Es ist gerade Mittag, als sich eine Katastrophe ankündigt. Der Fluglotse am Zürcher Flughafen erteilt zwei Airbus-Maschinen mit je mehr als 260 Passagieren an Bord unmittelbar nacheinander die Starterlaubnis auf den sich kreuzenden Pisten 16 und 28.

Pistenausbau in Zürich: Flughafen führt Sicherheitsargument an

Die Piloten des einen Flugzeugs erkennen an diesem Märztag im Jahr 2011 die Gefahr und brechen den Start ab, gerade noch rechtzeitig. Unmittelbar darauf reagiert der Fluglotse selbst und ordnet den Abbruch des Starts an. Was da binnen Minuten geschieht, bleibt im Cockpit der anderen Maschine jedoch völlig unbemerkt.

Hält man sich an die Entstehungsgeschichte des jetzt geplanten Bauprojekts am Zürcher Flughafen, scheint das Sicherheitsargument glaubhaft. Zumal nach dem Beinahe-Crash von 2011 der Bund eine Sicherheitsüberprüfung am Flughafen angeordnet hatte. Dass nun zwei der Zürcher Pisten verlängert werden sollen, ist eine der daraus folgenden Empfehlungen. Doch Gegner sind misstrauisch.

Es geht um exakt 680 Meter Beton. Um 400 Meter, um die die Piste 28 verlängert werden soll und um 280 Meter, die die Piste 32 wachsen müsste. Der Flughafen verspricht sich davon mehr Sicherheit, mehr Pünktlichkeit und mehr Nachtruhe im Flugverkehr. Die 250 Millionen Franken, die dafür nötig sind, will er selbst finanzieren.

Die Politik war bereits am Zug. Im vergangenen Jahr hat der Zürcher Kantonsrat dem Vorhaben nach acht Stunden Debatte und 81 Wortmeldungen zugestimmt – allerdings sehr knapp. Gegen diesen Entscheid haben die linken Parteien ein Volksreferendum lanciert. Deshalb stimmt nun am 3. März – am Sonntag – die Zürcher Bevölkerung über den Pistenausbau ab.

Teile der Gegenseite glauben allerdings, dass der Flughafen mit dem Vorhaben vor allem eines verfolgt: seine Kapazitäten auszubauen. 123 Schweizer Gemeinden, darunter zum Beispiel die Stadt Winterthur, befürchten im Osten des Flughafens mehr Lärm durch erhöhten Flugverkehr. Ebenfalls skeptisch blickt man entlang des Hochrheins auf die Abstimmung. Denn: Piste 32 liegt genau in der Einflugschneise der deutschen Ortschaft Hohentengen.

Kein Zusammenhang zwischen Pistenlänge und mehr Verkehr?

Jürgen Wiener ist hier Bürgermeister. Er sagt, dass es ihm fern liege, sich in eine Abstimmung der Schweiz einzumischen. Unabhängig davon gebe es aber Befürchtungen, dass der Flugverkehr über Deutschland zunehmen werde. Bedenken, mit denen er nicht alleine da steht.

Jürgen Wiener in seinem Büro in Hohentengen. Entlang des Hochrheins gebe es Bedenken, dass der Flugverkehr über Deutschland durch den ...
Jürgen Wiener in seinem Büro in Hohentengen. Entlang des Hochrheins gebe es Bedenken, dass der Flugverkehr über Deutschland durch den Pistenausbau zunehmen werde, sagt der Bürgermeister. | Bild: Elisa-Madeleine Glöckner

Einen Zusammenhang zwischen längeren Pisten und mehr Flugverkehr streitet der Flughafen jedoch ab. Er argumentiert so: Der Betrieb, wie er heute sei, mit sich kreuzenden Pisten und Flugrouten und dem oft notwendigen Wechsel zwischen den verschiedenen Betriebskonzepten stelle eine große Herausforderung für die Flugsicherung dar – auch für Piloten und die Abwicklung des Flugbetriebs.

Tatsächlich würde man einen Flughafen, wie er in Zürich existiert, so heute nicht mehr bauen. „Unser Pistensystem gehört im weltweiten Vergleich mit den gekreuzten Pisten zu den komplexesten, weshalb es unsere Aufgabe ist, die Sicherheitsmarge zu erhöhen“, erklärt eine Sprecherin. Das soll durch den Pistenausbau nun geschehen.

Die Pistenverlängerung, das bekräftigt die Sprecherin nachdrücklich, erweitert die Kapazität des Flughafens nicht. Auf einer längeren Piste könnten zwar schwerere, aber nicht mehr Flugzeuge landen oder starten, sagt sie. Mit den Pistenverlängerungen alleine könnten also nicht mehr Flüge eingeplant werden. Die Maßnahmen machen den Betrieb lediglich sicherer, stabiler und damit auch pünktlicher.

Keine falsche Darstellung, wie Wolfgang Schu bemerkt. Er ist Vorstandsmitglied der Bürgerinitiative (BI) Flugverkehrsbelastung im Landkreis Waldshut und befasst sich seit Jahren mit dem Thema. Trotzdem werde der Flugverkehr über Deutschland zunehmen, sagt er.

Bauvorhaben am Zürcher Flughafen: Die Pisten 28 und 32 sollen verlängert werden.
Bauvorhaben am Zürcher Flughafen: Die Pisten 28 und 32 sollen verlängert werden. | Bild: Gora, Aldo

„Die Pistenverlängerungen alleine verändern gar nichts.“ Allerdings sei der Flughafen schon länger dabei, zu investieren: Schnellabrollwege, die Flugzeugen erlauben, die Piste schneller zu verlassen, sind bereits vorhanden, dazu soll eine Umrollung der Piste 28 im äußersten Osten des Flughafens kommen, um zu vermeiden, dass sich Flugzeuge kreuzen.

Gleichzeitig plant der Flughafen einen neuen Tower. Das – kombiniert mit dem Betriebsreglement 17, das vorgibt, zu welchen Tageszeiten welche der drei Zürcher Pisten für Starts und Landungen benutzt werden – werde sicher zu mehr Kapazität führen, da ist sich Schu sicher.

Zürich ist schließlich schon heute ein wichtiger Verkehrsknoten, über den allein im vergangenen Jahr bei 247.456 Flugbewegungen fast 29 Millionen Passagiere geflogen sind. Die Betriebskonzession verpflichte die Flughafen Zürich AG, ein internationales Drehkreuz zu betreiben – nach den Bedürfnissen der Bevölkerung und Wirtschaft, heißt es vom Flughafen dazu.

Wie viele Passagiere befördert werden, bestimmt also die Nachfrage. Und man darf davon ausgehen, dass dieser Bedarf weiter steigen wird.

Gut-nachbarschaftliche Beziehungen zur Schweiz nicht gefährden

Die Folgen für die deutsche Seite scheinen deshalb absehbar. Doch obwohl das alles schon lange bekannt ist, regt sich politisch hierzulande eher wenig.

Die Bundesregierung kümmere sich nicht um die möglichen negativen Auswirkungen der Flugverkehrsbelastung, die durch den Zürcher Pistenausbau für die süddeutsche Bevölkerung nun drohen, kritisieren etwa die CDU-Wahlkreisabgeordneten Andreas Jung (Konstanz), Thorsten Frei (Schwarzwald-Baar) und Felix Schreiner (Waldshut).

Wolfgang Schu sieht Versäumnisse dagegen in Stuttgart. Die grün-schwarze Landesregierung müsste aufgrund politischer und rechtlicher Vorgaben eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung mit der Schweiz durchführen, um die tatsächlichen Flugverkehrsbelastungen zu erfassen. Das wäre zum Abschluss eines wirkungsvollen Staatsvertrags unerlässlich.

Das aber sei in all den Jahren ausgeblieben, kritisiert Schu. Der Grund: gut-nachbarschaftliche Beziehungen, die man offenbar nicht gefährden wollte. „Hätte man sich frühzeitig gekümmert, stünde man jetzt nicht hier.“

Land Baden-Württemberg habe Prüfung mehrfach eingefordert

Eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung habe das Land in der Vergangenheit mehrfach bei der Schweiz eingefordert, heißt es indes aus dem Verkehrsministerium. „Die Schweiz hat diese Forderung stets zurückgewiesen“, sagt ein Sprecher.

Im Fluglärm-Beirat, dem unter anderem die fluglärmbelasteten Kommunen und Landkreise sowie Bürgerinitiativen angehören, bestand demnach zuletzt außerdem Konsens, dass auf eine solche Umweltverträglichkeitsprüfung verzichtet werden sollte. Der Grund: Es handle sich um ein langwieriges und ressourcenintensives Verfahren, dessen Ergebnis für den südbadischen Raum auch nachteilig gedeutet werden könne.

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Der Flughafen mahnt wiederum, es existiert kein Plan B. Keine alternativen Maßnahmen würden dieselben Verbesserungen für Sicherheit und Stabilität mit sich bringen wie der Pistenausbau. Indes bereiten sich die Zürcher auf die Abstimmung am Sonntag vor.

Dass sich die Bürger dabei für den Pistenausbau aussprechen werden, liege auf der Hand, sagt Wolfgang Schu. Ähnlich gelagerte Abstimmungen in der Vergangenheit zum Flughafen geben ihm recht.

In Hohentengen beobachtet man den Ausgang der Abstimmung jedenfalls genau. Man habe zwar keinen Einfluss darauf, sagt Jürgen Wiener. Der Hohentengener Bürgermeister würde sich aber wünschen, dass die Belastung durch den Flughafen Zürich künftig gleichmäßiger verteilt werde – in alle Himmelsrichtungen und über Ländergrenzen hinweg.

Und dass betroffene deutsche Gemeinden mehr in die Sache eingebunden werden. Man trage die Konsequenzen schließlich zusammen.