In einem unauffälligen Gebäude in einem Gewerbegebiet in Winterthur öffnet Andreas Zaugg die Tür zu einem riesigen Holzkasten. „Hier herrschen gleich tropische Temperaturen“, sagt der 38-Jährige. Tatsächlich ist es hinter der Tür deutlich wärmer, die Luftfeuchtigkeit ist drückend.
Vier große Wasserbecken stehen in dem Holzkasten, jedes ist 25 Meter lang. Gefüllt sind sie mit 550 Kubikmeter Wasser. In den Becken züchten Andreas Zaugg und Alexander Dubsky Shrimps. Aktuell produziert das Start-up Lucky Shrimp zwei Tonnen Weißfußgarnelen pro Monat. Abnehmer sind Gastronomen aus der Schweiz.
„Insekten haben ein Image-Problem“
Die Gründer Alexander Dubsky und Andreas Zaugg sind beide ausgebildete Umweltingenieure. „Die Idee kam von Alexander. Er hat sich mit der Frage beschäftigt, wie man die Bevölkerung effizient mit Protein versorgen kann“, sagt Andreas Zaugg. Das gehe gut über Insekten: Sie benötigen in der Haltung nicht viel Platz.
„In der westlichen Welt haben Insekten als Nahrung aber ein Image-Problem“, sagt Zaugg. Deshalb kamen die beiden auf Shrimps. Die Weißfußgarnele stammt eigentlich aus dem Pazifik. In ihrem natürlichen Lebensraum leben die Shrimps am Meeresboden. Für den Fang werden daher Schleppnetze eingesetzt.
Die Netze zerstören nicht nur den Meeresboden, durch die kleinen Maschen werden auch größere Lebewesen wie Jungfische oder Krebse aus dem Meer gefischt. Die Umweltorganisation WWF schätzt, dass pro Kilogramm Shrimps bis zu 20 Kilogramm Meerestiere gefangen und getötet werden.
Kostendeckend ökologisch produzieren
Werden die Shrimps hingegen in Zuchten gehalten, die sich in Küstenregionen befinden, müssen dafür Mangrovenwälder abgeholzt werden. Laut der Radolfzeller Umweltstiftung Global Nature Fund wurden seit 1980 etwa 25 Prozent der Mangrovenwälder gerodet.
„Shrimps aus Aquakulturen haben eine sehr schlechte CO2-Bilanz“, sagt Andreas Zaugg. Mit ihrer Shrimpszucht in der Schweiz wollen er und sein Mitgründer Alexander Dubsky es also besser machen: Kein Beifang, eine bessere Ökobilanz, eine klimafreundliche Proteinquelle. Doch allein ökologisch zu produzieren, ist nicht ausreichend, sagt Andreas Zaugg. Es müsse auch kostendeckend funktionieren.
Wasser bei Lucky Shrimp ist nicht klar, sondern trüb
In Kreislaufanlagen, die in Europa für Fisch- und Garnelenzuchten eingesetzt werden, wird das Wasser aufbereitet und wiederverwendet. „Das ist von der Investition und vom Betrieb her sehr teuer“, sagt Andreas Zaugg. Ausscheidungen und Futter müssten recht schnell aus dem Becken gefiltert werden, das Wasser müsse ständig neu erwärmt und aufgesalzen werden – denn es soll ein maritimes Ökosystem entstehen.
Dubsky und Zaugg hingegen arbeiten mit der sogenannten Biofloc-Technologie. Dabei wird das Wasser nicht regelmäßig ausgetauscht. „Es entsteht ein riesiges Mikrobiom: Alles was reinkommt, also das Futter, die Ausscheidungen, werden aufgenommen und umgewandelt“, erklärt Andreas Zaugg.
Dadurch würden die Nährstoffe im System bleiben und Krankheiten hätten keinen Platz, sich zu verbreiten. Somit spart sich Lucky Shrimp den Einsatz von Antibiotika. Das Wasser bei Lucky Shrimp ist daher nicht klar, sondern trüb. Die Shrimps selbst sind im Wasser gar nicht zu erkennen.

Dubsky und Zaugg haben ihre Anlage selbst entwickelt und gebaut. „Die ist einzigartig und gibt es so nicht zu kaufen“, sagt Zaugg. Angefangen habe alles mit einer kleinen Pilotanlage, die nur 13 Kubikmeter Wasser fasse. „Wir wussten gar nicht, ob da wirklich ein Shrimp herauskommt“, sagt Zaugg.
Effizientere Produktion als in Kreislaufanlagen
Ende 2024 haben Dubsky und Zaugg dann die Anlage in Winterthur in Betrieb genommen. „Aktuell sind etwa zwei Drittel der Anlage in Betrieb“, sagt Zaugg. Ein Stockwerk weiter oben stehen schon die nächsten drei Becken bereit. „Unser Ziel ist, dass wir etwa 20 Tonnen Shrimps pro Jahr produzieren.“
Zaugg geht davon aus, dass die Anlage in Winterthur etwa drei bis fünf Mal effizienter sei als Kreislaufanlagen. Außerdem benötige man weniger Platz. Fünf Millionen Euro wurden in die Shrimpszucht investiert. „Wir hoffen, dass wir bis Ende des Jahres kostendeckend produzieren können“, sagt Andreas Zaugg.
Andere Shrimpszucht steht vor dem Aus
Bei Lucky Shrimp können Gastronomen die schockgefrosteten Shrimps in verschiedenen Größen kaufen. Bald sollen die Produkte auch Privatkunden angeboten werden: für 100 Franken pro Kilo, also rund 107 Euro. „Den Preis kann man nicht mit dem abgepackten Discounterprodukt vergleichen. Eine Biogarnele kostet inzwischen auch schon 60 Franken pro Kilogramm.“

Während die Produktion in Winterthur gerade erst so richtig anläuft, steht eine andere Schweizer Shrimpszucht vor dem Aus: Swiss Shrimp aus Rheinfelden hatte im März dieses Jahres die Nachlassstundung beantragt. So wollte die Zucht Zeit gewinnen, um das Unternehmen zu sanieren. Zunächst schien ein Käufer gefunden zu sein. Doch nun wurde für das ebenfalls ambitioniert gestartete Swiss Shrimp der Konkurs eröffnet. Damit besteht keine Aussicht mehr auf eine Sanierung.
Lucky Shrimp ist noch nicht am Ziel
„Wir finden es sehr schade, wenn Swiss Shrimp nicht mehr weitermacht“, sagt Andreas Zaugg. Für die Branche sei es besser, wenn es mehr Unternehmen gebe. „Der Markt ist da: In der Schweiz werden bis zu 9000 Tonnen Shrimps pro Jahr importiert“, sagt Zaugg. Im Gegensatz zur Kreislaufanlage von Swiss Shrimp verbrauche man in Winterthur weniger Energie, der Betrieb der gesamten Anlage sei günstiger.
Lucky Shrimp jedenfalls ist noch lange nicht am Ziel. Alexander Dubsky und Andreas Zaugg wollen ihre selbst gebauten Anlagen künftig verkaufen. „Bei uns soll man letztlich alles bekommen: Anlage, Futter, die Larven, die Finanzierung. Wir sehen da eine große Marktlücke“, sagt Zaugg.
Die ersten Interessen habe das Start-up bereits. In diesem Jahr soll die erste Kundenanlage bei einem Schweinebauer in der Schweiz entstehen. „Die Planungen laufen schon“, sagt Andreas Zaugg.