Es waren nur wenige Worte. Aber sie reichten, um zehntausende Musikfans in Hektik zu versetzen. „Ratet, wer wieder da ist“, so lautete die Botschaft, die die Veranstalter des Openair Frauenfeld über Twitter aussendeten: „Guess who’s back?“ Darunter das Schwarz-Weiß-Foto eines unrasierten Manns mit dunkler Kappe und gesenktem Blick. Den kleingeschriebenen Hinweis, sich jetzt ein Ticket zu sichern, hätten sich die Organisatoren sparen können. Die Fans hatten längst verstanden. Eminem ist wieder da! Nach acht Jahren Abwesenheit kehrt der Mann, der sich selbst einmal als „Gott des Rap“ bezeichnet hat, in den Thurgau zurück!

„Alleine in den ersten zwei Stunden nach der Bekanntgabe haben wir mehrere tausend Tickets verkauft“, bilanziert Festivalsprecher Joachim Bodmer. Zwischenzeitlich sei die Homepage unter dem Ticket-Ansturm zusammengebrochen. Das ist eine Woche her. Mittlerweile steht fest: Dank dem Rapstar ist das Openair Frauenfeld zum ersten Mal in seiner Geschichte schon ein halbes Jahr vorher ausverkauft.

Da staunt der Laie, und der Journalist wundert sich: Was ist es bloß, das 50 000 Menschen aller Altersgruppen im Juli nach Frauenfeld zieht? Die Kollegin vom Tisch gegenüber rät: „Wenn du das wissen willst, ruf einfach meinen Bruder an. Der ist ganz verrückt nach Eminem!“ Anruf bei Raphael Arndt. Eminem? „Ein Lebenstraum“, sei so ein Konzert, ruft er. Endlich gehe er für ihn in Erfüllung.

Ein Lebenstraum: Einmal Eminem live sehen

Raphael wuchs in Überlingen auf. Er ist 24 Jahre alt und arbeitet bei einer Consultingfirma in Stuttgart. Die Musik seines Liebslingsrappers begleitet ihn seit der vierten Klassse. „Letztes Jahr war ich in Budapest auf dem Sziget-Festival. Dort war eine Tafel aufgebaut, an die jeder schreiben konnte, was er vor dem Tod noch unbedingt machen will.“ Raphael schrieb: Einmal Eminem live sehen!

Als Marshall Bruce Mathers III – so Eminems bürgerlicher Name – um die Jahrtausendwende der Durchbruch gelang, sah er noch nicht unbedingt aus wie jemand, der Lebensträume wahr werden lässt: Wasserstoffblonde Haare, Ohrring und ein T-Shirt, das bis in die Kniekehlen schlabberte. In der Hand ein Mikrofon, mit dem er rotzfreche Spottsalven abfeuerte. Mal fiel George Bush den Reimen des „Slim Shady“ zum Opfer, mal Pamela Anderson oder die Backstreet Boys. Für seine größte Provokation konnte der junge Mann allerdings nichts: Er war weiß. In der von Schwarzen dominierten Rap-Szene kam Eminem damit die Rolle des Außenseiters zu. „Mich hat beeindruckt, wie er sich trotzdem durchgesetzt hat“, betont Raphael.

Damals, als er in der Grundschule auf Eminem aufmerksam wurde, waren es aber vor allem die energiegeladenen Melodien, die ihn begeisterten. „Und natürlich sein Flow!“ Mit diesem Wort wird der Sprachfluss beschrieben, den Rapper durch Intonation, Tempo und Sprachmelodie erzeugen. Eine Disziplin, in der Eminem früh glänzte. Einzigartig, wie er durch Betonungen Sinnzusammenhänge eröffnet. Und auch wenn er nie studiert hat – er wuchs als Sohn einer alleinerziehenden Mutter in den Elendsvierteln Detroits auf – ist sein Vokabular erstaunlich. Eine US-Studie, die die Texte von 93 Künstlern aus 25 Genres unter die Lupe nahm, fand heraus, dass Eminem die meisten unterschiedlichen Wörter verwendet.

Auf „The Marshall Mathers LP“ gelang es dem Rapper, dieses technische Können mit inhaltlicher Tiefe zu verankern. In dem Lied „Stan“ nahm er die Perspektive eines psychotischen Fans ein. In „The Way I am“ sezierte er, wie die Massenmedien auf seinen Erfolg reagierten. 2002 dann der vorläufige Karrierehöhepunkt: Der biographische Film „8 Mile“, in dem er die Hauptrolle übernahm. Der Titelsong „Lose Yourself“ wurde mit einem Oscar ausgezeichnet. Eminem war erwachsen geworden – und seine Fans mit ihm.

„Vor jedem wichtigen Bewerbungsgespräch, das ich bisher hatte, habe ich ‚Lose Yourself’ gehört“, verrät Raphael Arndt. „In dem Text geht es darum, die Chancen, die sich einem bieten, zu ergreifen.“ Die nächste große Chance für den jungen Mann: Das Openair Frauenfeld. „Ich habe mir schon freigenommen.“ Und auch, wenn Raphael das aktuelle, im Dezember erschienene Album „Revival“ nicht mehr ganz so begeistert wie die Frühwerke seines Idols, weiß er schon jetzt: „Spätestens, wenn ‚Lose Yourself’ kommt, springe ich im Dreieck vor Freude!“

Das Openair Frauenfeld findet vom 5. bis 7. Juli statt: www.openair-frauenfeld.ch

Das sagen unsere Autoren zum US-Erfolgsrapper Eminem

Virtuos wie einst Frank Zappa 

(Georg Becker 59, Lokalredaktion Radolfzell)

Eigentlich ist die Sängerin Dido schuld, dass Alben von Eminem in meinem Regal stehen. Ihr melodiöser und melancholischer Refrain auf dem Lied "Stan" befriedet mit dem eruptiven Rap von Slim Shady alias Eminem alias Marshall Bruce Mathers III und macht Eminem auch für fortgeschrittene Jahrgänge zugänglich. Wer dann das ganze Album "The Marshall Mathers" mehrmals angehört hat, sagt sich: hat was. Hat trotz des durchgehend harten Sprechgesangs überraschend viel Abwechslung in den Rhythmen. Und erinnert in seiner Virtuosität an den dramatischen wie schrillen Rock-Zampano Frank Zappa (1940-1993). Zappas Texte waren auch nicht immer stubenrein. 

Auf den Straßen von Detroit

(Lena Mehren, 25, Volontärin)

Eminem ist der König der musikalischen Steigerung. Wenn seine Musik im Auto aus den Boxen schallt, fangen bereits mit den ersten Schlägen die Finger an, auf das Lenkrad zu klopfen. Mit jeder weiteren Zeile muss der Körper zwangsläufig mitwippen. Sobald sich Eminem mit schnellen Rhythmen und passenden Silben dem Refrain nähert, ist es fast unmöglich, nicht selbst laut miteinzusteigen. Eminem erzählt mit großer Wortgewandtheit Geschichten und nimmt einen in jedem Song auf die Straßen seiner Heimatstadt Detroit mit. Seit ich selbst dort war, lasse ich mich noch lieber von Eminems unvergleichlichen Sprachkunst in eine Welt fernab des Alltags in ein anderes Lebensgefühl entführen.

Nur er reicht Snoop Dogg das Wasser

(Thomas Domjahn, 36, Redakteur Wirtschaft)

Warum Eminem auch mit 45 Jahren noch hip ist? Ganz einfach: Er ist der beste weiße Rapper der Welt. Niemand außer ihm kann lebenden Black-Music-Legenden wie Snoop Dogg, Busta Rhymes oder Dr. Dre das Wasser reichen. Wer das nicht glaubt, der soll einfach mal in "Chloraseptic" aus seinem aktuellen Album "Revival" reinhören. Wie sich Eminem dort in ein atemberaubendes Text-Feuerwerk reinsteigert, ist einfach große Kunst. Und seine alten Hits wie "My Name is" oder "The Real Slim Shady" sind sowieso Klassiker für die Ewigkeit. Als Fan der ersten Stunde verzeihe ich ihm sogar, dass er sich auf seiner neuen Scheibe von Pop-Sternchen wie Pink, Beyoncé oder Alicia Keys featuren lässt.

Wenn tief im Innern die Wut brodelt

(Wiebke Wetschera, 23, Volontärin)

Eminem macht das, was ein guter Rapper tun muss: Er schreibt Musik für alle Gefühlslagen. Egal ob traurig oder motiviert – seine Zeilen bieten immer den richtigen Sound. Allen voran stehen dabei die Titel „Lose Yourself“ und „Not Afraid“, Songs mit Rihanna und Alicia Keys perfektionieren den Musik-Mix. Wenn der Schweiß beim Training von der Stirn tropft und die Puste nachlässt, ist Eminem der Antrieb. Wenn die Wut tief im Innern brodelt und einfach raus will, dann kann sie durch seine Zeilen ausbrechen. Denn Eminem rappt fürs Leben – dafür, die Kapuze aufzusetzen und einfach weiterzumachen.