Die Fotografie ist wie kein zweites Medium geprägt von der technischen Entwicklung. Es gibt Künstler, in deren Werk sich diese Veränderungen besonders spiegeln. Zu ihnen gehört die Konstanzerin Bette Bayer, deren Lieblingssujet, die städtebauliche Architektur von Metropolen verschiedene technische Stufen durchläuft. Treu bleibt sie dabei einer unbändigen Lust am Experimentieren, mit der sie ihre Seheindrücke von Dubai, Hamburg oder New York in abstrakte, verwirrende Kompositionen überträgt. „Festhalten wollte ich eigentlich nie, sondern mit der Fotografie Neues entdecken“, lautet das Motto der Künstlerin.
Bayer begann Mitte 1970 in Essen an der Gesamthochschule ein Lehramtsstudium in Geschichte und Kunst. Im ersten Semester geriet sie zufällig in einen Fotografiekurs und war sofort begeistert. Die Kamera wird fortan zum Begleiter und die Dunkelkammer zum Lieblingsort. Bayer geht es um autonome Bilder. Und so agierte sie damals, ohne es zu wissen, ganz im Sinne des einflussreichen Fotokünstlers Otto Steinert, der bis 1978 an der Folkwangschule Essen lehrte, und dessen Credo vom „absoluten Gestaltungswillen“ viele Fotografen jener Jahre fesselte.
Gebäude und Straßen faszinieren die Künstlerin
Wie früher in der künstlerischen Fotografie üblich, arbeitete Bayer in Schwarz-Weiß. Schon in ihren ersten Aufnahmen thematisiert sie die Essener Stadtlandschaft. Wiederkehrende Linien, Flächen, Muster und Strukturen reizen sie. Gebäude und Straßen werden aus verschiedenen Perspektiven festgehalten, wenn möglich umkreist, Details betont und aus ihrem Zusammenhang gelöst. Dabei gilt ihr Blick nicht nur glitzernden Neubauten, auch marode Hinterhoffassaden ziehen sie an; Menschen sind selten im Bild. Bayer hat ein Gespür für Proportion, für Rhythmik, für Harmonie und schon bei der Aufnahme weiß sie in etwa, welche Negative sich im Labor zu vielschichtigen Montagen zusammenbauen lassen.
Photoshop wird zum neuen Labor
Obwohl Bayer umtriebig und Neuem aufgeschlossen ist, zögerte sie lange, ehe sie Film und Dunkelkammer gegen Chip und Rechner und das Schwarz-Weiß gegen die Farbe eintauschte. „Erst als die Software raffinierter und die Bildqualität besser wird, entschloss ich mich, mir das digitale Werkzeug einzuverleiben“, erinnert sie sich. Photoshop wird ihr neues Labor, mit dem sie die analogen Verfremdungen auf einer neuen, innovativen Stufe fortführt. Ihre Bildschöpfungen mit aufgerissenen Flächen, sich kreuzenden Linien und sich durchdringenden Hochhäusern werden nicht nur komplexer; der Einsatz der Farbe – die Bayer bis dato als banal ablehnte – verleiht ihnen neue Deutungsebenen: kaleidoskophaft, labyrinthisch, stimmungsvoll, lebendig.
Fasziniert vom Ensemble Vokalformat8
Bayers bildnerische Kompositionen erinnern an die Arbeit eines DJs, der unterschiedliche Musikstücke überspielt, um neue Klänge zu erzeugen. Das mag einer der Gründe sein, weshalb sie seit einem Jahr mit dem Ensemble Vokalformat 8 zusammenarbeitet. Als sie den Chor zum ersten Mal hört, ist sie elektrisiert. „Die acht Stimmen passen so perfekt zusammen und haben sich zu einem Klanggebilde verwoben, das mich faszinierte, weil ich ja im bildnerischen Bereich Ähnliches anstrebe“, so Bayer. Als auch die Vokalisten sich für ihre Arbeit interessieren, schlägt sie vor, die künftigen Auftritte mit Video-Installationen zu begleiten.
Das Visuelle dient dem Akustischen
Künstlerkooperationen von Fotografie oder Film mit Musik sind nicht neu. Bei konzertanten Aufführungen dient, anders als im Spielfilm, das Visuelle dem Akustischen. Die Bilder sollten die Musik verstärken oder spiegeln – wie etwa in dem Film „Koyaanisqatsi“ mit der Musik von Philipp Glass.
Nicht jede Art von Bildern eignet sich für eine Bebilderung von Musik. Bayers Bilder sind wegen ihrer rhythmischen Gliederung und Abstraktion besonders geeignet. Überhaupt belegt sie ihre Bilder gerne mit Audio-Adjektiven – „ein Bild kann durchaus laut sein“, sagt sie. Zunächst dachte sie an eine Diashow. Sie experimentierte mit ihren Bildkompositionen durch Überblendungen und merkte, dass die Zwischenbilder eine eigene Qualität hatten, die das Malerische verstärkten, und die sie intensivieren wollte. Sie wechselte zu einem Videobearbeitungsprogramm, das mit langsamen Übergängen, sukzessive und kaum merklich ganz neue Ansichten mit wunderbaren Assoziationen entstehen ließ, abgestimmt auf die ruhige Musik der Sänger. Die Kooperation mit dem Ensemble ist trotz des hohen Zeitaufwands eine Herausforderung für Bayer, die sie inspiriert und willkommen heißt: „Da nun ein zeitlicher Aspekt, Bewegung und Klang hinzukommen, ergeben sich für mich neue Möglichkeiten“.
Zur Person
Bette Bayer studierte an der Gesamthochschule Essen. Langjährige Lehrtätigkeit, intensive Auseinandersetzung mit der Fotografie. Erste Ausstellung 2010, seither viele Einzelausstellungen, u.a. in der Schmieder Klinik Konstanz, Villa Bosch Radolfzell, Augustinum Hamburg, Villa Prym Konstanz. Sie lebt und arbeitet in Konstanz. (dcs)Das Projekt „Licht im Puls“
„Licht|im|puls – Dämmerungen“ soll dem
Publikum ein ganzheitliches Konzerterlebnis ermöglichen.
- „Licht|im|puls – Dämmerungen“ ist ein spartenübergreifendes Projekt für 8-stimmiges Vokalensemble und eine Videoinstallation, die die Konstanzer Künstlerin Bette Bayer eigens dafür erarbeitet hat. So soll dem Publikum ein ganzheitliches Konzert-, Klang- und Farbenerlebnis ermöglicht werden. Das Vokalformat 8 singt Werke von Johann Pachelbel, Arvo Pärt, Torbjorn Dyrud, Johann Sebastian Bach u.a.
- Das Vokalensemble zeigt das Projekt an besonderen Orten in ganz Deutschland, darunter etwa in einer alten Zeche in Essen, im Thermalbad in Düsseldorf oder unter Tage in der großen Kammer der Nebelhöhle auf der Schwäbischen Alb. In Konstanz findet das Konzert am Sonntag, 24.3., 17 Uhr, in der Bruder-Klaus-Kirche statt. Eintritt ist frei. Weitere Termine: 26. April, Kloster Blaubeuren, 27. April, Sonnenbühl (Schwäbische Alb), Nebelhöhle.
- Das Vokalformat 8 besteht aus acht Sängern und Sängerinnen aus ganz Deutschland, zwei davon aus Konstanz. Vokalformat 8 versteht sich als Teil eines noch in Entstehung befindlichen Netzwerkes. Dieses soll Sängern über eine digitale Organisationsplattform ermöglichen, sich projektweise zusammenzutun. (esd)