Auch in der Schweiz ist die Ausbreitung des Wolfes ein ständiges Thema. Seit Anfang Dezember gilt dort eine bundesweite Jagdverordnung, die den Abschuss ganzer Rudel erleichtert – etwa des sogenannten Calfeisentalrudels im Kanton St. Gallen, das für zahlreiche Nutztierrisse verantwortlich sein soll. Das klingt aber einfacher, als es in der Realität ist – wie ein Gespräch mit dem Vizepräsidenten der St. Galler Revierjagd zeigt.

Herr Mullis, wie jagt man einen Wolf?

Es gab bei uns eine Informationsveranstaltung, eine gezielte Schulung für die Jägerschaft. Dabei ging es etwa um bestimmte Körpermerkmale der Tiere, um sie sicher anzusprechen. So nennt der Jäger die Identifizierung und Beurteilung eines Tiers. Grundsätzlich wird die St. Galler Jägerschaft jetzt aber nicht einfach losziehen und gezielt Jagd auf den Wolf machen.

Es geht eher darum, einzelne Tiere dann sicher identifizieren zu können, wenn sie gesichtet werden. Besondere Hilfsmittel sind dafür jedenfalls nicht erlaubt, wir können allenfalls ein Nachtsichtgerät benutzen, um das Tier gut anzusprechen.

Jules Mullis, Jahrgang 1962, ist Diplom-Elektro-Ingenieur und seit 2018 Vizepräsident der Revierjagd St. Gallen.
Jules Mullis, Jahrgang 1962, ist Diplom-Elektro-Ingenieur und seit 2018 Vizepräsident der Revierjagd St. Gallen. | Bild: Jules Mullis

Der Wolf gilt als sehr intelligentes Tier. Außerdem ist er viel unterwegs, läuft dutzende Kilometer am Tag. Macht es das nicht besonders schwierig, ihn zu schießen?

St. Gallen ist einer der Schweizer Kantone, in denen mehrere staatliche Wildhüter angestellt sind, die, wenn nötig, ihr Jagdgewehr nutzen dürfen; hauptsächlich die werden nachts auf den Wolf passen. Bei uns Jägern ist es eher so, dass es zufällig passieren könnte, wenn wir ohnehin auf Wildjagd sind.

Und dann müsste man persönlich entscheiden, ob man abdrückt – nachdem man sich vergewissert hat, ob Alter, Geschlecht und so weiter stimmen. Ich persönlich gehe nicht davon aus, dass die St. Galler Jäger nun extra auf den Wolf ansitzen (auf der Lauer zum Beispiel in einem Hochsitz, d. Red.); eher wird es so sein, dass jemand auf Fuchsjagd dann auch mal einen Wolf erwischt. Eine interessante Zahl kann ich Ihnen dazu nennen.

Bitte.

Die aktuelle Verfügung für den Wolfsabschuss ist die achte ihrer Art im Kanton St. Gallen – und es konnte noch keiner erlegt werden. Es ist also nicht so einfach. Auch das richtige Tier zu schießen, das ist ethisch sehr wichtig, dessen sind wir uns bewusst. Ein falsches Tier zu schießen hätte genauso rechtliche Konsequenzen, als würden wir etwa ein falsches Stück Rotwild schießen.

Was sind die Konsequenzen?

Je nach Schwere des Vergehens riskiert der Jäger eine hohe Buße und den Entzug der Jagderlaubnis für mehrere Jahre.

Wenn Sie jetzt einen Wolf schössen – was passiert dann mit dem? Dürften Sie den behalten?

Das ist in den Kantonen sehr unterschiedlich geregelt. Wir im Kanton St. Gallen machen bewusst keine Trophäenjagd auf den Wolf. Unsere Rolle ist, dass wir wie beim Schalenwild bei der Regulierung helfen. Wir sind der Meinung, dass ein Abschuss nicht zelebriert werden sollte, auch wegen der emotionalen Bedeutung dieses Themas. Falls es zu einem Abschuss kommt – und das wird nur sehr selten der Fall sein – dann wollen wir das nicht an die große Glocke hängen. Auf diesen Tenor haben wir uns innerhalb der Jägerschaft geeinigt.

Also wird das Tier dann ausgestopft und kommt in ein Museum?

So etwas wäre denkbar, ja.

Ist es für Sie als Jäger etwas Besonderes, dass Sie jetzt einen Wolf schießen könnten?

Es ist insofern etwas Besonderes, als es vorher gesetzlich nicht möglich und nötig war. Aber wir regulieren ja auch den Steinbock – der sich in der gleichen Situation befindet. Auch der Steinbock ist ein geschütztes Tier, der wegen seiner gestiegenen Zahl inzwischen unter strengen Vorgaben reguliert werden muss. Beim Wolf sehen wir Jäger das nicht anders. Das ist auch der gemeinsame Nenner, den wir mit den grünen Verbänden teilen – die Frage ist nur: In welchem Maße wird reguliert?

Das klingt gar nicht so emotional, wie diese Debatte sonst geführt wird.

Das hängt immer von den Betroffenheiten ab. Da, wo gerade Nutztiere gerissen worden sind, gerade an kleinen Orten, wo jeder den betroffenen Bauern kennt, ist die Stimmung natürlich eine ganz andere als dort, wo länger nichts passiert ist. Eine grundsätzliche Einsicht, dass nun eine gewisse Regulation nötig ist, gibt es aber inzwischen fast überall.

Auch weil bekannt ist, dass die Situation zum Beispiel in der Alpwirtschaft teils sehr schwierig ist und wie kompliziert funktionierender Herdenschutz sein kann. Hunde zum Beispiel: Die sind echte Energiebündel, was macht man mit denen im Winter, wenn die Herden im Stall sind? Außerdem reagieren die auch auf Menschen, da gab es schon unliebsame Begegnungen, das ist unter anderem auch schlecht für den Tourismus. Zudem kann aufgrund der Topografie auch nicht jede Alp effizient geschützt werden. Wir müssen also beobachten, lernen und wenn nötig den Bestand regulieren.

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Ist das denn eine sinnvolle Maßnahme?

Wir sehen das zweigeteilt. In der Jägerschaft sind wir uns einig, dass der Wolf aktuell reguliert werden muss. Aber es ist wie so häufig in der Politik: Erst schlägt das Pendel in die eine Richtung aus, dann in die andere. Jahrelang wurde zu wenig gemacht, und jetzt macht man es andersherum. Viele Jäger fühlen sich zwischen den Fronten gefangen und wollen sich da eigentlich nicht hineinziehen lassen. Mancher sagt auch: Ich schieße den Wolf nicht.

Lässt sich das Problem so lösen?

Es wird nur über Abschüsse gehen, die Wölfe müssen scheuer werden. Das wird aber nicht einfach werden – die Wölfe sind sehr intelligent und nicht zuletzt deshalb schwierig zu schießen. Wir brauchen künftig einen Mix mit sinnvollem Herdenschutz und nachhaltiger Regulation. Wir müssen es schaffen, den Wolfsbestand auf ein vernünftiges Maß zu bekommen und zu halten – das wird kompliziert genug.

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Bislang sieht es so aus, als würden sich die Rudel in der nordöstlichen Schweiz und im Schwarzwald voneinander fernhalten, während sie anderswo durchaus Grenzen überqueren. Woran könnte das liegen?

Woran das liegt, kann ich auch nicht genau sagen. Es ist aber nur eine Frage der Zeit. Straßen- und Zugverkehr sind Hindernisse, klar. Aber es wird wohl irgendwann solche Bewegungen entlang des Bodensees geben. Wenn dies nicht bereits erfolgt, werden dann auch internationale Gespräche nötig, um gemeinsam diese Aufgabe über die Landesgrenze hinweg zu lösen.

Anmerkung: Kurz vor Weihnachten wurde ein männlicher Jungwolf des Calfeisenrudels im Weisstannental von der Wildhut erlegt. Das Gespräch hat vorher stattgefunden.