Vor knapp zwei Jahren reiste Murat (Name geändert) direkt vom Zentralgefängnis zum Bezirksgericht Brugg an. Angeklagt war der gelernte Maler wegen mehrfachen Hausfriedensbruchs und Diebstahls – teilweise versuchtem – sowie mehrfacher Widerhandlung gegen das Personenbeförderungsgesetz.

Er macht in der Damengarderobe Beute

Gemäß den Akten hatte er im Oktober 2019 in der Damengarderobe der Sporthalle Mülimatt in Brugg im Kanton Aargau Taschen durchsucht und 4000 mazedonische Denar (zirka 70 Franken), gut 22 Franken sowie Reka-Schecks im Wert von 30 Franken entwendet. Als er in der Herrengarderobe weitermachte, wurde der heute 41-Jährige vom einem Polizisten in Zivil überrascht.

Das Bezirksgericht verzichtet auf einen Landesverweis

Ebenso Hausfriedensbruch warf ihm die Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach damals vor, weil er im April 2020 trotz Hausverbot die Toilettenanlage in der Migros-Filiale im Neumarkt und zwei Monate später den privaten Teil der Tunnelgarage in Baden betreten hatte. Das Bezirksgericht verurteilte Murat zu acht Monaten Gefängnis und einer Buße von 200 Franken. Vom Vorwurf des mehrfachen Hausfriedensbruchs – bei Mülimatt und Migros – sprach es ihn frei. Auf einen Landesverweis wurde bei dem Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina verzichtet.

Die Staatsanwaltschaft fechtet das Urteil an

Das Urteil hat die Staatsanwaltschaft angefochten. Die Instanz beantragte mit Berufungserklärung vom August 2022, dass der Beschuldigte zusätzlich wegen mehrfachen Hausfriedensbruchs zu verurteilen sei. Gefordert wurde eine unbedingte Freiheitsstrafe von zehn Monaten und eine Buße von 500 Franken. Zudem sei ein im März 2018 für eine Geldstrafe gewährter bedingter Strafvollzug zu widerrufen – das zog die Staatsanwaltschaft später zurück – und eine Landesverweisung über fünf Jahre anzuordnen.

Die Berufung des Beschuldigten wird abgewiesen

Nur elf Tage darauf beantragte Murat einen vollumfänglichen Freispruch, im November folgte dann die Abweisung der Berufung. Das Obergericht ging im Urteil vom Juni 2023 weiter als die Forderung der Staatsanwaltschaft: Es sprach eine unbedingte Freiheitsstrafe von zwölf Monaten, eine Buße von 300 Franken sowie den Landesverweis aus.

Das Obergericht sieht eine mangelnde Integration

Murat habe seinen Lebensmittelpunkt zwar in der Schweiz. In Anbetracht der Aufenthaltsdauer von 32 Jahren sei seine persönliche, gesellschaftliche Integration aber eher schwach, die wirtschaftlich, berufliche gar unterdurchschnittlich. Nach einem Unfall beziehe Murat seit April 2020 eine ganze Invalidenrente, vorher war er immer wieder auf Sozialhilfe angewiesen. Zudem liegen 73 Verlustscheine im Gesamtbetrag von über 90.000 Franken vor.

So groß ist sein Strafregisterauszug

Negativ auf die nachhaltige Integration wirkten sich seine Verurteilungen, etwa wegen mehrfacher Körperverletzung oder Raub, aus. „Sein aktueller Strafregisterauszug weist sechs Seiten auf“, heißt es in dem Entscheid. Die behandelte Tat reihe sich nahtlos in die sowohl vorher als auch nachher von ihm begangenen Vermögensdelikte ein, sodass er als unbelehrbarer Wiederholungstäter erscheine.

Diese Rolle spielt das öffentliche Interesse

Murat sei eine sehr schlechte Legalprognose zu stellen. Insgesamt, stellt das Obergericht fest, würde eine Landesverweisung den Beschuldigten in eine schwere persönliche Situation versetzen, womit ein schwerer persönlicher Härtefall zu bejahen sei. „Jedoch überwiegt das hohe öffentliche Interesse an der Verweisung.“

Der Richter lässt seine Argumente nicht gelten

Betreffend des Hausfriedensbruchs ließ das Obergericht weder das Argument gelten, dass die Turnhalle an besagtem Tag öffentlich zugänglich gewesen sei, noch dass Murat im Falle der Migros dringend ein WC habe aufsuchen müssen. Bei Letzterem hätten ohne Weiteres Möglichkeiten bestanden, andere Toiletten zu nutzen.

Das Sportzentrum habe der Beschuldigte mit der (alleinigen) Absicht betreten, Diebstähle zu begehen, und damit gegen den Willen der Trägerin des Hausrechts gehandelt.

Er muss auch noch tief in die Tasche greifen

Das Obergericht auferlegte dem Beschuldigten die aktuellen und die erstinstanzlichen Verfahrenskosten in der Höhe von knapp 8500 Franken. Die Entschädigung für die amtliche Verteidigung – diese liegt zusammengerechnet bei rund 7900 Franken – muss Murat zurückzahlen, sobald es seine wirtschaftlichen Verhältnisse erlauben.

Die Autorin ist Redakteurin der „Aargauer Zeitung“. Dort ist dieser Beitrag auch zuerst erschienen.

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