Kirill Serebrennikow ist nicht da. Statt des russischen Regisseurs kommt im Theater Basel am Ende des vom Publikum gefeierten „Barbiers von Sevilla“ seine Assistentin Julia Huebner auf die Bühne, die die Neueinstudierung dieser drei Jahre alten Produktion betreute. Serebrennikow ist nur auf einem Foto zu sehen. Der gegen ihn verhängte Hausarrest wurde zwar aufgehoben – seinen Reisepass hat er aber nicht zurückbekommen.
Huebner musste die Proben in Basel auf Video aufnehmen lassen und mit ihm besprechen, um seine kluge, komplexe und wunderbar leichte Inszenierung in Basel neu entstehen zu lassen. Dass es in der Inszenierung auch um das Spannungsfeld zwischen digitaler Kommunikation und echten Gefühlen, inszenierter Wirklichkeit und fehlender Nähe geht, verleiht dem herausragenden Musiktheaterabend eine besondere Note.

Almaviva hat sich in eine schöne Unbekannte verliebt. Rosinas Facebook-Profil, das auf die Bühne projiziert wird, hat er aber schon entdeckt: 186 Freunde – und viele Fotos, auf denen sie sich die Wimpern tuscht. Bei Almaviva steht unter dem Beziehungsstatus: kompliziert. Es kann also losgehen mit der digitalen Kontaktaufnahme.
Dafür ist Figaro zuständig, der, mit Handkamera gefilmt, vom hinteren Parkett aus für sein „Largo al factotum“ die Szenerie betritt. Gurgen Baveyan ist mehr schillernder Modezar als gewöhnlicher Barbier. Für Almavivas Schmacht-Cavatine „Se il mio nome saper vol bramate“ engagiert er einen langhaarigen E-Gitarristen (cool: Jan Fitschen).
Am Smartphone dabei
Der harte Sound verträgt sich gut mit Alasdair Kents leichtgängigen Koloraturen. Und da der Australier auch gekonnt vor der Kamera posiert, macht das Video von seinem Auftritt, das Rosina auf dem Smartphone verfolgt, großen Eindruck.
Ihr geht es nämlich nicht gut beim Oheim Bartolo. „Leb‘ hier mit dem totalen Tyrannen“, schreibt sie Almaviva im Chat. Bartolo (schön spießig: Andrew Murphy) ist Antiquitätenhändler und rein analog unterwegs.

In der von Vasilisa Berzhanskaya mit satter Tiefe und perfekt modellierten Verzierungen versehenen Cavatina „Una voce poco fa“ möchte diese Rosina Bartolo am liebsten von hinten erstechen, während er die von Berta (tragikomisch: Kali Hardwick) servierte Suppe löffelt.
Serebrennikow hält das Tempo hoch und sorgt für verstörende Momente, wenn er zum musikalisch durchgeknallten Finale des ersten Akts die Choristen mit blutiger Schürze oder schwarzer Krone auftreten lässt (Chorleitung: Michael Clark). Dirigent David Parry wählt flotte Tempi, von denen sich das Sinfonieorchester Basel nicht aus der Kurve tragen lässt. Auch die Ruhepunkte gelingen dem Briten mit großer Sensibilität.
Halten die analogen Gefühle?
Am Ende kommen Almaviva und Rosina doch analog zusammen, nachdem ihnen Figaro die Handys weggenommen hat. Aber die echten Gefühle werden doch wieder im Glamour erstickt.
Weitere Aufführungen von „Der Barbier von Sevilla“ gibt es am 25., 28. und 30. Oktober 2019 sowie am 1., 3., 9., 16., 19., 22., 25. und 30. November. Informationen dazu finden sie hier.