„Ich habe alles verloren: meinen Job, meine Partnerin, mein schönes Leben. Ich bin straffällig geworden und habe mich selbst erniedrigt, indem ich mich prostituiert habe“, sagte der Beschuldigte zu Gerichtspräsidentin Gabriella Fehr. Der 41-jährige Österreicher stand jüngst wegen mehrfachen Raubes, Pornografie, mehrfacher Verletzung der Verkehrsregeln und mehrfachen Konsums von Betäubungsmitteln vor dem Bezirksgericht Baden.

Quer durch den Kanton, bis nach Basel

Um seine Drogensucht zu finanzieren, überfiel der Beschuldigte zwischen dem 9. September und dem 13. Oktober 2022 neun Tankstellenshops und Läden, darunter etwa den Coop Pronto in Würenlingen, den Migrolino in Othmarsingen oder die Avia-Spar-Tankstelle in Basel.

So ging er bei seinen Beutezügen vor

Maskiert und mit Mütze sowie Sonnenbrille betrat er die Geschäfte, zückte ein Klappmesser und richtete dieses mit ausgeklappter Klinge gegen die Verkäuferin oder den Verkäufer. Er forderte das Personal dazu auf, ruhig zu bleiben und ihm das Geld herauszugeben. Auf diese Weise erbeutete er insgesamt rund 12.000 Franken. Beim siebten Versuch bei der Migrolino-Tankstelle in Muttenz wurde er von einem mutigen Angestellten in die Flucht geschlagen.

Wie er am Ende überführt wird

Beim achten Raub konnte der Beschuldigte anhand des Nummernschilds des Autos seiner damaligen Freundin, mit dem er zu den Shops fuhr, überführt werden. So kam es bei der neunten Tat zur Verhaftung. Dabei fand die Polizei auf dem Handy des Beschuldigten 115 Videos und 150 Fotos mit kinderpornografischem Inhalt.

Das beantragt die Staatsanwaltschaft

Die Staatsanwaltschaft beantragte für diese Vergehen eine unbedingte Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren, eine Buße von 400 Franken, eine stationäre Maßnahme sowie ein lebenslängliches Verbot für eine berufliche und außerberufliche Tätigkeit, die einen regelmäßigen Kontakt mit Minderjährigen umfasst. Überdies forderte die Staatsanwaltschaft einen Landesverweis von 15 Jahren.

Der Beschuldigte zeigt sich einsichtig

Dass sein Leben völlig aus den Fugen geraten war, dem war sich der Beschuldigte, der seit rund zehn Jahren in der Schweiz lebt, am Verhandlungstag bewusst. „Ich verstehe nun dank der Therapie, was mit mir passiert ist wegen meiner Sucht“, sagte er. Seit dem 16. Mai 2023 befindet er sich in stationärer Behandlung in einer Klinik für Suchttherapie.

Darum greift er zum Kokain

Im Frühling 2021 begann der Maschinen-Konstrukteur, einmal wöchentlich Kokain zu konsumieren. „Das geschah aus Langeweile. Zudem half es, dem Leistungsdruck bei der Arbeit standzuhalten“, sagte der Beschuldigte, der damals als Projektleiter für eine pharmazeutische Firma tätig war.

So verschafft er sich das Geld

Aus dem gelegentlichen wurde ein täglicher Konsum. Monatlich habe er bis zu 10.000 Franken dafür ausgegeben. Das Geld beschaffte er sich, indem er seinen Arbeitgeber und auch seine Partnerin betrog. Er leerte etwa das gemeinsame Sparkonto oder erschlich sich Geldbeträge mit der firmeneigenen Tankkarte. Prompt folgte die Kündigung. Und so verkaufte er seine Wertsachen und schließlich seinen Körper, um irgendwie an Bares zu kommen.

Wohin seine Sucht dann führt

„Ich bereue, was ich getan habe, die Opfer tun mir leid. Ich wurde wegen der Drogen zu einem anderen Menschen, einem perfekten Lügner, der gefühlskalt ist“, erzählte der Beschuldigte. Auch für die kinderpornografischen Inhalte auf seinem Handy machte er seine Sucht verantwortlich. „Kokainkonsum verstärkt die sexuelle Erregtheit.“

Das könnte Sie auch interessieren

Dass seine Taten und auch die Pornografie illegal seien, dem sei er sich bewusst gewesen. Zu seiner Verteidigung sagte der Österreicher aber, dass er die Überfälle für die Shop-Angestellten so angenehm wie möglich gestaltet habe und er auch nie jemanden physisch habe verletzen wollen.

Er liebt das Land und möchte bleiben

Der Beschuldigte zeigte sich zuversichtlich, den Drogen künftig zu widerstehen, auch wenn er bereits vor seiner Kokainsucht von Opiaten abhängig gewesen war. Zum möglichen Landesverweis sagte er: „Das wäre schmerzhaft für mich, ich liebe die Schweiz und möchte in Basel wieder eine Stelle finden.“

Dafür plädiert sein Verteidiger

Trotz zugegebener Schuld plädierte der Verteidiger für einen Freispruch. Dabei berief er sich auf das psychologische Gutachten. „Ob mein Mandant aufgrund seiner schweren Sucht überhaupt fähig war, das Unrecht seiner Tat einzusehen und gemäß dieser Einsicht zu handeln, wird darin offengelassen.“ Aufgrund der Zweifel an seiner Schuldfähigkeit sei er freizusprechen.

Das Gericht ist nicht überzeugt

Das überzeugte das Gericht nicht. Es sprach den Österreicher schuldig und folgte den Anträgen der Staatsanwaltschaft. Einzig hinsichtlich des Landesverweises wich man mit zwölf statt 15 Jahren von der Anklage ab. Überdies muss der Verurteilte zwei geschädigten Betrieben Schadenersatz und zwei betroffenen Verkäuferinnen je eine Genugtuung von 1000 Franken zahlen.

So begründet die Richterin das Urteil

„Auch ein netter Räuber ist ein Räuber. Die Opfer haben gelitten und wussten nicht, dass Sie das Messer nur zur Drohung nutzen“, sagte Gerichtspräsidentin Gabriella Fehr. Das Gericht habe die schwere Einschränkung der Handlungsfähigkeit aufgrund der Drogensucht berücksichtigt. „Von einem Wahn oder einem völligen Kontrollverlust kann aber nicht die Rede sein.“ Der Verurteilte habe keinen ausgeklügelten Plan gehabt. „Doch Sie haben sich auf die Überfälle vorbereitet, sich maskiert und Ihre Kleider so gewählt, dass man Sie nicht erkennt. Zudem haben Sie geschaut, welche Tankstellen gut erreichbar sind“, sagte Fehr.

Das könnte Sie auch interessieren

Dass das Gericht von einem Landesverweis absehe, sei ausgeschlossen. „Sie haben hier keine Familie, keinen großen Freundeskreis, keinen beruflichen Einstieg und keine Wohnung. Sie können sich als EU-Bürger im Schengenraum in jedem beliebigen Land resozialisieren.“

Die Autorin ist Redakteurin der „Aargauer Zeitung“. Dort ist dieser Beitrag auch zuerst erschienen.