus 0.30 Uhr wurde 1 Uhr, offenbar dauerte der Abbau von Vorgänger Muse länger als geplant. An der Wirkung ändert das nichts: Endlich nicht mehr nachdenken, nicht mehr mit Alltagssorgen oder Corona-Blues kämpfen. Einfach tanzen. Den Moment genießen. Feiern.

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Jeder zweite Mensch hat diesen Song schon einmal gehört

Wie viele Menschen sich danach sehnen, zeigen Zahlen: Alan Walker hat 42 Millionen Abonnenten bei YouTube, sein größter Erfolg „Faded“ wurde bisher 3,3 Milliarden Mal abgerufen. Statistisch hat also jeder zweite Mensch dieser Erde schon einmal den melancholischen Abschied miterlebt, der in dem Song besungen wird. Ja, da wird gesungen! Es klingt ein bisschen mystisch, da die hohe Frauenstimme hauchend fragt, ob alles nur Fantasie war. Tanzbar wird es dank der schnellen elektronischen Beats, die längst nicht mehr EDM vorbehalten sind: Ähnlich wie zuletzt Deutschrap hat die elektronische Tanzmusik sich schon in den Jahren zuvor ausgebreitet.

Mythos dank Maskerade? Der bekannte DJ Alan Walker verbirgt sein Gesicht meist hinter Maske und Kapuze.
Mythos dank Maskerade? Der bekannte DJ Alan Walker verbirgt sein Gesicht meist hinter Maske und Kapuze. | Bild: Arndt, Isabelle

Dabei sprengt das Genre so manches Schubladendenken: Manchmal leihen Stars wie Justin Bieber oder Rihanna den Songs von Alan Walker ihre Stimme. Manchmal stammt die Melodie aus einer Zusammenarbeit mit dem legendären Filmkomponisten Hans Zimmer. Und manchmal macht der DJ einfach sein eigenes Ding.

DJs sind auch bei klassischen Festivals beliebt

Kein Wunder, dass die Macher des Openair St. Gallen nach 2017 erneut Alan Walker ins Sittertobel holten. Ein DJ als Headliner hat auch bei klassischen Festivals, die verschiedene Musikgeschmäcker bedienen, zuletzt gut funktioniert: Beim Southside in Neuhausen ob Eck legte 2019 Steve Aoki zur Primetime auf, in diesem Jahr übernahm Martin Garrix. Auch beim Openair St. Gallen war 2019 mit Diplo ein DJ an prominenter Stelle am Start.

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Das künstlerische Talent bleibt trotz großer Reichweite bei Alan Walker eher im Verborgenen: Keine große Feuershow wie bei Muse, keine Choreographie wie bei Deichkind, kein Bad in der Menge wie bei Marteria.

Die Kunst ist nicht auf den ersten Blick sichtbar

Auch die Kunst spielt sich eher im Studio ab als auf der Bühne: Kein Live-Gesang mit Instrumenten wie bei Annenmaykantereit, keine E-Gitarren-Solos wie bei Muse und keine tiefgründigen Texte, die jedem Fan auf der Zunge liegen. Wenn Alan Walker spricht, dann stößt er eher ein „Let‘s go“ oder „Put your hands up“ hier und da aus, um die Stimmung anzuheizen.

Vor Alan Walker steht die britische Band Muse auf der Bühne. Die Maske fällt in den nächsten Minuten, die Feuereffekte bleiben eindrücklich.
Vor Alan Walker steht die britische Band Muse auf der Bühne. Die Maske fällt in den nächsten Minuten, die Feuereffekte bleiben eindrücklich. | Bild: Arndt, Isabelle

Dabei ist er kaum zu sehen: Auf den Bildschirmen läuft eine Videoanimation und selbst wer einen Blick hinters Pult erhascht, sieht dort nur viel Schwarz. Denn der DJ trägt nicht nur eine Maske bis über die Nase, sondern zieht sich auch eine Kapuze ins Gesicht. Das sorgt für ein bisschen Mythos, ähnlich wie bei Daft Punk oder dem deutschen Rapper Cro.

Der Mythos ist nach einer Internet-Recherche aber schnell entzaubert, denn der DJ hält abseits der Bühne durchaus sein Gesicht in die Kamera. Warum dann die Maskerade? Wenn er auflegt, gehe es ihm um Zusammengehörigkeit.

Nicht der Star hinterm Pult, sondern einer von ihnen

Alan Walker will nicht der Star hinterm Pult sein, sondern einer von ihnen. Die Stimme seiner Generation, wie der 24-Jährige bei YouTube schreibt. Dafür brauchte er nicht viel mehr als einen Laptop und ein glückliches Händchen. Für den Rest sorgen mitreißende Melodien und brummende Bässe, wofür er auch mal Abba-Klassiker oder den Dance-Klassiker „Blue“ von Eiffel65 untermischt.

Alan Walker ist in St. Gallen eher aus der Ferne zu sehen. Was nicht fehlen darf: Effekte wie dieser.
Alan Walker ist in St. Gallen eher aus der Ferne zu sehen. Was nicht fehlen darf: Effekte wie dieser. | Bild: Arndt, Isabelle

Ein bisschen Show darf aber natürlich nicht fehlen, wenn die verborgene Kunst auf die Bühnen dieser Welt kommt: Wie bei vielen DJ-Auftritten unterstreichen Flammen immer wieder die Wucht der Musik. Damit sich auch der letzte Körper vor der Bühne in Bewegung setzt.

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