Der Heavy Metal hatte immer wieder seine Phase, und mit jeder Hochzeit einer Phase hat er sich ruckartig weiterentwickelt. Im Jahr 1990 erlebte dieses Genre mit seinen verzerrten Gitarren, seinen illustren Musikern wie auch obskuren Gestalten eine Glanzzeit. Kein Wunder, dass die riesige Fangemeinde nach einem Festival gierte wie das Wacken. Heute ist es das größte Metal-Spektakel der Welt, rund 85.000 Besucher pilgern jährlich in den kleinen Ort in Schleswig-Holstein.

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Metallica gewannen in jenem Jahr einen Grammy für ihr Anti-Kriegs-Epos „One“. 1990 war allerdings das Jahr, in dem Bands mit ihren Neuerscheinungen ein neues Zeitalter einleiteten, einen neuen Stil prägten oder sich selbst unverzichtbar für das Genre machten. Das sind die wichtigsten Veröffentlichungen.

Aus der Taufe: Der Schweden-Death

Entombed – Left hand path: Der Auftakt des Schweden-Death.
Entombed – Left hand path: Der Auftakt des Schweden-Death. | Bild: Amazon

EntombedLeft hand path: Die Fachwelt war wie von den Socken, als die Schweden von Entombed ihr Debüt vorlegten. Der Schweden-Death war geboren. Entombed waren Vertreter jenes Göteborg-Sounds und stellten mit Dismember und Unleashed die Speerspitze dieser Vertreter dar – drei Bands, die heute noch unterwegs sind. Was machte Entombed, die aus der Formation Nihilist hervorgegangen ist, aus?

Left hand path – konsequenterweise erschienen beim Branchenspezialisten Earache – war ein gekonnter Mix aus Grindcore-Passagen, martialischen Growls, extrem heruntergestimmten Gitarren, aber vor allem: Melodiosität. War insbesondere der amerikanische Death Metal bis dato nach dem Prinzip „voll auf die Neune“ ausgelegt und hatte den Rock‘n‘Roll komplett verbannt, holte der Schweden-Death viele Mainstream-Fans ab. Weil er eben anders, neu, unverbraucht war.

Krasse Weiterentwicklung: Der Death Metal

Er hat einen ganzen Stil geprägt: Chuck Schuldiner, Kopf der Band „Death“. Im Jahr 1990 legte er einen weiteren Grundstein ...
Er hat einen ganzen Stil geprägt: Chuck Schuldiner, Kopf der Band „Death“. Im Jahr 1990 legte er einen weiteren Grundstein im Death Metal. | Bild: Nuclear Blast

Death – Spiritual healing: Da sind wir schon beim Thema Death Metal. Multitalent Chuck Schuldiner gilt als der Vater des Death Metal, den er 1988 mit seinem Debüt Scream Bloody Gore aus der Taufe hob. Sein drittes Album, Spiritual healing aus dem Jahr 1990, läutete eine musikalische Transformation bei Death ein, bei jener Band, die so viel Einfluss auf den Heavy Metal hatte wie Carl Benz auf das Automobil. Waren die ersten beiden Scheiben noch von Thrash Metal beeinflusst, steht „Progressive“ nun ganz oben auf Schuldiners Marschrichtung.

Spiritual healing war technisch anspruchsvoll, textlich auf Gesellschaftskritik ausgelegt und sollte der Beginn eines amerikanischen Death Metals sein, der nicht mehr nur auf Brachialität ausgerichtet sein wollte. Mit seiner späteren Aussage, er schäme sich für seine ersten beiden Alben Scream bloody gore und Leprosy, verärgerte Schuldiner Fans der ersten Stunde. Der Ausnahme-Musiker starb 2001 an Krebs.

Mit Folklore: Der Viking Metal

Bathory – Hammerheart: Der Viking Metal war geboren.
Bathory – Hammerheart: Der Viking Metal war geboren. | Bild: Amazon

BathoryHammerheart: Wo wären Bands wie Amon Amarth und Einherjer heute, wäre da Bathory nicht gewesen? Nach Blood fire death als erster Impuls kreierte Thomas „Quorthon“ Forsberg von Richard Wagner inspiriert mit Hammerheart das Fundament für den Viking Metal. Dieses neue Genre innerhalb des Heavy Metals war die logische Konsequenz aus der Arbeit des Bathory-Kopfes.

Bathory hatten zuvor als Begründer des Black Metals gegolten. Und Black Metal in Kombination mit Death Metal und skandinavischer Folklore ist das Rezept für: Viking Metal. Der heute zu den vielschichtigsten Subgenres zählt. Amon Amarth etwa verzichten auf Death-Metal-Einflüsse, Moonsorrow spielen eine harte Pagan-Variante mit viel Folklore.

Beschwingt dynamisch: Der Neo-Thrash-Metal

Pantera – Cowboys from hell: Die Band entwickelte sich von Glam Rock zu Neo Thrash.
Pantera – Cowboys from hell: Die Band entwickelte sich von Glam Rock zu Neo Thrash. | Bild: Amazon

Pantera – Cowboys from hell: Zwar bereits das fünfte Album, doch erst mit diesem sollte Pantera im Heavy Metal ankommen. Die Amerikaner wurden 1990 für ihr Werk gefeiert. Hatte die Truppe zuvor versucht, mit Glam Metal Land zu gewinnen, sollte sie mit dem Entwurf eines neuen Stils erst so richtig die Welt erobern. Der Neo-Thrash stieg empor. Das war gut so. Denn der Thrash Metal hatte eine Talsohle erreicht. Er hatte sich, so muss man es sagen, tot gelaufen. Viele Vertreter irrten orientierungslos umher, verwirrten auf ihren neuen Alben mit missglückten Versuchen, den Thrash-Lack zu übertünchen.

Demolition Hammer mit dem Album Tortured existence waren da eher noch eine verheisungsvolle Ausnahme – allerdings von kurzer Dauer. Black und Death Metal hatten ohnehin Oberwasser, Grunge und Alternative Rock sowieso. Und plötzlich waren Pantera da und stürmten die Charts mit einem Neo-Thrash, der mit einer ordentlichen Portion Hardcore und Melodie gewürzt war. Machine Head sollten die prominentesten Vertreter dieses Subgenres werden.

Rasant mit Melodie: Der Speed Metal

Exportschlager: Der Erfolg von Blind Guardian aus Krefeld hat erst mit dem Album „Tales from the twilight world“ so richtig ...
Exportschlager: Der Erfolg von Blind Guardian aus Krefeld hat erst mit dem Album „Tales from the twilight world“ so richtig Fahrt aufgenommen – im Jahr 1990. Die Bandmitglieder im Jahr 2010 von links: Marcus Siepen, Hansi Kürsch, Andre Olbrich und Frederik Ehmke. | Bild: dpa/Jörg Carstensen

Blind Guardian – Tales from the twilight world: Dieses im Jahr 1990 erschienene Album der deutschen Speed Metaller war für die Bandgeschichte einschneidend. Nach zwei, nun ja, eher durchwachsenen ersten Alben, sollte Tales from the twilight world das Katapult zum Erfolg sein. Allerdings verbannten die Krefelder Speed und Thrash in den Hintergrund und gaben mehrstimmigen Chören, Tempiwechsel und eingängigeren Riffs den Vortritt.

Diesen Weg setzten die Musiker um Hansi Kürsch fort und könnten heute als so etwas wie die Väter des deutschen Fantasy Metals, sofern es dieses Subgenre offiziell gäbe, bezeichnet werden. Heute gilt Tales from the twilight World in der Fachwelt zu den besten jemals veröffentlichten Studio-Albem.

Auch das noch: Von Grindcore, Gothic Metal und Progressive

Cannibal CorpseEaten back to life: Das Album ist in Deutschland als jugendgefährdend eingestuft worden. Das Cover zeigte einen gemalten Zombie, der seine Innereien verspeist. Nur mit neutralem Cover und ohne Textblatt durfte das Debüt der Amerikaner erscheinen. Heute sähe die Welt vermutlich anders aus. Cannibal Corpse machten den Grindcore salonfähig. Zwar firmiert die Scheibe unter Death Metal, streute der härtesten Gangart des Heavy Metal aber eine ordentliche Prise Melodiosität ein.

DeicideDeicide: Mit dem gleichnamigen Album trat eine bis heute schräge Band in die Welt des Metals ein. Glen Bentons Gesang auf dem Debüt wie auch elf Studio-Werke später klingt wie Satan in schlechter Laune. Nichts anderes will er mit seiner ganz eigenen Art des Death Metals mit Grindcore-Anleihen rüberbringen. Und wer es nicht glaubt, betrachtet Bentons Stirn: In diese hat er sich ein umgedrehtes Kreuz eingebrannt.

Paradise Lost – Lost paradise: Der Startschuss für eine Erfolgsgeschichte ist gelegt: Die Engländer von Paradise Lost gehen 1990 mit ihrem Debüt an den Start. Die Musiker um Nick Holmes überzeugten mit einer Mischung aus Doom und Death Metal, feiern aber erst mit ihrem Richtungswechsel zum extremen Gothic Metal große Erfolge. Das Album „Gothic“ gilt heute noch als Meilenstein in der langen und nicht enden wollenden Geschichte des Heavy Metals.

Iced EarthIced Earth: Das Debüt einer jener Bands, die es noch ganz weit bringen sollte. Iced Earth bestachen durch ihr Stakkato-Riffing. Band-Kopf Jon Schaffer hatte tatkräftige Unterstützung von Randall Schawver. „Progressive“ erhielt nochmal eine ganz neue Nuance. Iced Earth machte aber auch immer wieder Schlagzeilen durch Hire and fire, durch stetige Rauswürfe aus der Band. Einzig festes Mitglied: Jon Schaffer eben.

TiamatSumerian cry: Noch ein Debüt, das in der Fachwelt für Aufhorchen sorgte. Der Stil lag irgendwo zwischen Black Metal, Doom und Death Metal, allerdings für damalige Verhältnisse melodiös und verspielt. Drei Alben später legte Tiamat mit Johan Edlund an der Spitze im Jahr 1994 „Wildhoney“ vor. Dieses Werk gilt unangefochten als Meilenstein im Heavy Metal und der Schwede zählt heute als Mitbegründer des Gothic Metals.

AtrocityHallucinations: Mit Atrocity meldet sich eine deutsche Band zu Wort, die ihre Wurzeln im Grindcore hatte. Die Blue-Blood-EP gilt heute noch als Geheimtipp unter Szene-Anhängern. Auf Hallucinations, dem ersten offiziellen Album der Truppe um Alex Krull, präsentiert die Band lupenreinen Death Metal mit technischen Einflüssen – produziert von Scott Burns, der als großer Meister seines Fachs galt.

Das Album-Cover steuerte der berühmte Schweizer Künstler H.R.Giger bei. Atrocity sind Größen im Heavy Metal. Musikalisch hat sich die Band nie starr festlegen wollen. Ist das eine Album Gothic Metal, ist ein anderes Extreme Metal und das nächste wieder Neue Deutsche Härte.

Sehen böse aus, sind aber fester Bestandteil des deutschen Heavy Metals: Atrocity. Im Vordergrund Alex Krull.
Sehen böse aus, sind aber fester Bestandteil des deutschen Heavy Metals: Atrocity. Im Vordergrund Alex Krull. | Bild: Youtube

Das Fazit zum Metal-Jahr 1990

Der leidende Thrash Metal: Im Jahr 1990 sind wichtige Weichen für die Zukunft des Heavy Metal gestellt worden. So haben Bands den Grundstein für den Metalcore gelegt, und aus dem Schweden-Death-Metal ist der Melodic-Death-Metal, auch Göteborg-Metal, hervorgegangen. Aus einem Seitenarm des Gothic Metals entwuchs der Symphonic Metal.

Der Thrash Metal verlor an Popularität. Es war später zwar wieder besser um ihn bestellt, doch dieser zeitliche Abschnitt um das Jahr 1990 herum hatte eine reinigende Wirkung; manche Bands verschwanden, wurden dann aber nicht wirklich vermisst. Andere Bands versuchten, sich mit neuen stilistischen Elementen interessant zu halten – einigen glückte es, andere drifteten in die Belanglosigkeit ab.

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Alte Thrasher wie Metallica wurden melodiöser und begeistern nach wie vor ein Millionenpublikum. In den 2000ern fanden auch alte Haudegen wie Exodus und Protector wieder zusammen und sorgten für ein Revival des Old-School-Thrash. Einzig, ja einzig Slayer blieben ihrer Linie weitgehend treu. Doch die sind seit dem Jahr 2019 Geschichte.