Christian Moosmann hat heute Morgen nur wenig Zeit. Seine 37 Milchkühe, zehn Ziegen, Mastschweine und einige Hühner wollen versorgt sein – seine ganze Familie packt mit an. Der Senner der Batzenalpe unterbricht kurz sein Tagwerk, zwischen Melken am Morgen und Käsen, Drehen und Bürsten der Käselaibe, Zäune reparieren über Mittag bei den Kühen draußen. Und dann abends wieder Melken, im Kreislauf.
So macht es der gelernte Käsemacher bereits 23 Jahre hier oben ohne großen Maschineneinsatz auf 1600 Metern Seehöhe. Gegenüber vom Körbersee, seit Instagram zum Hotspot für Selfiestangen geworden, ragt 1000 Höhenmeter weiter oben das Massiv der Braunarlspitze empor, mit 2649 Metern der höchste Berg im Bregenzerwald. „Den Fernseher können wir uns sparen“, kommentiert Moosmann das Panorama.
Saftig grüne Wiesen auch im trockenen Sommer
Die Alpe Batzen liegt im Auenfeld auf saftig grünen Wiesen, selbst in einem der trockensten Sommer seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Was für vorbeikommende Wanderer wie Tolkiens Auenland wirkt, erklärt Moosmann mit der Topografie der umliegenden Berge, dem „Nord-West-Stau“. Und zeigt auf Wolken, die dort oben hängen bleiben und genau hier an dieser Stelle abregnen.
Moosmanns Nachbar von der Alpe Felle, nur ein paar hundert Meter Luftlinie entfernt, hat die Saison auf der Hochalpe bereits Ende August beendet. Die Genossenschaft dort ist mit ihrem Vieh wieder in Richtung Tal gezogen, aufs Vorsäß – Teil der für diese Region typischen Dreistufen-Landwirtschaft.

Denn die Flächen fürs Gras, was für die Heumilch nun mal in rauen Mengen benötigt wird, sind begehrt – selbst hier oben. Wie das Wasser. Eine Milchkuh braucht für einen Liter Milch etwa drei Liter Trinkwasser – bei Hitze sind es mehr. Unter der Erde von Moosmanns Almwiesen liegt passend dazu eine der wichtigsten Quellen für die Bregenzer Aach, die in den Bodensee fließt.
Nachhaltigkeit war schon immer ein Thema
Eine Fahrtstunde flussabwärts, entlang der Käsestraße, hat sich Ingo Metzler ganz ähnliche Fragen wie Moosmann gestellt in Zeiten globaler Krisen und dem Trend zu Großmolkereien. Größer bauen oder gar den Hof in Gänze aufgeben? Metzler überlegte zwischenzeitlich, die Viehwirtschaft komplett aufzugeben. Doch seine Jungs protestierten. Ganz ohne Tiere, das ginge nicht, wäre nicht nachhaltig.
Nachhaltigkeit, das sei in den Bergen ebenso wie im Tal schon früh ein Thema gewesen, so Metzler. Schließlich wolle man möglichst wenig wegschmeißen. „Leider ergibt ein Liter Milch nur 100 Gramm Käse“, stellte er fest. Wohin also mit dem Rest, fragte er sich: „Wie lässt sich auch dieser zu Geld machen?“
Metzler verfütterte die übrig bleibende Molke zuerst an die eigenen Tiere. Und dachte bei der Fütterung über Folgendes nach: „Wie wäre es, diese Molke in Fuß- und Handcremes zu verarbeiten?“ Ein Gedanke, den bereits Hippokrates gehabt habe. Über 400 verschiedene Wirkstoffe seien in der Molke enthalten – „und somit eine gute Basis für Körperpflege“.
Gesamte Wertschöpfung in einer Hand
Mittlerweile, 20 Jahre später, entwickeln und produzieren Metzlers eine Handvoll Angestellte in Festanstellung Käse und Kosmetik direkt nebeneinander – in geringer Stückzahl: „Wir machen vieles wenig statt von wenigem viel“, trotzt der Kosmetik-Käsemann den Gesetzmäßigkeiten des Weltmarkts. „Wir behalten die gesamte Wertschöpfung bei uns“, berichtet er selbstbewusst.
Durch Geothermie und Solarenergie produziert der Familienbetrieb mehr Wärme und Strom, als sie selbst benötigen. „Auch in der kalten Jahreszeit“, fügt Metzler hinzu. Und zeigt mit seinem Finger über die Photovoltaik-Paneele hinaus in Richtung Berge.

Dort, am Ende des Tals, hat Familie Schwarzmann in Schröcken mit ihren vier Kindern, Isabelle (12), Lorenz (17), Paul (22) und Jakob (25) diesen Sommer endlich ihren Traum verwirklicht. Ihr Berghaus, in der siebten Woche geöffnet, soll ein Basecamp werden für Menschen, die die Berge genauso lieben wie sie. Besonders Familien seien willkommen.
„Einfach ein x-beliebiges Hotel, das wollten wir nicht bauen“, sagt der Älteste der sechsköpfigen Familie. Kürzlich hat Jakob seine Meisterschule abgeschlossen, übt Schlagzeug fürs nächste Dorffest und kann sich vorstellen, bald den Familienbetrieb zu übernehmen. So baut er im Erdgeschoss für sich und seine Freundin, Julia aus Dornbirn, seine eigene Wohnung aus – in den drei Etagen oben drüber wohnen die Gäste.
Die Familie will wie die Metzlers die Wertschöpfung behalten, in der Familie, so auch im Dorf – mit nochmals vier Vereinen: Feuerwehr, Bergrettung, Musikkapelle und gegenüber der Kirche. „Ein richtiges Vereinsmeier-Dorf“, findet Jakobs jüngerer Bruder Paul. „Wir sind überall aktiv, in gleich mehreren Vereinen.“ Und das solle auch so bleiben.
Seit zehn Jahren ist Schröcken an das Arlberg-Skigebiet angeschlossen – über den Skibus nach Warth, den Auenfeld-Jet nach Lech rüber, nahe der Batzenalpe, und die eigens präparierte Dorfabfahrt.
Schröcken ist beschaulich geblieben. So macht der Tourismus hier im Bregenzerwald lediglich 40 Prozent aus, genauso viel wie das Handwerk, darunter Tischlereien wie die der Familie Schwarzmann – sie deckt beides ab. Die restlichen zehn Prozent verteilen sich auf Land- und Viehwirtschaft. Die hielt ihre Großeltern-Generation ebenfalls noch am Laufen.
Viel Freizeitprogramm gab es dann, anders als heute, allerdings nicht: „Sie stiegen mit Fellen auf einfachen Esche-Ski die steilen Berghänge rund um das Dorf empor.“ Aufregende Stürze habe es da gegeben, aber auch viel Spaß, berichtet Tischler Georg Schwarzmann, 52 Jahre alt. Sein Großvater Alwin engagierte sich ehrenamtlich im Gemeinderat als Gründungsmitglied im SC Schröcken. Er war über 40 Jahre im Zunftverein und wirkte sogar eine Zeit als Vizebürgermeister.
Umweltschutz fängt im Haushalt an
„Bergkompetenz ist uns wichtig“, heißt es an Alwins Stammtisch. Die Wälder, wie die Menschen sich hier nennen, bereiten sich vor. Sie wappnen sich für Zeiten grünerer Berge, auch im Winter. Der Hochgletscher an der Mohnenfluh, weithin sichtbar, ist im Sommer kaum noch als Schneefeld erkennbar. Umweltschutz fange, so die gelernte Touristikkauffrau Steffi Schwarzmann, bereits im Haushalt an. Etwa bei der Wahl des Putzmittels, welche Seife ihre Gäste künftig bekommen, vielleicht ein Zusatz von Metzlers Produkten.
Familie Schwarzmanns liebster Platz in ihrem neuen Domizil ist direkt vorm Haupteingang, neben einem großen Sandkasten. Ihre Blicke schweifen dabei vom Trinkwasserbrunnen am Apartment-Komplex vorbei über die Kirchturmspitze hinaus. Dahinter ragt der Hochberg hervor, ein Grasberg der „Sieben Summits“ vorm Haus, auf welche Wander-Guides Gäste gerne begleiten – auf ihrer Suche nach Erdung, Kreisläufen der Natur, Bergkräutern und dem einen (oder anderen) Stammbaum.