Frau Roos, wann waren Sie denn das letzte Mal unvernünftig?
Och, ich bin eigentlich immer unvernünftig (lacht). Und ich bin sehr gerne unvernünftig. Weil ich nur noch die Sachen mache, die ich gern mache.
Waren Sie früher vernünftiger?
Ja, ganz klar. Ich habe sehr viel mehr vom Kopf abhängig gemacht als vom Bauch. Das ist aber nicht gut. Heute lebe ich spontaner und habe mir vorgenommen, das Leben zu genießen. Es passiert doch so viel Schönes. Und warum sollte man nichts riskieren? Nur, weil man nicht weiß, wie es ausgeht. Nein, das ist egal. Ich wage gern etwas.
War ihre Teilnahme an „Sing meinen Song“ ein solches Wagnis?
Das war einfach ganz toll. Diese Sendung ist ein Geschenk. So etwas machen zu dürfen, fühlte sich für mich wie ein Ritterschlag an. Ich habe den Redakteur gefragt, was sie sich dabei gedacht hätten, als sie meinen Namen ins Spiel brachten. Er meinte, als mein Name fiel, hätten sofort alle in der Runde „Ja“ gerufen. Das ist ein großes Kompliment. Also habe ich zugesagt und bin nach Südafrika gefahren. Die Stimmung dort war genau so, wie ich es mir gewünscht habe: Respektvoll, mit offenen Armen, sehr warm und herzlich.
Plötzlich werden Sie von einer ganz neuen Generation entdeckt, oder?
Total. Durch die Sendung erreiche ich sehr viele junge Menschen. Ich finde, das ist ein großes Glück.
Mit „Bauch und Kopf“ haben Sie ein Lied des „Sing meinen Song“-Gastgebers Mark Forster aufgenommen. Warum?
Ich wollte etwas aus der Sendung mitnehmen, und gerade dieses Stück liegt mir sehr am Herzen. Inzwischen ist es so ein bisschen mein Lebensmotto geworden, auf den Bauch zu hören. Der Bauch ist der Mutigere. Der Kopf sagt zu oft „Lass das lieber sein“.
Sind Sie mutig?
Ich denke schon. Ich habe zum Beispiel vor Jahren in einem Musical in Frankreich die Hauptrolle gespielt, ohne ein einziges Wort Französisch zu können. Oder ich bin mal Fallschirm gesprungen. Das war richtig klasse, es lohnt sich auf jeden Fall.
Erfordert es auch Mut, das Wort „Arsch“ zu singen?
Nö, das ist ja Umgangssprache. Außerdem ist das Mark Forsters Text. Warum sollte ich plötzlich „Po“ singen? Das passt nicht und reimt sich auch nicht.
Viele ihrer Kolleginnen und Kollegen sind alles andere als kontaktfreudig. Sie schon?
Aber hallo! Meine rheinische Mutter bricht in mir immer stärker durch. Neulich kam mir auf der Straße eine Frau entgegen, die besonders hübsch war. Ich sagte „Sie sehen ganz toll aus“, da hat sie sich sehr gefreut. Ich bin oft erstaunt, wie viel man mit ganz einfachen Mitteln bewirken kann. Ich quatsche sowieso gerne Leute auf der Straße an, da kenne ich nichts.
Sie kommen also schnell mit Menschen ins Gespräch?
Ja. Ich liebe das. Ich habe ja keinen Führerschein, und wenn ich vorne in den Bus steige, dann sage ich erstmal „Guten Tag“. Dann gucken immer alle ganz verwirrt und lachen. Und dann wird es eine schöne Fahrt. Ich gehe gern auf Menschen zu. Einfach freundlich sein – das ist mir sehr wichtig.
Ihr Sohn Julian ist Anfang 30 und arbeitet in ihrer Managementagentur. Was haben Sie für ein Verhältnis?
Ein wunderbares. Eine typische Mutter-Sohn-Beziehung. Wir verstehen uns oft auch ohne viele Worte. Dieses Vertrauen ist unbezahlbar. Darüber bin ich sehr dankbar! Julian sagt immer „Meine Mutter traut sich an alles und jeden“. Und er hat recht.
Sie gelten als die deutsche Schwulenikone schlechthin. Macht Sie das stolz?
Ja, das ist eine Auszeichnung. Ich kann es manchmal gar nicht glauben; bin immer wieder überwältigt bei meinen Auftritten, wie viel Sympathie mir entgegenschlägt. Ich genieße das total. Sicher spielt auch eine Rolle , dass ich gleichgeschlechtliche Liebe als erste im Schlager, in „Bevor du einen Mann liebst“, thematisiert habe. Ich setze mich schon seit vielen Jahren für die Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben ein. Liebe ist ein universelles Thema und sollte nicht abhängig von irgendwelchen Gender-Diskussionen sein.
Fragen: Steffen Rüth
„Sing meinen Song“ läuft am Dienstagabend, 29. Mai, um 20.15 Uhr auf Vox.
Zur Person
Mary Roos, 69, trat bereits als Neunjährige auf, als ein Musikproduzent auf sie aufmerksam wurde und mit ihr eine Schallplatte („Ja, die Dicken sind ja so gemütlich“) aufnahm. Aus Marketing-Gründen tauschte sie ihren bürgerlichen Namen Rosemarie schon bald in „Mary“ um. Unter diesem Künstlernamen gelang ihr 1970 der Durchbruch mit „Arizona Man“. Erfolgreich waren auch „Ich werde geh’n heute Nacht“ (1979), „Lady“ (1982) und „Aufrecht geh’n“ (1984). Dieser Tage ist ihr neues Album erschienen. Der Titel: „Abenteuer Unvernunft“. (brg)