Thea Stroh

Als der Mensch die Idee eines übernatürlichen Wesens entwickelte, entstanden die ersten Masken. Es gibt sie in allen Kulturen: Noch heute sind sie etwa bei indigenen Völkern im Gebrauch, wenn es gilt, Schutzgottheiten anzubeten oder böse Geister abzuschrecken.

Plötzlich ein Aufreger

Und doch werden Masken hierzulande plötzlich zum Aufreger. Was stört uns an ihnen? Ist es der fehlende Tragekomfort? Oder eher die Angst vor dem Unbekannten? Ein Blick in die Kulturgeschichte zeigt: Masken sind weder neu noch ungewöhnlich. Und einen Anlass, sich über sie zu ärgern, boten sie im Lauf der Zeit nur selten.

Was Masken neben Schutz leisten, ist kurz gesagt: Mit der Maske kann man eine andere Rolle einnehmen und damit aus kultureller Sicht seine Daseinsform wechseln. Beim Maskentragen im rituellen Kontext ging es niemals darum, einen Gott oder Dämon nur dazustellen. Vielmehr wurde der Träger selbst zu einem anderen Wesen. Die Maske als wahrhaft magisches Ding.

Schau mir in die Augen: Eine Frau betrachtet in einer Ausstellung eine  antike Maske, die in der römischen Kaiserzeit entstand.
Schau mir in die Augen: Eine Frau betrachtet in einer Ausstellung eine antike Maske, die in der römischen Kaiserzeit entstand. | Bild: Ralf Hirschberger

Im antiken griechischen Theater benutzten die Schauspieler typisierte Masken, um die Gefühle ihrer Rollen besser zum Ausdruck zu bringen. Auch hier bleiben unserer Zeit Überbleibsel erhalten, etwa die lachende und die weinende Maske als Symbol für die traurige Tragödie und lustige Komödie, die uns bis heute als Piktogramm in Reiseführern und Kulturprogrammen begegnen.

In der Theaterkunst verschwanden die typisierenden Masken im Lauf der Jahrhunderte, geblieben ist nur der Beruf des Maskenbildners und das Symbol der Maske für den Rollenwechsel. Die Schauspieler setzen ein zweites, fremdes Gesicht auf, um es als ihr eigenes vorzuführen.

Rollenwechsel mit Ankündigung

In diesem Kontext gibt es also keinen Grund zum Ärgern über das Ablegen des menschlichen Werktagsgesichts. Vor allem deshalb, weil der Rollenwechsel ja verabredet ist: Wir stellen uns darauf ein, nicht mit Alltäglichem gelangweilt, sondern von außergewöhnlichen Gestalten verzaubert zu werden.

Der Stachi gehört zur historischen Villinger Fasnet.
Der Stachi gehört zur historischen Villinger Fasnet. | Bild: stock.adobe.com – mariposa78

Diese unproblematische, weil vorab vereinbarte Maskierung spielt allerdings nicht nur im Theater wortwörtlich eine wichtige Rolle. Was wäre etwa die Fasnet ohne Kostüme? Auch in unseren fortdauernden Brauchtümern bleibt die kulturell tradierte Maske ein wichtiger Bestandteil. In der Karnevals- und Fasnachts-Tradition, an Halloween oder bei der Figur des Clowns im Zirkus bleibt der erwartete Aufschrei aus.

Inkognito zum Maskenball

Weitere Beispiele aus der Geschichte gefällig? Auch auf höfischen Maskenbällen tanzten Adelige gern inkognito. Hier wurde die Verhüllung gerade zum Reiz des Unbekannten. Die venezianische Gesellschaft dehnte den Maskenball sogar kurzerhand in den Alltag aus: Ab dem 17. Jahrhundert wurde es Mode, die Masken auch außerhalb der Feste auf der Straße zu tragen, um sich unerkannt bewegen zu können – allerdings nicht ohne einen entsprechenden Anstieg der Kriminalität auf den Straßen.

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Ganz anders dagegen ist der Zweck jener Maske, die als Gesichtsverlust eine schwere Ehrenverletzung bedeutete: die Schandmaske. Wer sich im 17. und 18. Jahrhundert wie ein Schwein benommen hatte, der musste einen eisernen Eberkopf tragen. So wurde die Person vorgeführt, wie sie von der Gesellschaft gesehen wurde. Ähnliche Absichten verfolgten so manche Pädagogen bis ins 20. Jahrhundert hinein, wenn sie missliebigen Schülern eine Kappe mit Eselsohren überstülpten.

Auf einem Mittelalter-Markt setzt ein Henker (links) einem Mann die Schandmaske auf.
Auf einem Mittelalter-Markt setzt ein Henker (links) einem Mann die Schandmaske auf. | Bild: Mathias Ernert, dpa

Spannender Fakt: Eigentlich verdrängt seit dem Mittelalter die Schminkmaske immer mehr feste Masken. Nur bei unseren Brauchtümern setzte sich dieser Trend nicht unbedingt durch – in Fasnet und Co. halten wir beständig fest an festen Masken. Und das, obwohl die geschnitzten und geformten Auflagen unsere Gesichter viel mehr verbergen als ein gut platzierter Farbstrich auf dem Augenlid – oder die Mund-Nase-Bedeckung.

Digitaler Avatar

Doch auch hier zeigt sich mittlerweile der Einfluss unserer Zeit. Im Fasnachtsmuseum Schloss Langenstein wird uns vorgeführt, wie sich Tradition und moderne Technik verbinden lassen. Hier können wir uns inzwischen digital mittels einer Maske eine andere Rolle aneignen. Und zwar mit Avataren (so wie auch in vielen Computerspielen), Apps oder mit personalisierten Facebook-Stickern. Und wieder reizt uns die Verwandlung mehr, als dass sie uns stört.

Museumsguide mit Federhannes-Maske: Das Fasnachtsmuseum Schloss Langenstein entwickelt ein intelligentes Guidesystem.
Museumsguide mit Federhannes-Maske: Das Fasnachtsmuseum Schloss Langenstein entwickelt ein intelligentes Guidesystem. | Bild: Fasnachtsmuseum Schloss Langenstein

Schließlich befassen sich auch Kreative mit dem zwiespältigen Phänomen. Besonders in der bildenden Kunst der Moderne, in den Strömungen des Dadaismus, Surrealismus und Expressionismus, war das Interesse an der Maske groß. Ozeanische Masken machten die europäische Kunst magischer. Bis heute führen uns Künstler die paradoxen Möglichkeiten des Zeigens und Verbergens, der Verschleierung und der (digitalen) Selbstoptimierung vor. Sie wollen zeigen, dass wir in einer Gesellschaft leben, die ohne Unterlass real und virtuell neue Gesichter hervorbringt.

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Was das nun für das Tragen von Mund-Nase-Bedeckungen bedeutet? Auch sie lässt uns in eine andere Rolle schlüpfen, vielleicht in die eines sorgsamen Mitbürgers und pflichtbewussten Mitglieds der Gesellschaft. Das, was uns im Moment allerdings noch fehlt, sind Gewohnheit und Akzeptanz für die schnelle Verwandlung.