Mit den ersten Dominosteinen und Schoko-Nikoläusen im Supermarkt könnte man sich ja schon mal daran machen, die Christbaum-Lichterketten zu entwirren. Damit die Schreierei mal ausbleibt, die Beschuldigungen, wie dumm man sein kann, die Kette so und nicht so zusammengelegt zu haben.
Ich habe schon alles probiert, um dieser entwürdigenden Situation zu entkommen: Ich habe diese Drecks-Lichterketten schon um Pappe-Rollen gewickelt, Papier dazwischen gelegt – alles! Nichts hilft. Ich hasse Lichterketten. Der guten Stimmung wegen würde ich am liebsten den Baum samt Lichterketten auf die Straße schmeißen. Geht natürlich nicht – wegen der Nachhaltigkeit – außerdem kriegen dann die Elefanten im Zoo Verdauungsprobleme.
Oliver Wnuk: Den Christbaum wegwerfen? Ach, nein …
Bis letztes Jahr lebte ich noch in Berlin, und da hieß es, dass die ausgedienten Christbäume in den Zoo gehen – als Elefantenleckerbissen. Bei 25 Millionen Weihnachtsbäumen, die in Deutschland jährlich verkauft werden, müsste es hier jedoch mehr Elefanten als in Afrika und Indien zusammen geben.
Die allermeisten Christbäume landen zum Schreddern im Wertstoffhof oder in einem Biomassekraftwerk. Ich gebe es offen zu – ich leide an einer Christbaum-Wegwerf-Hemmung. In meinem Rekordjahr stand die Nordmann-Tanne bis kurz vor Ostern auf dem Balkon. Da hat man dann natürlich das Problem, dass sich von den Abfallbetrieben keiner mehr für die Entsorgung verantwortlich fühlt. Ich habe sie ans Nachbarhaus gestellt.

Heiligabend werde ich wahrscheinlich mit meinen Eltern verbringen. Am Weihnachtsabend lässt sich gut festmachen, wie sich die Welt im Kreise dreht und man letztlich wieder dahin kommt, von wo aus die Reise begonnen hat.
Sind Sie denn ein guter Schenker? Ehrlich gesagt bin ich darin nur mittelprächtig begabt. Als Beschenkter kommt jedoch meine berufliche Expertise zum Tragen: Es ist ja meist eine Sache von Millisekunden, in denen man für sich entschieden hat, ob ein Geschenk super, ganz brauchbar oder völlig daneben ist – und meistens ist es eben nicht so super. Klar, es geht um die Aufmerksamkeit, um die Geste. Aber ganz ehrlich, wer will schon ein Nagelfeilenset oder einen Flaschenöffner zu Weihnachten geschenkt bekommen?
Rat des Schauspielers aus Konstanz: Obacht! Nicht übertreiben!
Mittelmäßigen Geschenken überzeugend Wertschätzung zukommen zu lassen, ist die Königsdisziplin der Schauspielerei. „Hey, was ist denn das? Ja super … ein lustiger, ja, doch, das ist ja ein Flaschenöffner, ah … Haha, der ist aber jetzt mal wirklich lustig. Hab‘ ich jetzt so ja noch nie gesehen …“
Obacht! Nicht übertreiben! Sollte nicht so wirken, als hätte man gerade eine Eigentumswohnung überschrieben bekommen. „Ach? Und wenn man hier dreht, dann … ah, dann geht das Gewinde in den Korken!“ Sich neugierig zeigen, ist besonders wichtig. Je beschissener das Geschenk, je neugieriger zeigen Sie sich. Warum? Um nicht zu verletzen, denn Weihnachten ist doch das Fest der Liebe. Sie finden das verlogen – das mag sein. Denken Sie einen Moment über die Alternativen nach und sagen dann einfach: „Das ist ja super. Kann ich gut gebrauchen. Vielen Dank.“
„Bitte nur Bargeld oder per PayPal.“ Schade, dass man das nicht auf die Einladungskarte schreiben kann. Denken alle, man macht Witze, und bringen dann stattdessen doch einen Bildband über skandinavische Eislandschaften oder eine Flasche Wein mit. Wobei, Wein ist okay. Selbst mein zehnjähriger Sohn hat mir letztes Jahr eine Flasche Wein geschenkt. Ob er das richtige Bild von mir hat? Im Zweifel schon. Und ganz ehrlich, eine Flasche Wein ist natürlich besser als was Selbstgemaltes.
Ja, ich weiß! Jetzt heißt es, wie herzlos – das darf man doch nicht so schreiben. Aber mal Karten auf den Tisch: Eine Flasche Wein ist besser als Selbstgemaltes. Außerdem gibt‘s Selbstgemaltes das ganze Jahr über. Wird viel aus dem Kindergarten eingeschleppt. Es gibt Herbst-, Frühjahrs-, Vatertags-, Erntedank-, Marienkäferschlüpfzeit-Bilder. Wie Atommüll – sehr schwer abbaubar. Man kann es ja nicht einfach wegschmeißen. Dabei platzt die Endlager-Schublade schon aus allen Nähten.
Ach … Sie wissen längst, dass Zynismus nur ein Versuch ist, vom eigenen Schmerz abzulenken. Ich habe so viele schöne wie bittere Erinnerungen an dieses Fest: Früher haben wir viel in Frankreich mit der französisch-spanischen Familie gefeiert. Jeder hat das Jahr über was zur Seite gelegt, um an Heiligabend Köstlichkeiten aus der jeweiligen Region auffahren zu können. Bis zu 30 Angehörige saßen um den Tisch und es wurde gegessen und getrunken bis nachts um 3 Uhr. Die Großeltern tanzten Flamenco und alle guckten selig zu.
Manchmal kochte mein Großvater am nächsten Mittag Paella auf einer brennenden Mülltonne. An einem Morgen bekam mein Onkel einen Herzinfarkt und verstarb, weil der Krankenwagen zu lange bis zu dem Dorf brauchte, in dem wir wohnten.
Von Weihrauch bekifft
Wo ich schon überall den Weihnachtsmann gesucht habe? Ein Kind an der einen und die Taschenlampe in der anderen Hand. Als Kind habe ich an Heiligabend auch oft ministriert. Melancholie pur und der Kopf bekifft vom Weihrauch. Letztes Jahr fand ich mich auch in der Kirche wieder und beobachtete die Gläubigen und Nicht-Gläubigen, wie sie die Krippe bestaunten. Alle sahen so aus, als säßen sie später noch in der wohltemperierten Wohnstube bei Gänsekeule, Wein und Nachtisch.
Die, die wir hier leben dürfen, keinen Krieg vor der Haustüre, gerade nicht unter einer Flutkatastrophe oder an Hunger leiden; die, die wir uns nicht auf der Flucht befinden – meine Güte, geht es uns gut. Wir, die wir gesund sein dürfen oder die wir einen Weg gefunden haben, mit unserer Krankheit umzugehen – meine Güte, geht es uns gut. Ich will nicht moralinversauert daherkommen – aber es ist doch wahr, verdammt noch mal: Die, die wir wegen eines Nasenhaartrimmers unterm Weihnachtsbaum die Stirn in Falten legen – rechts und links gehört uns eine geschallert – denn uns geht es so gut!
Selbst wenn man nicht gläubig ist – die Geburt eines Menschen zu feiern, der sein Leben der Nächstenliebe widmete, dem sich und seinem Nächsten Bewusstwerdens – das macht schon sehr viel Sinn. Sich darüber klar werden, was einem alles schon geschenkt ist und nicht, was einem noch fehlt. Wenn man sich auf diesen Gedanken einlässt, wirkt Vermissen äußerst vermessen. Frohe Weihnachten.