Jetzt erobern sie auch noch die Bühne, die komischen Vögel von „Fridays For Future“. Die Straße genügt ihnen nicht mehr. Schuld daran trägt Ingo Putz, ein Erwachsener und Regisseur der Konstanzer Fassung von Aristophanes‘ Parabel „Die Vögel“. Eine schöne Schuld.
In den Zeiten neu aufblühender autoritärer Regimes und populistischer Politiker schickt er 17 Jugendliche ins komödiantische Spiel. Nicht ohne Risiko. „Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor den älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten sollte.“
Nun ja, aber da mosert nicht der Nachbar rechts ums Eck. Das war der gute Sokrates, 400 Jahre vor Christus. Um die gleiche Zeit kamen in Alt-Athen die „Vögel“ von Aristophanes angeflogen.
In dem Klassiker, der seit seiner Uraufführung zum Gegenstand unzähliger Übersetzungen und Adaptionen geworden ist, stimmt der Bürgermeister eine ähnliche Tonlage an, wenn er schwadroniert: „Es geht euch wohl zu gut! Ein bisschen Demut und Dankbarkeit wäre angemessen.“
Waren wir nicht alle mal jung?
Kennen wir alle, solche Sprüche. Wir waren schließlich auch mal Jugend. Die Wiederholung solcher paternalistischer Weisheiten macht die Sache, die Welt, nicht besser. Dass Putz mit dem Chor der Jugendlichen und flotten Sprüchen dagegen hält – das darf als seine zeitgemäße Lesart der „Vögel“ gesehen werden.
Aber das ist nicht die ganze Geschichte. Auch nicht die der eigentlich fünfaktigen Komödie, die der Regisseur auf eine 80-minütige Essenz zusammengedampft hat.

Die Geschichte also: Peisthetairos und Euelpides fliehen aus Athen, weil sie einiges auf dem Kerbholz haben. Aber sie kehren der Heimatstadt nicht nur wegen Schulden den Rücken, sondern auch wegen der angeblichen Überfremdung. Sie wüten gegen Asylvampire und Sozialschmarotzer und suchen ein Plätzchen, wo sie es gut haben können.
Ab ins Wolkenkuckucksheim
Sie werden fündig bei den unschuldsvollen Nachbarn in den Lüften – den Vögeln. Wenngleich nur Menschen und ohne Federkleid, schmeicheln sie sich bei ihnen ein und überreden die Grünschnäbel listig mit süffigen Versprechungen, eine ummauerte Stadt zu bauen, sich abzuschotten, einen nicht zu umgehenden Machtblock zwischen Menschen und Göttern herzustellen.
Für dieses Luftschloss prägte der große griechische Dramatiker Aristophanes den Begriff „Wolkenkuckucksheim“, ein bis heute geflügeltes Wort.

Die Utopie ohne Bodenhaftung erweist sich bei Aristophanes bald als handfeste Dystopie. Auch in Konstanz. Die Überflieger Peisthetairos und Euelpides – sie heißen bei Putz provokativ Dasgehtdireinscheißdreckan (Sylvana Schneider) und Fickdichinsknie (Sepp Klein), ihre körperlichen und geistigen Merkmale erinnern an Dick und Doof – entwickeln in der Folge einen plumpen Despotismus.
Von wegen Ort der Freiheit. Am Ende ist der Himmel die Hölle auf Erden. Jetzt werden dort sogar Vögel zu Machtzwecken gebraten. Der Aufstieg von Dasgehtdireinscheißdreckan und Fickdichinsknie gleicht den Populisten unserer heutigen Welt – denn sie leben erst durch Diffamierung, Ausgrenzung und Terror auf.
Spitzen gegen das Bodenseeforum
Die Dummen sind die komischen Vögel von „Fridays For Future“? Könnte man meinen. Aber umgekehrt wird ein Schuh draus. Das gerupfte Federvieh wirft ein neues Licht auf das hundsalte Lehrstück, das über böse Manipulation und politische Verführung Auskunft gibt.
Und das Federvieh, Laienschauspieler des Jungen Theaters, nimmt die eigene Stadt nicht aus, die sich den Klimanotstand an die Ökobrust heftet und weiter macht wie bisher.

Verbale Spitzen fallen gegen die Verkehrsflut und Grüne-Zettel-Wirtschaft, gegen kommunale Fehlplanungen (Bodenseeforum) oder überteuerte Destinationen (Mainau). Doch, es geht in diesem Stück, bei allen vorhersehbaren Abstürzen, auch um das Fliegen im Kopf.
Putz hat keinen Langweiler inszeniert – er gibt dem Klassiker etwas von einer farbenfrohen Revue. Es wird getanzt und gesungen, auch Reinhard Meys „Über den Wolken“ fehlt nicht. Eine parodistische Einlage. Sylvana Schneider und Sepp Klein, die Athener mit den unaussprechlichen Namen, strotzen vor Energie.
Fest des Sehens, Hörens, Staunens
Ihr leidenschaftliches und verkleidungsmunteres Spiel macht Spaß, der über den Bühnengraben in den Zuschauerraum fliegt. Die traumhaft komischen Szenen jagen einander.
Ein letzter Höhepunkt: Das clowneske Gefecht über das Wort Schirmherr oder Schirm her. Und dann noch die flirrend-flatterhafte Vogelschar – ein Fest des Sehens, Hörens und Staunens. Passend dazu die Bühne mit dem gestörten Idyll Bällebad plus schillernde Kostüme (Marie Labsch). Eine imponierende Gemeinschaftsleistung. Für alte und junge Zuschauer. Lernen geht immer.
Weitere Vorstellungen von „Die Vögel“ am Theater Konstanz gibt es am 25., 28. und 29. Juni 2019. Alle Informationen zu dem Stück finden Sie hier.