Fotografen
Als der Maler Louis Daguerre 1839 das erste fotografische Verfahren entwickelte, deklamierte sein Malerkollege Paul Delaroche: „Von heute an ist die Malerei tot.“ Heute rufen die Tech-Jünger aus: „Die Fotografie ist tot.“ Mit Bildgeneratoren lassen sich kinderleicht fotorealistische Aufnahmen generieren. Man muss nur einen Eingabetext, einen sogenannten Prompt, formulieren, schon entsteht eine Fotografie.
Der Berliner Künstler Boris Eldagsen, der mit einem KI-generierten Fake-Bild einen – später von ihm abgelehnten – Fotopreis gewann, spricht von der „Promptografie“ als Nachfolger der Fotografie. Der Siegeszug generativer KI bedeutet nicht, dass morgen alle Fotografen arbeitslos werden. Aber ihnen wird es ähnlich ergehen wie den Porträtmalern bei der Einführung der Fotografie: Ihre Arbeit wird weniger, aber dafür exklusiver.
Call-Center-Mitarbeiter
Wenn ein Amerikaner in der Hotline einer Fluggesellschaft oder Bank anruft, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er an einen Mitarbeiter auf den Philippinen durchgestellt wird. Dort arbeiten über 1,3 Millionen Menschen in Call-Centern. Im Gegensatz zu Indern sprechen Filipinos mit einem neutralen Akzent Englisch und sind zudem mit amerikanischen Redewendungen besser vertraut. Das Call-Center-Geschäft macht mittlerweile rund acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Philippinen aus.
Doch die Jobs der Telefonisten sind durch die Automatisierung bedroht: Mit hochleistungsfähigen Chatbots lassen sich standardisierte Kundenanfragen viel schneller und billiger beantworten als mit Mitarbeitern aus Fleisch und Blut. Google hat bereits eine KI entwickelt, die autonom Telefongespräche durchführt und sogar Verlegenheitslaute wie „ähm“ oder „hm“ einstreut. Im Silicon Valley forschen Start-ups an Stimmveränderungssoftware, die den harten Akzent von indischen Call-Center-Mitarbeitern in einen wohlklingenden Brooklyn-Akzent färbt.
Models
Der amerikanische Jeans-Hersteller Levi Strauss (Levi‘s) hat für eine Werbekampagne einen computergenerierten Avatar kreiert, der nach einer afrikanischen Frau modelliert ist. Auch die Telekom warb um die Jahrtausendwende mit einem Avatar (Robert T-Online), doch das ist lange her und die Technik ist inzwischen viel weiter. Mithilfe von KI lassen sich Gesichter und Körper am Computer designen: Größe, Haarfarbe, Oberweite, das lässt sich alles konfigurieren, wie ein Neuwagen im Autohaus. Mit Lil Miquela gibt es bereits ein erfolgreiches Computermodel.
Der Avatar, der von seinen Entwicklern als brasilianisch-spanisches Model mit Sommersprossen und frecher Zahnlücke designt wurde und auf Instagram 2,8 Millionen Follower hat, wurde bereits für Kampagnen von Modelabels wie Dior und Calvin Klein gebucht. Eine virtuelle Influencerin hat einige Vorteile: Sie wird nicht müde, hat keine Launen und altert nicht. Das Modelbusiness war schon immer hart, aber durch Künstliche Intelligenz könnte das Geschäft noch ein bisschen härter werden.
Rechtsanwälte/Rechtsanwaltsgehilfen
In den USA hat ChatGPT Juraprüfungen bestanden, in der kolumbianischen Stadt Cartagena konsultierte ein Richter das Sprachmodell, um einen sozialrechtlichen Fall zu bewerten. Die juristische Ausbildung besteht darin, Studenten die Fallbearbeitungs- und Subsumptionstechnik zu vermitteln. Diese Logik können sich selbstlernende Systeme rasch aneignen.
Der Lernalgorithmus kann sich durch haufenweise Literatur und Urteile wühlen und aus der Verknüpfung von Normen und Entscheidungen Regelmäßigkeiten ableiten. Standardisierte Fälle etwa im Verkehrsrecht könnte die Maschine schneller und billiger als ein Anwalt bearbeiten. Schon heute nutzen US-Kanzleien KI-Software, um Vertragsdokumente zu analysieren oder Bausteine für Gutachten zu formulieren.
Synchronsprecher/Sänger
Per Sprachsynthese ist es heute möglich, einen Text mit der Stimme eines Schauspielers oder Sängers zu vertonen. „Satisfaction“ von den Rolling Stones mit der Stimme von John Lennon? Ocean‘s Eleven mit der Stimme von George Clooney auf Chinesisch? Kein Problem. Die KI erzeugt eine Audio-Datei, die sich als Tonspur unter Filme oder Songs legen lässt. Synchronsprecher, auf die in Skandinavien aufgrund des kleinen Sprachraums schon seit jeher verzichtet wird, braucht es nicht mehr. Einer der ersten Kreativschaffenden, die durch KI ihren Job verloren haben, ist Alejandro Graue.
Der argentinische Synchronsprecher arbeitete unter anderem als spanische Stimme für einen YouTube-Kanal. Als er eines Tages ein Video abrief, musste er feststellen, dass die Stimme von einer KI synthetisiert worden war. „Es war eine automatisierte Stimme, sie hatte kein Volumen, keine Nuancen, keinen Rhythmus“, erzählte er dem Sender „Euronews“. Als er die Produktionsfirma kontaktierte, wurde ihm schriftlich mitgeteilt, dass man ihn als Synchronsprecher nicht mehr benötige.
Designer
Im Januar 2021, im tiefen KI-Winter, präsentierte die Entwicklerorganisation Open AI verschiedene Modelle eines „Avocado Chair“: Die Entwürfe eines Stuhls in der Form einer Avocado, die teilweise aussahen wie Designermöbel, hatte der Text-zu-Bild-Generator DALL-E kreiert. Damals staunte die Welt über das Potenzial generativer KI.
Längst ist das multimodale Modell in der Industrie angekommen: Der Nahrungsmittelhersteller Nestlé etwa nutzte DALL-E für eine Werbekampagne für Milchprodukte, der US-amerikanische Spielzeughersteller Mattel, um Modellautos zu designen. Für Grafikdesigner könnte die Luft bald dünner werden. In China verlieren gerade reihenweise Illustratoren ihre Jobs, weil Computerspielentwickler Avatare und Werbematerial mithilfe von Bildgeneratoren gestalten.
Autoren
Im Sommer 2023 traten in Hollywood 11.000 Drehbuchautoren in den Streik. Die Kulturschaffenden fürchten, dass sie ihre Jobs verlieren, wenn künftig Skripte von Schreibrobotern generiert werden. Die Gewerkschaft der Writers Guild of America (WGA), die zu diesem Streik aufgerufen hatte, fordert Beschränkungen für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Filmindustrie, sowohl was die Produktion computergenerierter Skripte als auch die Verwendung von urheberrechtlich geschütztem Material betrifft.
Natürlich wird eine KI nicht von heute auf morgen das Skript für den nächsten „Bridgerton“-Roman schreiben und für das beste Drehbuch bei den Oscars nominiert werden – dafür sind die Entwürfe von Textgeneratoren noch nicht originell genug. Doch Streamingdienste wie Netflix, Apple TV+ oder Amazon Prime Video könnten Textroboter dazu nutzen, billig und in Serie Drehbücher zu schreiben, die dann von einer Handvoll übriggebliebener Autoren verfeinert und aufbereitet werden – der Rest der Branche würde dann in die Röhre schauen.
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