Es ist jeden Tag dasselbe Bild: Vor den medizinischen Analyse-Labors, in denen in Frankreich vom Arzt verschriebene Untersuchungen vorgenommen werden, bilden sich von morgens bis abends Warteschlangen. Ob in Paris, Nizza oder Marseille – seit Monaten haben die Mitarbeiter der Labors so viel Arbeit wie nie zuvor. „Wir kommen kaum hinterher. Der Andrang reißt nicht ab“, sagt eine Biologin eines Labors im Pariser Vorort Maisons-Alfort.

Die meisten Patienten kommen, um sich auf Corona testen zu lassen, gerade anlässlich des Schulbeginns und der Rückkehr aus dem Urlaub. Pro Woche führt Frankreich inzwischen rund eine Million Tests durch, in etwa so viele wie Deutschland. Seit Ausbruch der Pandemie sind in Frankreich rund 30.800 Menschen gestorben, die sich mit dem Coronavirus infiziert haben.

Mitarbeitern des Gesundheitswesens nehmen in Paris bei zwei Frauen Nasenabstriche für einen Covid-19-Test.
Mitarbeitern des Gesundheitswesens nehmen in Paris bei zwei Frauen Nasenabstriche für einen Covid-19-Test. | Bild: Michel Euler/AFP

Seit Monaten verfolgt das Land die Strategie „Testen – Nachverfolgen – Isolieren“, die sich anderswo oftmals bewährt hat. Denn anfangs fehlte es massiv an Tests, aber auch an Schutzmasken, Krankenhausbetten auf der Intensivstation sowie Desinfektionsmittel für die Hände – die Regierung galt als schlecht vorbereitet auf das Coronavirus und seine Folgen, was ihr die Bevölkerung bis heute vorwirft.

Doch während die Pandemie nach Ende des landesweiten, verhältnismäßig strikten Lockdowns im Mai über mehrere Wochen im Griff schien, steigen die Infektionszahlen seit Ende August wieder deutlich an, auf zuletzt zwischen 6500 und 8500 neue Fälle pro Tag. Seit dem Schulbeginn in der vergangenen Woche mussten 28 Schulen komplett geschlossen werden, 262 Klassen wurden heimgeschickt.

Passantenauf der Champs-Elysees.
Passantenauf der Champs-Elysees. | Bild: Michel Euler/dpa

Besonders stark betroffen mit einem hohen Anteil von Infizierten in der Bevölkerung sind die Côte d‘Azur und die Provence im Südosten sowie die Hauptstadtregion, die deshalb vom Robert-Koch-Institut zu Risikogebieten erklärt wurden, und zunehmend auch die Region um Bordeaux, die zunächst ebenso wie der Südosten weitgehend verschont geblieben war.

Bild 3: 8500 Fälle pro Tag: Frankreich meldet wieder sehr hohe Corona-Infiziertenzahlen – warum dennoch alles anders ist als im März
Bild: Bernhardt, Alexander

Viele machen die Urlauber in diesen beliebten Ferienregionen und jugendliche Partymacher für den dortigen Anstieg verantwortlich. Zwar gilt in zahlreichen französischen Städten überall draußen die Maskenpflicht, für einen Regelbruch droht ein Bußgeld in Höhe von 135 Euro.

Doch davon abgesehen lässt sich ein Nachlassen beim Einhalten der Abstands- und Hygieneregeln feststellen; in Restaurants, Bars und öffentlichen Transportmitteln sitzen die Menschen eng an eng, viele Veranstaltungen finden wieder statt, das soziale Leben hat seinen Gang erneut aufgenommen. Präsident Emmanuel Macron rief die Menschen nun zu mehr „Wachsamkeit“ bei privaten Treffen auf und forderte außerdem noch mehr und schnellere Tests.

Kaum Auswirkungen auf Krankenhäuser

Da sich derzeit überproportional viele unter 30-Jährige infizieren, die meist weniger schwere Krankheitsverläufe haben, wirkt sich die Zunahme der Infektionszahlen noch nicht stark auf die Situation der Krankenhäuser aus. Zuletzt ging die Zahl der Patienten auf der Intensivstation sogar wieder zurück.

Doch gerade in den südlichen Regionen des Landes drohen bald Engpässe, wird gewarnt. „Wir müssen uns auf die zweite Welle vorbereiten, die meiner Meinung nach höchst wahrscheinlich ist“, sagte Professor Denis Malvy, Epidemiologe aus Bordeaux, in den französischen Medien.

„Schwere Entscheidungen“

Auch wenn die Krankenhäuser noch Kapazitäten haben und weit von der dramatischen Situation einiger Kliniken im März und April entfernt sind, wäre es fatal, sich in einer „falschen Sicherheit“ zu wiegen, warnte Jean-Francois Delfraissy, Präsident des wissenschaftlichen Expertenrates, der die französische Regierung in der Krise berät. Diese werde in den nächsten Tagen „einige schwere Entscheidungen treffen müssen“, sagte Delfraissy.

Für Freitag ist ein Krisentreffen geplant, das als Videokonferenz stattfindet, da sich Premierminister Jean Castex in Selbstisolation befindet. Er war in Kontakt mit dem Leiter der derzeit stattfindenden Tour de France, Christian Prudhomme, der infiziert ist.

Jean Castex, Premierminister von Frankreich.
Jean Castex, Premierminister von Frankreich. | Bild: Ludovic Marin/POOL AFP/AP/dpa

Reichen sieben Tage Quarantäne?

Voraussichtlich wird die Regierung entscheiden, die Isolationspflicht von 14 auf sieben Tage zu verkürzen. Das sei ausreichend und werde besser angenommen, so der Expertenrat – denn viele Menschen hielten die Quarantäne ohnehin nicht ein, oft aufgrund beruflicher Verpflichtungen. Auch deshalb wird darüber diskutiert, selbstständig Arbeitenden eine finanzielle Kompensation zu gewähren für den Fall, dass sie sich in Quarantäne begeben müssen.

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Es ist auch der ausdrückliche Wunsch der Regierung, dass möglichst alle ihre Arbeit wieder aufnehmen. „Wir müssen ein Gleichgewicht finden zwischen der notwendigen Rückkehr in ein ‚normales‘ Leben mit Schule und Arbeit und der notwendigen Eindämmung der Ausbreitung des Virus“, beschrieb Gesundheitsminister Olivier Véran das Dilemma. Die Regierung geht davon aus, dass die Wirtschaftsleistung in diesem Jahr um bis zu elf Prozent einbricht und die Arbeitslosigkeit auf 9,5 Prozent steigt.

Kein Lockdown, keine Grenzschließungen

Anfang September stellte Premier Castex einen neuerlichen Hilfsplan in Höhe von 100 Milliarden Euro – über die inzwischen bereits freigemachten 460 Milliarden Euro hinaus – vor. In eine wirtschaftliche und soziale Krise zu versinken, wäre „noch gefährlicher als die Gesundheitskrise“, warnte Castex.

Macron hat auch deshalb einen neuerlichen generellen Lockdown ausgeschlossen und sogar vor Panikmache durch den wissenschaftlichen Expertenrat gewarnt. „Unsere Strategie besteht darin, mit dem Virus zu leben, das heißt das schulische, wirtschaftliche und soziale Leben nicht anzuhalten“, sagte er.

Von Grenzschließungen zu Deutschland und anderen Nachbarländern ist nicht mehr die Rede. Frankreichs Präsident und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hatten sich bei einem Treffen in Macrons Urlaubsresidenz in Südfrankreich im August darauf verständigt, dass diese wenig sinnvoll seien. Doch dass einzelne Gebiete und Regionen abgeschlossen werden müssen, schlossen sie nicht aus.