Warum können Fachleute eine Katastrophe wie in Blatten nicht besser vorhersagen?

Mylène Jacquemart: Grundsätzlich können wir nicht jede Ecke der Alpen überwachen. Das ist unmöglich. An neuralgischen Punkten wie dem Kleinen Nesthorn, das abgestürzt ist und die Katastrophe auslöste, haben die kurzfristig installierten Messstationen rechtzeitig die Steinbewegungen erkannt. Das führte schließlich zu der rechtzeitigen Evakuierung der Bevölkerung. Das ganze Ausmaß eines Naturereignisses wie im Lötschental ist aber nicht langfristig vorhersehbar.

Dr. Mylène Jacquemart
Dr. Mylène Jacquemart | Bild: ETH Zürich

Können die Fachleute mit ihren Geräten in die Berge hineinsehen?

Jacquemart: Nein. Wir können auch nicht unter einen Gletscher sehen. Man kann nur die Bewegungen auf der Oberfläche messen und daraus Rückschlüsse ziehen, wie es im Inneren des Berges aussieht. Die Veränderungen im Gestein innerhalb des Nesthornes geschahen entweder sehr schnell oder es gab bereits seit Monaten oder Jahren Bewegungen, die niemand bemerkt haben konnte.

Welche Rolle hat der Klimawandel bei dem Bergsturz in Blatten gespielt?

Jacquemart: Bei einem einzelnen Großereignis wie dem Bergsturz in Blatten kann man das nicht mit Bestimmtheit sagen, welche Rolle der Klimawandel gespielt hat und welche nicht. Es ist andererseits absolut unbestritten, dass der Klimawandel dramatische Auswirkungen auf die Alpen hat. Die Gletscher schmelzen, die Schneegrenze steigt, das Eis geht zurück. Diese Faktoren lösen immer mehr Massenbewegungen wie Murgänge und Steinschläge aus. Wo Gletscher sich zurückziehen bleibt Fels und anderes loses Material liegen. Dieses Material kann leicht als Murgang oder Steinschlag mobilisiert werden.

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Wie können instabile Hänge in den Alpen wieder gefestigt werden?

Jacquemart: Großflächig für ganze Hänge ist das unmöglich. Lokale Flächen, zum Beispiel bei Seilbahninfrastruktur, lassen sich durch Pfeiler oder und andere Bauvorrichtungen festigen.

Ist es korrekt, den Permafrost als den „Leim der Alpen“ zu bezeichnen?

Jacquemart: Permafrost ist eine thermische Beschreibung. Die Bodentemperatur darf über zwei Jahre nicht den Gefrierpunkt nicht überschreiten. Was häufig als “Leim“ verstanden wird, ist Eis, das in Felsklüften gefroren sein kann. Alleine hält es aber nicht ganze Berge zusammen. Wenn allerdings Wasser in den Fels eindringt und eisgefüllte Klüfte schmelzen, dann können z.B. steigender Wasserdruck das Gestein destabilisieren. Gerade nahe dem Nullpunkt, zwischen ca. -3 und 0 Grad, ist der Fels hierfür besonders anfällig.