Es war einer der größten Skandale in der Geschichte Hollywoods: Im Oktober 2017 wurde bekannt, dass sich der amerikanische Produzent Harvey Weinstein offenbar jahrzehntelang ungestraft an Dutzenden Frauen aus der Filmbranche vergangen hat. Die Vorwürfe reichen von sexueller Belästigung bis zu Vergewaltigung. Bis dahin war Weinstein vom Erfolg verwöhnt, seine Produktionen sind vielfach für die wichtigsten Filmpreise nominiert worden. Gerede über seine „Besetzungscouch“ gab es schon lange, aber dank eines perfekten Systems aus Manipulation, Einschüchterung und Bestechung blieb es stets bei Gerüchten. Als das ganze Ausmaß des Sumpfes bekannt wurde, reagierte die Öffentlichkeit mit Abscheu und Entsetzen.
Vorwurf: Vergewaltigung und Mord
Dabei gehören solche Skandale ebenso zur amerikanischen Filmindustrie wie Glamour, Stars und der „Oscar“; diesen Eindruck vermittelt jedenfalls der Roman „Der Mann, der nicht mitspielt“. Der aus dem Markgräflerland stammende Autor Christof Weigold beschreibt darin einen fast hundert Jahre alten Kriminalfall, in dem es um ein beinahe identisches Thema geht: 1921 endete die Karriere des wegen seiner Korpulenz „Fatty“ genannten Stummfilmstars Roscoe Arbuckle abrupt, als er beschuldigt wurde, ein Filmsternchen vergewaltigt und ermordet zu haben. Weil die mächtigen Studiobosse dafür gesorgt haben, dass die wahren Hintergründe vertuscht wurden, ist die Wahrheit nie ans Licht gekommen. Für die Presse waren die Ereignisse natürlich ein gefundenes Fressen. Hollywood galt fortan als Sündenpfuhl und erhielt den Beinamen Babylon.

Als der Weinstein-Skandal publik wurde, war Weigolds Buch längst geschrieben und gedruckt, aber die „MeToo“-Debatte, in deren Verlauf noch weitere Hollywood-Prominente wie der Schauspieler Kevin Spacey am Pranger landeten, haben dem Roman natürlich zu unerwarteter Aktualität verholfen. Der in München lebende Autor findet es zwar selbst erstaunlich, dass sein schriftstellerisches Debüt über die frühe Filmbranche derart durch aktuelle Fälle bestätigt wurde, „aber wenn man einen authentischen historischen Skandal als Sittenbild erzählt, hat man damit wohl ein zeitloses Muster getroffen, das sich in dieser Branche ganz offensichtlich wiederholt.“
„Der Mann, der nicht mitspielt“ ist der Auftakt zu einer Reihe, die Weigold folgendermaßen skizziert: „Die Krimis spielen in den Zwanzigerjahren in Los Angeles und beschreiben, wie Hollywood ‚Hollywood‚ wird; mit echten Skandalen, einem deutschen Helden und einem ganz speziellen Tonfall.“ Dieser Held heißt Hardy Engel und ist nach dem Ersten Weltkrieg aus Mannheim nach Amerika ausgewandert, um sich als Schauspieler zu versuchen. Das klappt eher schlecht als recht, weshalb sich der Deutsche seiner Wurzeln als Polizist besinnt und Privatdetektiv wird.
Trockener Humor
Neben dem trockenen Humor machen vor allem die Zeit und der Schauplatz den großen Reiz der Bücher aus: Das kurz zuvor vom Oberschwaben Carl Laemmle mitgegründete Hollywood wurde seinem Beinamen „Babylon“ damals mehr als gerecht. Die Filmstadt, anfangs eher ein Dorf, war ein Sündenpfuhl, in dem die allmächtigen Produzenten nach Belieben schalten und walten konnten. Das ist natürlich der perfekte Hintergrund für einen Roman, zumal Weigold seine Geschichten mit allen möglichen Berühmtheiten schmückt; im zweiten Buch hat Detektiv Engel unter anderem eine denkwürdige Begegnung mit Charlie Chaplin.
Außerdem trifft der Autor den Zeitgeist jener Jahre stilistisch und atmosphärisch perfekt. Genauso wichtig wie die Schilderung des Milieus – Weigold spricht von einer „Noir-Welt, in der dunkle Mächte die Stadt im Griff haben“ – ist die inhaltliche Stimmigkeit. Das gilt nicht nur für Aspekte wie Klima, Licht oder geografische Gegebenheiten, über die er sich im Rahmen mehrerer Recherche-Reisen informiert hat, sondern auch für die Daten und Fakten, die er einfließen lässt.
Radikales Vorgehen
Mindestens so eindrucksvoll wie die Romane ist die Radikalität, mit der Weigold vorgegangen ist. Das erste Buch hat er auf eigenes Risiko ohne Verlag oder Agentur verfasst. Gleich im Anschluss an „Der Mann, der nicht mitspielt“ hat er die Fortsetzung geschrieben, derzeit sitzt er am dritten Band. Worum es geht, will er nicht verraten, aber die Andeutungen im Epilog von „Der blutrote Teppich“ versprechen eine Geschichte, in deren Verlauf erneut einige Menschen unter mysteriösen Umständen sterben; darunter auch der Präsident der Vereinigten Staaten. Das Buch erscheint im Herbst 2020.
Christof Weigold: „Der Mann, der nicht mitspielt“. 640 Seiten, 10 Euro. „Der blutrote Teppich“. 640 Seiten, 16 Euro. Kiepenheuer & Witsch, Köln.