
Nicht nur das Wort „historisch“ hat Konjunktur, sondern man sucht die Chance, sich genau so zu fühlen. Dafür werden Unannehmlichkeiten wie Langsamkeit, harte Sitzbänke in alten Bahnwaggons, Ruß und Maschinenlärm gern in Kauf genommen – ja vielleicht geradezu gesucht.
Das Abenteuer, sich selbst als leidensfähiger Teil der Technik-Geschichte zu erleben, erwartet Luftfahrt-Enthusiasten mittlerweile am Flughafen Altenrhein am Schweizer Ufer des Bodensees. Wer den seit 2018 eingestellten Nostalgieflügen mit einer Junkers Ju 52 der Schweizer Ju-Air nachtrauert, kann jetzt erneut in die Vergangenheit zurückfliegen. Mit dem Nachbau der Junkers F 13, die 1919 erstmals abhob und später weltberühmt wurde.

In Altenrhein heißen die Reiseziele an diesem Tag Sardinien und Pula in Kroatien. Die Jets, die sie anfliegen, haben bescheidene Abmessungen. Dennoch sind sie modern, was man von der silbrigen Propellermaschine, die etwas abseits auf dem regennassen Vorplatz steht, nicht behaupten kann.
Wer sich in der Fliegerei nicht auskennt, denkt beim Anblick des Fliegers mit seiner steil in die Höhe gereckten Schnauze: Die muss steinalt sein.
Nach modernen Sicherheitsstandards gebaut
Doch der Eindruck täuscht, weil die Maschine erst im Januar dieses Jahres nach vierjähriger Bauzeit ihren Jungfernflug absolvierte und es sich daher um ein Replikat handelt – das nach strengen Schweizer Fertigungskriterien montiert wurde.
Wie fliegt sich so eine Maschine zwischen gestern und heute? Der erfahrene Schweizer Testpilot Oliver Bachmann hat schon einige hundert Flugstunden auf der Junkers und ist vollauf zufrieden:
Das Flugzeug ist von seinem Vorbild bis auf den Motor kaum zu unterscheiden. Oliver Bachmann erläutert, was es mit den neuen, aber historisch aussehenden Triebwerk auf sich hat:
Das gewellte Blech, die kistenartige Form, das fischflossenartige Seitenleitwerk – alles atmet die pragmatische Ingenieurskunst der frühen 20er-Jahre.
Früher war der Zugang zu Oldtimer-Flügen – etwa bei Flugtagen – einfach. Heute ist der Zugang aus versicherungsrechtlichen Gründen neu geordnet
Das Raumangebot für die vier Passagiere ist indes so großzügig wie vor 100 Jahren. In hellbraunem Leder dehnen sich zwei gegenüberliegende Sitzbänke mit der fürstlichen Beinfreiheit einer Großraum-Limousine.
Früher ging es in der Kabine etwas bescheidener zu. Die Sitze waren mit Stoff bespannt, und man griff auch auf leichtes Korbmöbelgeflecht zurück.
Die Piloten Bachmann und Paolo Corti haben es vorne hinter ihren wuchtigen Steuerhörnern weniger kommod. Sie sitzen wie die Chauffeure einstiger Oberklasse-Oldtimer unter freiem Himmel. Nur zwei Frontscheiben halten die Regentropfen des Schauers, der gerade niedergeht, von ihren Gesichtern fern.

Der Kontrast zu den teils digitalen modernen Fluginstrumenten könnte kaum intensiver sein. Das Gespräch mit dem Tower ist ein Gemisch aus Schweizerdeutsch und Englisch, führt aber zielsicher auf den Rollweg Richtung Startbahn 28.
Dickes Tragflächenprofil liefert viel Auftrieb
Erschien die F 13 auf dem Vorfeld noch zierlich, so ändert sich der Eindruck beim Blick aus dem Fenster. Mächtig strecken sich die breiten silbrigen Wellblech-Flächen, als wollten sie das Flugzeug direkt über die Wolken heben.
Ihr dickes Profil sorgt wie bei der späteren großen Schwester Ju 52 für handfesten Auftrieb. Schon nach 250 Metern hebt HB-RIA – Rufname „India Alpha“ – lustvoll orgelnd von der Piste ab.
Unten zieht Lindau vorbei
Fahrtwind sucht sich den Weg durch die Ritzen der beiden Alu-Türen im Rumpf. Die Maschine gewinnt über dem See im sanften Steigflug an Höhe, unten zieht die Altstadt von Lindau mit dem Hafen vorbei.
„Das ist gemütliches Fliegen“, ruft Oliver Bachmann ins Mikro seines Headsets. Kopfhörer haben sich die beiden Passagiere ebenfalls aufgesetzt, was sich auch zum Schutz der Ohren vor der Lärmwand des Motors empfiehlt.
Junkers flog am Amazonas und in China
Die F 13 flog über die den Dschungel Südamerikas und die Wüsten Chinas und begründete den Ruf der neuen „Luftgeltung“ Deutschlands. Auch das ist ein Grund dafür, dass der frühere Kölner Edel-Alukoffer-Fabrikant Dieter Morszeck den Entschluss fasste, die F 13 wieder zum Leben zu erwecken.

„India Alpha“ hat die Werknummer 2. Eine dritte Maschine soll bald abheben. Der erste Junkers-Nachbau fliegt in den USA.
Wegen aufsteigender Thermik leicht schaukelnd, überfliegt „India Alpha“ die Rheinmündung und ist auf etwa 1200 Meter gestiegen. Voraus reckt der Hohe Kasten seinen Gipfel in die niedrig hängenden Wolken, im Osten zeichnet sich die Bergkette des Montafon ab. Weit unten strebt der Rhein dem Bodensee zu.
Die Wohngebiete von Widnau ziehen langsam unter dem Tragflächen vorbei. So war es auch vor 100 Jahren – und doch wieder anders: „Die Flugpassagiere haben damals von oben kaum Autos, aber viele Pferdefuhrwerke gesehen“, hat Bernd Huckenbeck, Präsident des Vereins Junkers Luftverkehr, vor dem Start gesagt.
Huckenbeck und sein Verein haben einen regelmäßigen Rundlfug-Dienst aufgebaut. Interessenten müssen dazu pro forma mit Hilfe eines Online-Formulars in den Verein eintreten. Die Flüge sollen künftig nicht auf Altenrhein beschränkt werden, Junkers Luftverkehr will auch über Deutschland Rundflüge anbieten. Bernd Huckenbeck kündigt an:
Im Anflug auf Altenrhein nimmt Pilot Paolo Corti in seiner Frischluftkanzel den Gashebel zurück und lässt den Neo-Veteran Richtung Landebahn sinken. Der Lärm in der Kabine lässt nach.

Von Westen zieht eine neue Wolkenfront heran. Bis um Vortag stach die Sonne vom blauen Himmel. Aber heute ist Arbeitswetter, so wie einst, als die Junkers-Piloten bei fast jedem Wetter über ganz Europa unterwegs waren, hinter ihnen die Passagiere in Wollmantel und Schal, schweigsam wegen des Motorendonners.
Leicht und beweglich
Geschmeidig setzt das Fahrwerk der Maschine auf dem Asphalt auf, und kurz darauf steht „India Alpha“ auf dem Abstellplatz. Helfen schieben sie auf ihre Parkposition, viel Kraft brauchen sie dafür bei einem Leergewicht von nur 950 Kilo nicht. Dennoch macht sich auch der Autor des SÜDKURIER beim Bodenpersonal nützlich.
Trotz ihres Leichtbaus – das Fliegen in dem neuen Veteran ist sicher. Bernd Huckenbeck erklärt, warum – und warum die Neo-Junkers für Luftfahrtfreund eine wichtige Rolle erfüllt: