Dem armen Beethoven blieb im Leben wenig erspart und im Tode erst recht nicht. Kaum war er am 28. Februar 1827 verstorben, da schlichen bereits seine Diener und Bekannte an die Leiche und schnitten ihr Locke für Locke ab, um die wertvollen Reliquien teuer zu verkaufen. So war der Leichnam erst einmal kahlköpfig.
Noch weiter trieb es der Chirurg, der eigentlich die Taubheit des Musikers nachträglich prüfen sollte. Er schnitt nicht nur den Gehörgang auf, sondern trennte gleich das kahle Haupt vom Körper. Der Musiker, der in seiner Wiener Wohnung an Leberzirrhose verstorben war, wurde mit einem fremden Schädel beigesetzt – dem „eines Mulatten“, wie es damals hieß. Das fand man viel später heraus, als Beethoven exhumiert und – diesmal wissenschaftlich – untersucht wurde. Die Forensiker stellten fest, dass ein falscher Totenkopf auf dem richtigen Körper saß.
Ein totes Genie ist ein wertvolles Genie
Diese Geschichte ist gruselig und sagt doch viel über den Geniekult der Klassik aus. Und auch darüber, wie man mit Klassik gut Kasse machen kann, wenn man nur dreist genug ans Werk geht. Zwei Künstler haben aus diesen Tagen eine düster leuchtende Graphic Novel gemacht – ein Roman in Bildern. Es ist ein herrliches Buch geworden, mit teils ganzseitigen Bildern, in denen man minutenlang spazieren gehen kann und sich überlegt: Hätte ich damals leben wollen?
Eine Graphic Novel funktioniert wie ein Comic. Die Handlung wird vor allem in der h Illustration erzählt. Ergänzend dazu gibt es Sprechblasen, die sich auf wenige Sätze beschränken. Im Gegensatz zum Comic nimmt sich eine Graphic Novel gerne auch ernste Stoffe vor. Die Autoren (Texter, Zeichner) greifen klassische Stoffe auf, Novellen von Kleist oder Kafka. Oder sie verknappen bekannte Opern zum Bildroman.
Sprechen wir über Beethoven
Auch das Leben des genialen Musikers ist ein ernster Stoff. Vor allem wenn seine letzten Tage geschildert werden und die Zeit bis zu seiner Beisetzung. Genau darum geht es in dem Band: Beethoven tritt nur in der Rückblende auf. Er ist präsent, indem über ihn gesprochen wird. Er wird zitiert und vereinnahmt, ist Gegenstand der Wiener Konversation, wobei man sich den gedehnten Wiener Dialekt dazu denken kann. Der Autor Peer Meter lässt viele Zeitgenossen zu Wort kommen: Beethovens Diener Schindler, den Sektionsdiener (und Lockendieb) Dotter, den französischen Verehrer Louis Lefebvre, die Sängerin Henriette, eine Comtesse. Bis auf zwei Gestalten sind alle authentisch. Das biedermeierliche Wien entsteht vor dem lachenden Auge.

Im Komponierzimmer herrschte das Chaos
Das Rückholen einer verflossenen Ära gelingt. Es ist vor allem das Verdienst von Zeichner Rem Broo. Der 37-Jährige liebt die Details. Hingebungsvoll pinselt er die prächtigen Garderoben dieser Zeit, die kleinen Küchen, das Chaos in Beethovens Komponierzimmer. Immer wieder zeigt er die Architektur des alten Wien. Sie ist kaum wiederzuerkennen, da der Bau der Ringstraße zwei Generationen später die Hauptstadt völlig umpflügte und vom Engen ins Mondäne dehnte.

Jede Graphic Novel lebt von der Qualität der Bilder – der vorliegende Band lässt hier keine Wünsche offen. Man blättert von einer Szene zur nächsten und staunt über diese Epoche. Die Musik Beethovens ist nahe, doch seine Zeit mit ihren Auswüchsen an Geniekult und Schädeldiebstahl sind dann doch weit weg.
Peer Meter/Rem Broo: „Beethoven. Unsterbliches Genie.“ Graphic Novel, 141 Seiten, 22 Euro, Carlsen Verlag