Musik – eine nackte Frau, die verrückt durch die reine Nacht rennt. Das Gedicht „La Musica“ von Juan Ramón Jiménez war eine der Anregungen für das Stück „This Midnight hour“, mit dem Chefdirigent Gabriel Venzago den vielversprechenden Philharmonie-Abend im Konstanzer Konzil eröffnete. Die erst 2015 entstandene Orchesterstudie der englischen Komponistin Anne Clyde zieht gleich alle Register: Von der Popmusik inspirierte Ostinati, überfallartige Klangattacken und verschieden instrumentierte grelle Lautheit.
Thriller oder Liebesnacht?
Später wird es gelassener, weichere Töne werden angeschlagen, was wohl auf eine weitere Anregung zurückgehen dürfte, dem Gedicht „Harmonie du Soir“ von Charles Baudelaire. Das Aggressive verstummt aber nicht, die Spannung hält an, und es bleibt offen, ob es sich um einen Thriller oder um eine Liebesnacht handeln könnte. Gegen Ende versuchen zwei Solotrompeten in schönster Eintracht, mit tonalen Motiven die Harmonie zu retten.“... eine seltsame und schöne Komposition mit viel Feuer und Wut an beiden Enden und attraktiver Lyrik im Kern“, urteilte der Belfast Telegraph. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Traumwandlerische Sicherheit: Cellist Christian Poltéra
Schien bei Clyde noch alles ernst gemeint, genoss man beim nachfolgenden Cellokonzert von Samuel Barber die Lockerheit, das absichtslose Spiel mit Melodien, die sich verirrten und wieder zueinander fanden. Der herausragende Solist, Christian Poltéra am Cello, und die Philharmonie agierten eng verzahnt mit geradezu traumwandlerischen Sicherheit und ließen die gewaltigen technischen Anforderungen des Werkes vergessen.

Als Zuhörer konnte man die heitere Schwerelosigkeit des Stückes genießen, vermisste aber auch die Führung durch die wie ein Zaubergarten inszenierte Partitur, die viele Fragen aufwirft. Entschädigt wurde man aber mit den brillanten Kadenzen des Solisten, die dem Tanz einer Primaballerina gleichkamen. Großbeifall! Poltéras wunderbare Bach-Zugabe wirkte dann wie eine geniale Antwort auf alle ungelösten Barber-Fragen.
Das hat Weltklasse-Format
Eine mitreißende Interpetation, die den Vergleich mit renommierten Weltorchestern nicht scheuen muss, gelang Gabriel Venzago mit der 1. Sinfonie von Johannes Brahms. Nicht nur die Steigerungen hatten Profil, auch das Rückführen der Energie war perfekt organisiert, die Achtelmotive, die an Beethovens Fünfte erinnern, kamen kernig präzise, und Blechbläser samt Pauke waren wohltuend in den Gesamtklang eingebettet. Das Temperament, das Venzago einfließen ließ, aber auch die Ruhe, die er an den richtigen Stellen fand, war beeindruckend und die Liebe zum Detail in jedem Satz hörbar.
Clara Schumann hatte seinerzeit von Brahms schon eine Vorab-Partitur erhalten. Sie schrieb darüber an den Geiger Joseph Joachim: „Alles ist so interessant ineinander verwoben, dabei so schwungvoll wie ein erster Erguss; man genießt so recht in vollen Zügen, ohne an die Arbeit erinnert zu werden.“ Genau so klang es bei Venzago und der Südwestdeutschen Philharmonie.
Weitere Aufführungen: Sonntag, 17. März, 18 Uhr; Mittwoch, 20. März, 19.30 Uhr, jeweils im Konzil Konstanz. http://www.philharmonie-konstanz.de