Hat die reiche Schweiz zu viel Zuwanderung zugelassen? Für die nationalkonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) steht die Antwort fest: Das Maß ist voll. Die knapp neun Millionen Menschen, die derzeit in der Schweiz leben, sind genug. „Heute kommen zu viele und die falschen Ausländer“, schimpft SVP-Präsident Marcel Dettling.

Damit die Schweiz in Zukunft von einer „maßlosen, ungeregelten“ Migration verschont bleiben wird, hat die stärkste Partei des Landes eine Volksinitiative gestartet: „Die ständige Wohnbevölkerung der Schweiz darf zehn Millionen Menschen vor dem Jahr 2050 nicht überschreiten“, fordert die Initiative. Der Vorstoß könnte die Schweiz von Deutschland und den anderen EU-Staaten weiter entfernen.

Die Nationalflagge der Schweiz (rechts) weht neben der Flagge der EU: Der Vorstoß der SVP könnte die Schweiz von Deutschland und den ...
Die Nationalflagge der Schweiz (rechts) weht neben der Flagge der EU: Der Vorstoß der SVP könnte die Schweiz von Deutschland und den anderen EU-Staaten weiter entfernen. | Bild: Patrick Pleul/dpa

Die Schweizer Stimmbevölkerung soll die Abschottungs-Strategie nach dem Willen Dettlings so bald wie möglich gutheißen. Immerhin schaffte es die SVP, die nötigen Unterschriften für die Initiative „Keine 10-Millionen-Schweiz“ und damit eine Volksabstimmung mühelos einzusammeln. Eine angenommene Volksabstimmung führt in der Eidgenossenschaft zu einer Änderung der Verfassung.

Schweizer Medien berichten schon jetzt ausgiebig von dem jüngsten Coup der Rechtspopulisten, der dem Land einen weiteren rauen Abstimmungskampf bescheren dürfte. Wann die Abstimmung stattfinden wird, steht noch nicht fest. Die „Kompetenz zum Beschluss“ liegt bei der Regierung, teilt die SVP auf Anfrage mit.

Was die SVP will

Im Kern verlangt die SVP: Falls die ständige Wohnbevölkerung der Schweiz vor 2050 die Zahl von neuneinhalb Millionen Menschen überschreitet, müssten Regierung und Parlament „insbesondere im Asylbereich und beim Familiennachzug“ einen harten Kurs fahren. Vorläufig Aufgenommene sollen keine Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung, kein Bürgerrecht und kein anderes Bleiberecht mehr erhalten.

Wächst die Wohnbevölkerung dennoch zur Jahrhundertmitte auf über zehn Millionen Menschen, müsste die Politik eine Vollbremsung hinlegen, so die Forderung. Internationale Übereinkommen wie der Uno-Migrationspakt wären zu kündigen. Letztlich hätte die Schweiz auch die Verpflichtung, das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU zu kippen.

Tatsächlich zieht die Schweiz viele Menschen aus anderen Teilen der Welt an: In den vergangenen Jahren stieg der Anteil der Ausländer an der ständigen Wohnbevölkerung kontinuierlich an. Der Wert betrug 2023 rund 27 Prozent. Im europäischen Vergleich ist das ein hoher Wert, den die SVP warnend anprangert.

Ohnehin führt die Partei seit Jahrzehnten eine Dauerkampagne gegen Fremde. Zugewanderte, so behauptet die SVP, hätten „faktisch alle Probleme, unter denen die Schweiz leidet“, zu verantworten: von der Wohnungsnot über den überlasteten öffentlichen Verkehr bis hin zu steigender Kriminalität.

Das sagen Gegner der Initiative

Experten wie der Freiburger Zeithistoriker Damir Skenderovic werfen der Volkspartei vor, eine „klassische Sündenbock-Politik“ zu betreiben: „Sie schürt Abstiegsängste in der Mitte der Gesellschaft und stellt Migrierende und Geflüchtete als Gefahr für den Wohlstand dar, die es mit ihr abzuwehren gilt.“

Die zweitstärkste Partei der Schweiz, die Sozialdemokraten, lehnen die SVP-Initiative „resolut“ ab. Sie begreifen sich als „Garant, um der SVP-Stimmungsmache gegen Ausländerinnen und Ausländer Paroli zu bieten“. Die Schweiz solle „Menschen auf der Flucht Schutz vor Verfolgung und Gewalt bieten“.

Auch die Regierung, der Bundesrat, dürfte sich schon aus volkswirtschaftlichen Gründen gegen das starre SVP-Migrationsregime wehren. Die Unternehmen seien auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen, sagt Samuel Wyss, Sprecher des Staatssekretariats für Migration, dem Sender SRF. „Die Zuwanderung hilft also mit, den Arbeitskräftemangel abzufedern.“

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Die einflussreiche „Neue Zürcher Zeitung“ schlägt ähnliche Töne an, die Schweiz profitiere zumal von den Abkommen mit der EU: „Die Personenfreizügigkeit hat entscheidend dazu beigetragen, dass sie ihren Wohlstand weiter ausbauen konnte.“

Und: Falls sich die Bevölkerung der Schweiz immer weiter vergrößern sollte, sehen Forscher sogar Chancen. Die Immobilienökonomin Sibylle Wälty von der Eidgenössischen Technischen Hochschule entwickelte das Konzept der „10-Minuten-Nachbarschaften“: Nach diesem Konzept sollen mehr Menschen in Städten leben und die wichtigsten Einrichtungen könnten zu Fuß erreichbar sein.