„Von mir aus gesehen habe ich nichts falsch gemacht“, erklärte die Beschuldigte, die einen Frisörsalon führt, gegenüber Bezirksgerichtspräsident Sandro Rossi als Einzelrichter. Die Staatsanwaltschaft hatte Anklage wegen fahrlässiger Körperverletzung erhoben, nachdem es bei einer Kundin beim Aufhellen der Haare zu einer Verätzung der Kopfhaut und zu einer bleibenden kahlen Stelle am Hinterkopf gekommen war.

So sieht es die Staatsanwaltschaft

Die Kundin erhob Klage, und die Staatsanwaltschaft kam zur Ansicht, dass die „Entstehung der Verletzung für die Beschuldigte als gelernte Frisörin vorhersehbar und bei pflichtgemäßem Handeln“ vermeidbar gewesen wäre.

Die Anklägerin forderte eine bedingte Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 40 Franken sowie eine Buße von 950 Franken – alles unter Kostenfolge.

Das sagt ein Zeuge aus

Zur Klärung wenig beitragen konnte ein Zeuge, dem die Beschuldigte die Haare geschnitten hatte, während bei der Geschädigten das Bleichmittel einwirkte. Er habe nichts Auffälliges mitbekommen, sagte er. Allerdings wollte er sich nicht darauf festlegen, dass sein Frisörbesuch tatsächlich am Datum des Vorfalls stattfand.

Die Geschädigte beschreibt ihr Leid

Die Geschädigte, die eine Zivilforderung geltend macht und in Begleitung ihrer Anwälte erschien, ließ durch die Übersetzerin ausrichten, dass sie beim Einwirken des Bleichmittels Wärme und dann ein Brennen verspürt und deswegen die Frisörin gerufen habe. Diese sei zwar gekommen, habe jedoch erklärt, dass die Wärmeentwicklung normal sei.

Sie habe aber das Brennen nicht mehr ertragen und vor Schmerz zu schreien begonnen, so die Geschädigte. Die Frisörin habe jedoch mit dem Kunden gesprochen, der sich die Haare schneiden ließ. Erst auf ihre Hilferufe sei sie zu ihr gekommen und habe das Bleichmittel ausgespült. Es habe vier Monate gedauert, bis die Wunde verheilt gewesen sei. Heute habe sie an dieser Stelle keine Haare mehr, was sie ziemlich störe.

Eine kahle Stelle

Die Beschuldigte wollte die kahle Stelle sehen. Die Geschädigte löste bereitwillig ihren Pferdeschwanz und präsentierte eine tonsurartige kahle Stelle. Die Beschuldigte bestätigte, dass sie – während das Bleichmittel zu wirken begann – einem Kunden die Haare geschnitten habe.

„Das dauerte fünf bis zehn Minuten“, sagte sie. „Als die Kundin über die Wärme klagte, habe ich nachgeschaut und ihr versichert, dass das völlig normal sei.“ Sie habe dann den Kunden fertig bedient und ihn zur Tür begleitet.

Die Sicht der Angeklagten

In diesem Moment sei die Frau aufgesprungen und habe gerufen: „Ich brenne.“ Sie habe nachgeschaut und gesagt, dass die Wärme immer noch normal sei, so die Angeklagte. Dennoch habe sie den Bleichprozess abgebrochen und das Mittel ausgespült.

„Sie hat mir die Stelle gezeigt, wo sie das Brennen verspürte“, sagte die Beschuldigte. „In diesem Moment sah man nichts Auffälliges. Die Kundin sagte mir, dass es warm geworden sei. Daher habe sie die Folie – welche den Kontakt des Bleichmittels mit der Kopfhaut verhindern soll – hochgeschoben. Darauf habe sie ein Brennen verspürt.“

Sie könne sich das nur so erklären, dass Bleichmittel auf die Kopfhaut gelangte, erklärte die Beschuldigte. „Es tut mir leid, dass sie derart schmerzhafte Erfahrungen machen musste. Aber ich kann nichts dafür.“

Eine mögliche Erklärung

Gerichtspräsident Rossi wollte es genau wissen und ließ sich erklären, wie die Folie verschlossen wird. Die Beschuldigte sagte: „Ich habe das sicher schon 1500 Mal gemacht. So etwas habe ich aber noch nie erlebt. Ich kann mir nur vorstellen, dass durch das Anheben der Folie Bleichmittel auf die Kopfhaut gelangt ist.“ Sie habe auch bemerkt, dass sich die Kundin an den Nacken gefasst habe, als diese die zunehmende Wärme spürte – was auch die Kundin selber bestätigte.

Auf das Nachhaken des Vorsitzenden, ob dadurch eine Verätzung ausgelöst werden könne, meinte die Beschuldigte: „Nein. Sie muss die Folie hochgeschoben haben.“

Darum wird noch einmal verhandelt

An diesem Punkt wurde die Verhandlung unterbrochen, um allenfalls zu einer außergerichtlichen Einigung zu gelangen.

Diese kam jedoch nicht zustande. Weil zudem die Beschuldigte von ihrem Recht auf amtliche Verteidigung Gebrauch machte, wurde der Prozess unterbrochen. In Sachen Betriebsunfall im Frisörsalon wird daher eine zweite Verhandlung stattfinden.

Der Autor ist Mitarbeiter der „Aargauer Zeitung“. Dort ist dieser Beitrag auch zuerst erschienen.

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