Meine Freundin ist entsetzt. Und froh. Aber auch entsetzt. Sie ist Deutsche und lebt in Italien, ganz im Süden in einem Miniort. Endlich hat sie, nach viereinhalb Jahren Wartezeit – und nein, das ist keine Übertreibung aus literarischen Gründen, daher hier ein ehrliches Hoch auf die deutsche Bürokratie! – von der Kommune ihren Personalausweis erhalten. Super.

„Aber die wollten meine Fingerabdrücke“, sagt sie. „Ah“, antworte ich. Und denke, aber sage nicht: Das ist jetzt wirklich nichts Neues. „Verstehst du nicht?“, sagt sie, offenbar unzufrieden mit meiner emotionalen Beteiligung. „Die Fingerabdrücke!? Was ist, wenn ich zufällig wo war und irgendwo hinfasse und später geschieht genau da ein Verbrechen?“, sagt sie. Und schiebt hinterher: „Ich meine: Überwachung und so. George Orwell!“

Wage erinnere ich mich, dass auch ich ein ungutes Gefühl hatte, als es hieß, ab jetzt sind die Fingerabdrücke Pflicht beim Perso. Das war vor drei Jahren. Dann kamen sie und nichts passierte.

In China laufen sie auf Steinen

Ich erzähle meiner Freundin, dass in China Menschen Steine in ihre Schuhe legen, damit sich ihr Gang verändert. Denn: Die Künstliche Intelligenz, die der chinesische Staat nutzt, um seine Bürger zu überwachen, erkennt Personen am Gangbild. Abgesehen davon, dass das Haltungsschäden verursacht und chinesische Orthopäden sich vor Neukunden bestimmt kaum retten können, ist das eine sehr beängstigende Vorstellung.

Gerade wird innerhalb der EU über den Umgang mit künstlicher Intelligenz und auch Personenerkennung durch KI diskutiert. Welche Anwendungen sollen wie zulässig sein? Möglich ist viel: Straftäter auf der Flucht mittels Gesichts- (oder Gang-)scans in Sekunden finden. Bestimmt auch: Ladendiebe auf frischer Tat ertappen.

Und wie wäre, wenn eine KI Menschen, die ohne Ticket in den Bus steigen, direkt 60 Euro vom Konto abbucht? Oder einen lauten schrillen Pfeifton von sich gibt, wenn Nachbars Hund in ihr Blumenbeet kackt?

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Die Begeisterung für die Möglichkeiten hängt ab von den Fragen, die wir stellen. Wie: „Wollen Sie, dass Attentäter mittels Künstlicher Intelligenz schneller dingfest gemacht werden und Verbrechen sogar verhindert werden?“ oder: „Wollen Sie in dem Wissen leben, dass das, was Sie an bestimmten Orten tun, irgendwo gespeichert wird und theoretisch von einer KI gescannt werden kann?“

Geht es um andere, darf und soll überwacht werden. Geht es um mich, dann nicht. Ist es so einfach? Freiheit bedeutet eben auch, die Möglichkeit zu haben, sich falsch zu entscheiden. Was hätten Sie alles nicht getan in Ihrem Leben, in dem Wissen, dass es Sie so blitzschnell einholen kann, wie ein Journalist ein Ex-RAF-Mitglied via Gesichtserkennung findet?

Egal, wie die neue Realität mit KI-Personenscans aussehen wird, ich befürchte, wir gewöhnen uns schnell daran. So wie an weltweit verfügbare Fotos von uns in sozialen Medien. An Webseiten, die unsere Daten krallen – meine Güte, nehmt sie halt, Hauptsache, ihr hört auf, ständig nach Cookies zu fragen!

Oder an Fingerabdrücke auf Personalausweisen. Noch ist meine Freundin in Italien aber nicht so weit. Und hat eine Idee: „Ab jetzt“, sagt sie, „trage ich immer schicke 60er-Jahre-Handschuhe. Niemand kriegt meine Finger!“