Die Pandemie ist vorbei. Das zumindest ließ die Aufhebung fast aller Corona-Infektionsschutzmaßnahmen in der Schweiz Mitte Februar vermuten. Bis auf die Maskenpflicht in Krankenhäusern und Pflegeheimen sowie in öffentlichen Verkehrsmitteln gelten in der Schweiz seit dem 20. Februar keinerlei Einschränkungen mehr. Am 7. März stellte die Covid-Taskforce schon wieder einen Negativtrend fest. Seit Ende Februar steigen die Zahlen wieder, die Ansteckungen nehmen exponentiell zu.
„Die Zunahme an Fällen ist ganz klar auf die Aufhebung der Maßnahmen zurückzuführen“, sagt der Infektiologe Andreas Cerny, der eine Klinik im Tessin leitet. Wenig hilfreich sei auch die Verkürzung der Isolation von Infizierten auf fünf Tage, „obwohl man weiß, dass die Hälfte der Infizierten nach fünf Tagen noch ansteckend sind“, so der Experte.
Hohe Inzidenzen in der Schweiz
Mit mehr als 29.000 Neuinfektionen pro Tag liegt die Sieben-Tage-Inzidenz in der Schweiz mit 2133,4 immer noch deutlich höher als hierzulande. In Baden-Württemberg beträgt die Inzidenz 1927,1.
Das dürfte auch durch die niedrigere Impfquote in der Schweiz bedingt sein. Nur 69,1 Prozent der Eidgenossen sind vollständig geimpft, geboostert nur 41,7 Prozent. Betroffenen sind teils aber auch geboosterte Menschen, „was natürlich demoralisiert, weil man gehofft hat, dass Menschen, die alles getan haben, um sich zu schützen, nicht betroffen sind“, so Cerny.
Nach dem jüngsten Bericht der Covid-Taskforce, dem Beratungsgremium des Schweizer Bundesrats, stecken sich auch wieder vermehrt über 60-Jährige an. Dies könne zu einem erneuten Anstieg bei den Hospitalisierungen führen, warnte die Taskforce. Tatsächlich sind die Krankenhauseinlieferungen von Covid-Patienten seit Ende Februar wieder gestiegen, aktuell gehen sie aber wieder leicht zurück.

„Die Schutzwirkung lässt mit der Zeit nach und ist gegen Omikron einfach weniger gut“, erklärt Cerny das Phänomen. So seien Geimpfte nur noch zu etwa 30 Prozent gegen eine Infektion mit der neuen Subvariante BA2 geschützt. Gegen schwere Verläufe helfen die Impfungen aber immer noch mit einer Wirksamkeit zwischen 60 und 70 Prozent, erklärt Cerny.
Dass sich die Subvariante von Omikron, BA2, nun verstärkt ausbreite, sorge für eine neue Welle in der Schweiz, so der Infektiologe. „Die Variante wird durch die Bevölkerung gehen ähnlich wie Omikron“, prognostiziert Cerny.
Mehr Covid-Patienten in Krankenhäusern zu erwarten
Mit einem Anstieg der Krankenhauseinlieferungen und auch mehr Covid-Patienten auf den Intensivstationen sei zu rechnen, ergänzt er. Teils sei dies bereits zu beobachten. Die Gefahr von schweren Verläufen, die im Krankenhaus behandelt werden müssen, sei zwar geringer als bei den bisherigen Wellen. Ob der hohen Fallzahlen werde es aber zwangsläufig auch wieder mehr schwere Verläufe geben, erklärt der Infektiologe. Deshalb müsse man auch mit mehr Toten rechnen, die Fallzahlen steigen bereits.
Ohnehin dürfte die Dunkelziffer an Infektionen deutlich höher liegen: Weil in der Schweiz kein Covid-Zertifikat über Test- oder Impfstatus benötigt wird, nimmt auch der Anreiz ab, sich testen zu lassen. Doch der Anteil der positiven Tests liegt bei mehr als 48 Prozent – fast jeder Zweite, der sich testen lässt, ist also infiziert. „Das zeigt, dass das Virus deutlich stärker vorherrscht, als man denken würde“, schließt Cerny.
Wiedereinführung der Maskenpflicht sei notwendig
Die Testpflicht beziehungsweise 3G-Zutrittsbeschränkungen wieder einzuführen, hält Cerny aber für den falschen Weg. Nur, wenn sich alle testen ließen, hätte man eine Chance. „Das wird politisch aber sehr wahrscheinlich nicht umgesetzt werden.“
Aus virologischer Sicht sei in jedem Fall die Wiedereinführung der Maskenpflicht in Innenräumen notwendig. Doch auch dafür sieht Cerny wenig Chancen. Tatsächlich will der Bundesrat Ende des Monats darüber entscheiden, die in Krankenhäusern, Pflegeheimen und öffentlichen Verkehrsmitteln noch geltende Maskenpflicht ebenfalls aufzuheben – abhängig vom Verlauf der Pandemie.
Zudem löst sich Ende März die Covid-Taskforce auf. Auch das hält Cerny für verfrüht. Die neuen Varianten sollten weiterhin von Experten beobachtet und analysiert werden. „Die Schweiz hat zugesehen, wie die Zahlen nach oben gingen, wie das Karnickel vor der Schlange“, sagt Cerny über die bisherige Corona-Politik der Schweizer Regierung. „Diesen Fehler sollten wir nicht erneut begehen“, mahnte der Infektiologe.
Mittelfristig erwartet aber auch Cerny, dass das Virus zum saisonalen Erreger wird – über den Sommer dürfte es „ruhiger werden“, vermutet der Experte. Mit der nächsten kalten Jahreszeit aber dürfte Corona erneut auf dem Plan stehen.