Herr Mair, wo ist die Lawinengefahr in den Alpen derzeit am größten?

Die Gefahr besteht derzeit relativ flächendeckend vom Voralberg über Tirol bis Salzberg. Derzeit gilt fast überall die Gefahrenstufe 4, zum Teil aber auch die Stufe 5. Wir haben in jedem Fall eine sehr angespannte, kritische Lawinensituation.

Schneit es aktuell denn überproportional viel oder ist die Schneemasse vergleichbar mit den Vorjahren?

Nein, es ist tatsächlich überproportional viel. Wir sind jetzt in der zweiten Woche mit Schnee. Es hat zudem überdurchschnittlich viel Schnee gegeben. Ich bin gerade auf der Wetterstation an der Seegrube, oberhalb von Innsbruck, dort liegen jetzt schon vier Meter Schnee. Das ist die größte Schneemenge seit 1973, also schon außergewöhnlich viel.

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Wie erklären Sie sich das?

Wir sind ein hochalpines Naturland, bei uns schneit es halt und manchmal viel. Man kann aber auch nicht sagen, dass so etwas noch nie da war. Solche Schneemassen kommen etwa alle zehn bis 20 Jahre, so wie es im Sommer eben manchmal überdurchschnittlich viel regnet.

Welche Konsistenz von Schnee ist denn besonders gefährlich?

Da gibt es zwei Kriterien. Bei einer Schneebrettlawine ist es der gebundene Schnee auf einer harten Schicht, die vom Skifahrer selbst ausgelöst wird. Über 70 Prozent der Lawinen werden auf diese Weise verursacht. Für Wohngebiete sind Staublawinen die gefährlichsten, sie können bis zu 300 Stundenkilometer schnell sein.

Wie entsteht denn so eine Lawine?

Eine Staublawine braucht drei Zutaten – viel Schnee, einen steilen Hang von mindestens 35 Grad oder mehr und eine hohe Sturzhöhe von mehreren hundert Metern, eher 1000 Metern. Einmal ins Rollen gekommen, ist sie praktisch nicht mehr aufzuhalten.

Wie groß ist das Zerstörungspotenzial einer solchen Lawine?

Eine Staublawine kann durchaus Häuser zerstören, eine Eisenbahn komplett verschütten. Das Potenzial ist schon enorm.

Sind derzeit Kontrollflüge über potenzielle Lawinengebiete überhauptmöglich? Wie oft werden diese gemacht?

Heute nicht, weil das Wetter zu schlecht ist, aber morgen erwarten wir besseres Wetter. Dann wird geflogen und wir werden uns einen besseren Überblick über die Lage verschaffen können.

Welche Erkenntnisse erhoffen Sie sich davon?

Man sieht wie viel Schnee liegt, wo es schon Lawinenabgänge gegeben hat, ob es Gebiete gibt, in denen sich ein Anbruch von Lawinen abzeichnet und ob Auffangzonen schon dicht gefüllt sind mit Schnee.

Werden dann auch Lawinen gesprengt? Wann ist das sinnvoll und wann sollte man vorsichtig sein?

Das wird schon gemacht. Aber das ist ein zweischneidiges Schwert: Die Maßnahme ist sehr sinnvoll, aber man muss aufpassen, wenn Siedlungsbereiche betroffen sein könnten. Denn wenn etwas passiert, ist sofort klar, wer Schuld hat – die Behörden, die die Sprengung veranlasst haben. Die Maßnahme ist im Grunde nur möglich, wenn keine Siedlungen in der Nähe sind, also beispielsweise auf Straßen, die man sperren und so sicherstellen kann, dass keine Menschen in der Nähe sind.

Wie können Wohngebiete vor Lawinen geschützt werden?

Das lässt sich permanent nur durch Verbauungen verhindern. Bei akuter Gefahr können Siedlungen nur gesperrt beziehungsweise evakuiert werden.

Aktuell sprechen viele vom Lawinenunglück von Galtür von 1999? Gibt es denn Parallelen zur aktuellen Situation?

Nein, direkt vergleichen kann man die Situation nicht, denn damals herrschte eine andere Wetterlage. Die Luftströmungen kamen eher aus dem Nordwesten, aktuell kommen sie eher aus dem Norden, Galtür ist diesmal weniger betroffen, dafür das Gebiet um den Karwendel und die Alpenregion bei Kitzbühel. Der einzig vergleichbare Faktor ist im Grunde der viele Schnee. Und dass die Lawinengefahr dann steigt, liegt auf der Hand.