„Die Kuh beschützt das Kalb – und im traurigen Extremfall auch mit einem Angriff auf den Menschen.“ In einem Ratgeber-Video macht die Landwirtschaftskammer Tirol seit 2018 auf die Gefahr aufmerksam, die Wanderern mit Hunden auf Almen drohen kann. Nun sorgt ein Urteil des Landgerichts Innsbruck für Aufsehen: Nach einer tödlichen Kuh-Attacke auf eine deutsche Urlauberin muss der beklagte Landwirt den Hinterbliebenen Schadenersatz zahlen.
Schadensersatz und monatliche Renten
Der Ehemann und der Sohn des Opfers erhalten rund 180 000 Euro. Zusätzlich müsse der Bauer dem Mann eine monatliche Rente von 1200 Euro und dem Sohn von 350 Euro zahlen, teilte das Gericht mit. Insgesamt stehen gut 500.000 Euro im Raum, die der Landwirt aufbringen müsste, sollte das Urteil rechtskräftig sein. Der Betrag setzt sich aus dem Schmerzensgeld von etwa 180.000 Euro, Rentenzahlungen für den Sohn und den gesundheitlich angeschlagenen Ehemann und weiteren Ausgaben und den Verfahrenskosten zusammen. Was die Versicherung übernimmt, wird sich erst entscheiden, wenn alle Instanzen durchlaufen sind.
Landwirtschaftskammer: Praxisfremdes Urteil
Das Urteil sei praxisfremd und gefährde das Miteinander von Tourismus und Almwirtschaft, befand die Landwirtschaftskammer. Nach Auffassung des Gerichts hatte der Bauer nur unzureichend vor den Gefahren einer Kuhherde, in der Kälber aufwachsen, gewarnt. Die aufgestellten Warnschilder hätten nicht ausgereicht. „An einem neuralgischen Punkt wie dem Unfallort sind Abzäunungen zum Schutz des höchsten Gutes, des menschlichen Lebens, notwendig und auch zumutbar“, argumentierte das Gericht.
Von Kühen zu Tode getrampelt
Die 45 Jahre alte Hundehalterin aus Rheinland-Pfalz war im Sommer 2014 im Tiroler Stubaital von der Kuhherde, die offenbar die Kälber vor dem Hund schützen wollte, zu Tode getrampelt worden. Die Frau hatte laut Gericht die Hundeleine mit einem Karabiner um die Hüfte fixiert. Sie hätte laut Gericht wissen müssen, dass Mutterkühe aggressiv auf Hunde reagieren können. Es sei sorglos gewesen, den Hund so zu fixieren, dass er nicht sofort losgelassen werden könne. „Die Wahrscheinlichkeit eines unmittelbaren Angriffes war aufgrund des sonstigen Verhaltens der Verunfallten aber sehr gering“, so das Gericht.
Landwirte fürchten fatale Folgen
Wenn das Urteil, gegen das der Bauer Berufung angekündigt hat, bestätigt werde, habe das enorme Auswirkungen auf Tourismus und Weidewirtschaft, kritisierte die Landwirtschaftskammer Österreich. Eine verpflichtende Einzäunung wäre den Bergbauern finanziell nicht zumutbar und brächte vielerorts das Ende der Weidewirtschaft, meinte der Präsident der Landwirtschaftskammer, Josef Moosbrugger. „Das Urteil ruft unter den Landwirten extreme Ängste und Verunsicherung hervor. Die Bauern fragen mich, ob sie die Kühe noch auf die Alm treiben sollen, oder ob sie die Almen komplett sperren sollen“, so der Präsident der Tiroler Landwirtschaftskammer, Josef Hechenberger.
Wie das Gericht argumentiert
„Es geht um einen konkreten Unfall an einer konkreten Stelle“, erläuterte Gerichtssprecher Andreas Stutter. Bei der Unfallstelle handele es sich um den meistbenutzten Weg vom Tal auf den Berg. In unmittelbarer Nähe sei eine gut besuchte Gastwirtschaft. „Durch das zwangsläufig häufige Aufeinandertreffen von Wanderern ist die Wahrscheinlichkeit von Reizungen der Herde hoch“, schrieb der Richter im Urteil.