Die Schweizerin Karin Keller-Sutter will stets nach oben. Im kommenden Jahr wird Helvetiens Finanzministerin den Höhepunkt ihrer Laufbahn erklimmen: Keller-Sutter (61) von der liberalen FDP übernimmt am 1. Januar die Position der Schweizer Bundespräsidentin. „Die inoffizielle Chefin ist jetzt auch die offizielle“, betonte die „Neue Zürcher Zeitung“ nach der Wahl im Parlament.

Das „St. Galler Tagblatt“ notierte mit einer Prise Stolz: Keller-Sutter, die aus dem östlichen Kanton St. Gallen stammt, „gilt bereits als einflussreichste Politikerin des Landes“. Spätestens bei dem Krimi 2023 über die taumelnden Großbank Credit Suisse erwarb sich Keller-Sutter den Ruf als zupackende und kühle Strategin: Die Finanzministerin begleitete die Übernahme der Credit Suisse durch die Konkurrentin UBS. Dadurch half „KKS“ eine große Bankenkrise zu vereiteln.

Zwar läuft die Amtszeit der Schweizer Bundespräsidenten nach einem Jahr wieder ab. Und sie sind nicht wie die Bundespräsidenten in Deutschland oder Österreich das Staatsoberhaupt. Aber die Bundespräsidenten des Landes leiten die Sitzungen der Regierung, des siebenköpfigen Bundesrates, und sie repräsentieren das Land nach außen. Und wenn es sich bei der Bundespräsidentin um eine starke Persönlichkeit wie Keller-Sutter handelt, kann sie durchaus etwas bewegen.

Schwester von drei älteren Brüdern

„Die Bundespräsidentin sorgt dafür, dass der Bundesrat seine Aufgaben rechtzeitig, zweckmäßig und koordiniert an die Hand nimmt und abschließt“, zitierte KKS anlässlich ihrer Wahl den entsprechenden Gesetzestext. Somit stellte sie klar, wer in den nächsten zwölf Monaten den Ton in der Schweizer Regierung angeben wird. Nach traditioneller Manier setzt die neue Chefin auch auf Ausgewogenheit und Kooperation: „Wir wissen aus Erfahrung, dass die wirklichen Lösungen nicht im Kontrast liegen, sondern im Kompromiss.“

Das Parlament während seiner Sitzung im Dezember im Schweizer Parlamentsgebäude in der Hauptstadt Bern.
Das Parlament während seiner Sitzung im Dezember im Schweizer Parlamentsgebäude in der Hauptstadt Bern. | Bild: FABRICE COFFRINI/AFP

Im kommenden Jahr warten große Herausforderungen auf die Schweiz, bei denen sich die verheiratete Keller-Sutter beweisen kann. Die Kassenchefin wird auch als Bundespräsidentin ihrem Credo treu bleiben: „Solide Finanzen sind eine Voraussetzung für einen starken, souveränen und sozialen Staat.“

Die Schweiz soll der EU Geld überweisen

Keller-Sutter muss auch die neuen Vereinbarungen mit der EU im Schweizer Parlament und vor der Bevölkerung verteidigen. Bei einem Punkt dürfte sie sich schwertun: ausgerechnet beim Geld. In den Verhandlungen mit Brüssel gab die Schweizer Regierung erheblich nach: Von 2030 bis 2036 soll Bern jährlich einen Betrag von 350 Millionen Franken (376 Millionen Euro) an die EU überweisen. Derzeit zahlt das Nicht-EU-Mitglied Schweiz deutlich weniger. Den Betrag entrichtet das Land praktisch als Eintrittspreis zum EU-Binnenmarkt. „Oft braucht es ein Geben und Nehmen, um zu Lösungen zu kommen“, erläutert Keller-Sutter.

Ihren Pragmatismus eignete sich Keller-Sutter schon als Kind an: Im Restaurant ihrer Eltern lernte sie, dass man nur das ausgeben kann, was man einnimmt. Als Schwester von drei älteren Brüdern formierte sie früh ihren Behauptungswillen. Auch ihr Musikgeschmack lässt auf eine gewisse Härte ihres Charakters schließen: Sie steht auf den Punkrock von The Clash.

Ihr Engagement für andere begann als Klassensprecherin der Kantonsschule. Während des Studiums wurde sie Vorsitzende der Fachschaft. „Nicht weil ich eine Streberin bin – ich habe einen großen Gerechtigkeitssinn“, erläuterte sie gegenüber der „Schweizer Illustrierten“.

Der Einstieg in die Politik gelang der Übersetzerin, Dolmetscherin und Lehrerin mit 29 Jahren: Sie wurde Gemeinderätin in ihrer Heimatstadt Wil. Später folgte der Sprung ins Parlament und in die Regierung von St. Gallen. 2011 betrat sie als Ständerätin die nationale Bühne, zog 2019 als Justizministerin in die Regierung ein und übernahm später das Finanzressort.