Finale: Ausgelaugt und stolz

Der letzte Tag war ein Ritt auf der Rasierklinge. Wie oft ich vor dem Süßigkeitenregal, dem Obstkorb, der Tüte mit frischen Weckle vom Bäcker meines Vertrauens stand? Keine Ahnung – oft. Trotzdem habe ich durchgehalten. Und das macht mich schon ein kleines bisschen stolz.

Ich freue mich schon auf ein weich gekochtes Frühstücksei, einen knackigen Salat und meine Lieblingsschokolade mit ganzen Haselnüssen. Denn die letzten Tage haben Spuren hinterlassen. Rückblickend fühlt es sich an, wie eine strenge Diät. Das war sie aber gar nicht – leider. Ja, ich habe mit dem Notfallpaket überlebt. Aber haben mir die Dosen- und Tütenprodukte geschadet?

Ernährungsberaterin Birgitt Bley arbeitet in der Buchinger-Wilhelmi-Klinik in Überlingen.

Bild 1: Viele bestellen aus Angst vor Corona Notfall-Essenspakete – doch wie ist es, sich wirklich nur davon zu ernähren? Ein SÜDKURIER-Redakteur startet den Selbstversuch
Bild: Birgit Bley

Sie kennt sich mit dieser Art von Ernährung bestens aus und kann das, was sich in meinem Körper in den letzten neun Tagen wahrscheinlich abgespielt hat, erklären: „In so einer Zeit des Verzichts fehlen unter anderem Vitamine. Und die sind vor allem für ein gewisses seelisches Wohlbefinden wichtig“, sagt sie.

Doch allein Vitamine sind nicht das Einzige, das mein Körper in den vergangenen neun Tagen vermisst hat. Auch Omega-3-Fettsäuren und Mineralstoffe kommen in Dauerwaren zu kurz, die eigentlich für den reibungslosen Ablauf des Stoffwechsels verantwortlich sind.

Stattdessen erhöhe sich durch den hohen tierischen Fettgehalt der Gesamtcholesterien-Spiegel. „Wahrscheinlich ist in diesen Produkten auch viel Zucker drin. Das lässt den Glucosespiegel ansteigen und ist natürlich, in Kombination mit den anderen Effekten, auch nicht besonders gesund. Aber die Produkte sind ja nicht für den kulinarischen Genuss, sondern fürs Überleben gemacht“, so Bley.

Da hat Bley recht. Grundsätzlich enthalten Dauerwaren auch viele tierische Fette. Bei dauerhaften übermäßigem Verzehr verändere das laut der Ernährungsberaterin den Cholesterinspiegeln negativ. Insbesondere das LDL-Cholesterin, also das „böse“ Cholesterin, ist betroffen. Es trägt dazu bei, dass es in unseren Arterien zu Verkalkungen oder Ablagerungen kommt – in der Fachsprache auch Arteriosklerose genannt. Das HDL, das „gute“ Cholesterin, hingegen wirkt wie die „Müllabfuhr“ und räumt das sich abgelagerte LDL wieder weg und bringt es zurück zur Leber.

Ob sich mein körperlicher Zustand wirklich verschlechtert hat, weiß ich nicht. Dafür wären Bluttests vor und nach dem Selbstversuch nötig gewesen. Allzu wissenschaftlich wollte ich das Experiment aber nicht angehen. Eines ist definitiv klar geworden: Ja, man überlebt mit Dauerwaren. Aber Genuss ist anders.

Tag 8: Endspurt

Es kommt nach acht Tagen vieles zusammen. Die Corona-Pandemie macht mir sorgen. Ich bin seit Montag im Home-Office. Ich gehe nur noch aus dem Haus, wenn es es wirklich notwendig ist. Und trotz aller Maßnahmen der Politik sehe ich täglich vom Balkon aus zwischen zehn und 15 Kinder aus der Nachbarschaft auf dem Bolzplatz beim Spielen. Das alles schlaucht, macht wütend. Wenn dann noch meine einseitige Ernährung hinzukommt, ist das für Körper und Geist fast nicht auszuhalten.

Ich weiß, was Sie denken: „Mann, Mann, Mann. Ein paar Tage Tütenfutter kann doch nicht so schwer sein. Stell dich nicht so an.“ Und eigentlich haben Sie recht. Wahrscheinlich würde ich bei anderen auch so denken. Aber es ist anstrengender, als gedacht. Vor allem, wenn die Partnerin (ja, auch sie ist im Home-Office und wir hocken täglich aufeinander) auf frisches Obst und Gemüse, Brot und Käse zurückgreifen kann. Gerade würde ich fast alles für ein Butterbrot tun. Die Realität sieht anders aus: Heute gab es wieder das berühmte Müsli mit Milchpulver, Tomatensuppe mit Reis und Risotto mit Fisch. Alle drei Gerichte fasse ich so zusammen: Das war nix. Morgen ist endlich alles vorbei.

Tag 7: Triste Gewohnheit

Nach sieben Tagen pendelt sich eine gewisse Routine ein. Nicht nur bei der Zubereitung meiner Dosen- und Tütenprodukte. Ich habe mich auf das Essen eingestellt. Ich glaube, dass mein Körper lang genug gestreikt hat und nun die weiße Fahne hisst. Es bringt ja nichts. Ich halte doch durch. Und mein Bauch scheint das jetzt zu akzeptieren.

Was kann ich noch neues übers Essen berichten? Wenig. Die schlechte Nachricht: Boeuf Stroganov bleibt meine Leibspeise. Ich muss aber sagen – auch mein Risotto mit Huhn war sehr gut.

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Bild: Küster, Sebastian

Der Reis: leicht bissfest. Der Geschmack: ausgewogen. Nur vom Hühnchen habe ich nichts geschmeckt. Komisch. Sind die Stücke wirklich so klein geschnibbelt, dass man sie im Mund nicht mehr wahrnimmt? Oder wurde es schlicht vergessen?

Egal, denke ich. Es gibt auf jeden Fall Schlimmeres. Und deshalb werde ich mich an das schlaue Motto (Ironie lässt grüßen) von Christian Lindner halten: Lieber kein Hühnchen, als schlechtes Hühnchen.

Tag 6: Schummeln verboten

Dinkelcremesuppe. Ja, Sie hören richtig. Würg. Welcher normale Mensch würde sich dieses Gericht im Restaurant bestellen? Ich hoffe, niemand. Und jeder, der es doch tut, hat wahrscheinlich völlig den Verstand verloren. Mein Alltag ist ein Tüten-Horror in sechs Akten.

Folgerichtig ist das Unvermeidbare eingetreten: Ich habe mich beinahe beim Schummeln erwischt. Es war Nachmittag. Die Sonne strahlte durchs bodentiefe Fenster. Und im Home-Office dachte ich nur: Jetzt. Ein. Eis.

Gefühlt denke ich 20 Minuten darüber nach, ob ich mich meiner Lust hingeben, oder standhaft bleiben soll. Anfangs war beides möglich. Ich ging zum Gefrierschrank. Und da liegt sie, die Magnum-Mini-Variation. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Aber nein, dachte ich. Betrüge ich mich, betrüge ich den Leser. Das geht nicht. Heute bleibe ich mir treu. Ob ich das noch drei Tage durchhalte? Ich bin skeptisch.

Tag 5: Mal was positives

Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Salzigkeit und Süße. Cremig und trotzdem kein Brei. Vollmundig, aber nicht zu schwer. Keine harten Stücke. Boeuf Stroganov. Du bist mein Lichtblick am Ende des langen Tunnels.

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Bild: Küster, Sebastian

Zugegeben. Was da auf meinem Teller liegt, sieht nicht gerade appetitlich aus. Aber daran habe ich mich mittlerweile bei den Gericht aus der Tüte gewöhnt. Wichtig ist der Geschmack. Und der hat mich – im Vergleich zu den anderen Fertigprodukten der letzten fünf Tage – umgehauen.

So kann es weitergehen. Und mir wird nicht nur klar, sondern auch bewusst: Es sind nur noch vier Tage. Danach gibt es endlich wieder frisches Obst, Gemüse, echte Milch. Außer dieser Virus macht mir einen Strich durch meine Einkaufsrechnung.

Tag 4: Ich will Pizza

Ich habe immer noch schlechte Laune. Und sie wird von Tag zu Tag größer. Aber keine Sorge. Ich versuche mich in diesem Text so gut es geht zusammenzureißen.

Heute musste ich mich besonders zusammenreißen. Meine Freundin hat sich eine leckere Pizza bestellt. Der Duft nach warmem Käse, würziger Tomatensoße und knackigem Teig verteilte sich in der ganzen Wohnung. Ich bin ins Schlafzimmer geflüchtet. Mit meinem Waldpilzragout aus der Dose. Man wird satt. Nicht mehr und nicht weniger.

Auch beim Frühstück habe ich heute mal variiert. Müsli mit Pampe adé. Jetzt ist Rührei mit Zwiebeln angesagt. Das klingt verlockend, oder? Das wars dann aber auch schon.

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Bild: Küster, Sebastian

Leider hat das flockige Pulver nicht im Geringsten irgendwas mit echtem Rührei zu tun. Es schmeckt eigentlich nur nach Wasser und Salz. Von der Konsistenz ganz zu schweigen.

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Bild: Küster, Sebastian

Ich hätte nicht gedacht, dass ich das in den nächsten fünf Tagen sagen werde, aber: Ab morgen werde ich wieder auf mein Milchpulver umsteigen.

Tag 3: Erinnerungen werden wach

Der Selbstversuch nervt. Und ich bereue es, dieses Projekt jemals vorgeschlagen zu haben. Es sind erst zwei Tage vergangen. Aber es fühlt sich an, wie eine ganze Woche. Das wühlt mich auf.

Mein Essen weckt Erinnerungen aus der Kindheit. Leider nicht die, der schönen Sorte. Da gab es täglich Rouladen mit Kartoffelpüree. Nicht frisch von Oma. Nein, nein. Sondern als Fertigprodukt in Plastikschälchen. Mit diesen fiesen Folien, die man einstechen muss, bevor das „Essen“ in die Mikrowelle wandert. Aber lassen wir das. Vielleicht bilde ich mir nur ein, dass alles so furchtbar ist. Vielleicht aber auch nicht. Das werden die nächsten Tage zeigen.

Tag 2: Dieses Pulver bleibt mein Feind

Müsli und Milchpulver gehören nicht zu meinen besten Freunden. Und das ist noch freundlich formuliert. Sagen wir doch einfach wie es ist: Ich hasse es. Ich habe mich sklavisch an die Vorgaben gehalten. Und trotzdem wird aus weißem Staub nicht das, was es soll. Nämlich Milch. Auf der Dose heißt es: „Gut Schütteln“, Check. „Gewünschte Menge einfüllen“, Check. „Wasser einfüllen“, auch Check.

Im Internet schreiben die Leute, dass Milchpulver funktioniert. Entweder lügen sie, oder meine Dauerware ist Schrott. Morgen probiere ich es mal mit heißem Wasser. Aber drei Mal am Tag warm essen? Nein danke.

Tag 1: Vorsichtiges Rantasten

Müsli mit Milchpulver. Ich bin ehrlich. Das löst keine Freudensprünge in meiner Magengegend aus. Aber es hilft nichts. Die Haferflocken sehen genießbar aus. Puh. Durchatmen. Nur das Milchpulver wirkt befremdlich. Dose schütteln, Schüssel befüllen, Wasser drauf. Fertig. Lecker ist anders. Wie erwartet, schmeckt die Pampe nach gezuckertem Hafer mit Wasser.

Bild 6: Viele bestellen aus Angst vor Corona Notfall-Essenspakete – doch wie ist es, sich wirklich nur davon zu ernähren? Ein SÜDKURIER-Redakteur startet den Selbstversuch
Bild: Küster, Sebastian

Beim Mittagessen wartet Pasta Primavera – Nudeln mit Gemüsesoße – auf mich. Auch hier ist die Zubereitung kinderleicht. Packung aufreißen, kochendes Wasser einfüllen, 10 Minuten stehen lassen. Essen. Aber schon hier schleicht sich bei mir ein Anfängerfehler ein. Wer das Umrühren vergisst, beißt auf harte, undefinierbare Stücke.

Bild 7: Viele bestellen aus Angst vor Corona Notfall-Essenspakete – doch wie ist es, sich wirklich nur davon zu ernähren? Ein SÜDKURIER-Redakteur startet den Selbstversuch
Bild: Makhova, Darya

Das passiert mir nur einmal – hoffentlich. Zum Abendessen gibt es Kichererbsen mit Curry, auch aus der Packung. Geschmacklich in Ordnung. Nicht mehr und nicht weniger. Ich merke jetzt schon: Noch neun Tage? Das wird ein weiter Weg.

Tag 0: Das Paket ist da

Aus der Angst vor dem Weltuntergang ein Geschäftsmodell machen? Das geht. „SicherSatt“ aus Rielasingen-Worblingen vertreibt im Internet lang haltbare Lebensmittel. Zu den Stammkunden gehören Prepper, Outdoor-Freunde und seit neuestem: Menschen aus ganz Deutschland, die sich auf eine etwaige Corona-Quarantäne vorbereiten. Doch wie ist es, diese Dinge wirklich zu essen? Ich teste das. Dafür stellt mir „SicherSatt“ ein Notfall-Paket zur Verfügung. Packen wir es aus:

Die Box wird ausgepackt Video: Kipar, Sandro

Es kommen acht Gerichte in Plastiktüten und drei Dosen zum Vorschein. Eine Dose ist mit mehreren Portionen Müsli samt Milchpulver gefüllt. In den anderen lagert fertiges Rührei mit Zwiebeln oder Waldpilzragout mit Nudeln in getrockneter Form.

Bild 8: Viele bestellen aus Angst vor Corona Notfall-Essenspakete – doch wie ist es, sich wirklich nur davon zu ernähren? Ein SÜDKURIER-Redakteur startet den Selbstversuch
Bild: Kipar, Sandro

Die Tütenprodukte sehen hochwertig aus. Die Fotos auf den Packungen vermitteln mir den Eindruck, dass die Gerichte wohl häufig bei Wanderungen oder Radtouren genutzt werden. Kein Wunder, die Zubereitung ist simpel. Wasser erhitzen, Packung befüllen – guten Appetit.

Bild 9: Viele bestellen aus Angst vor Corona Notfall-Essenspakete – doch wie ist es, sich wirklich nur davon zu ernähren? Ein SÜDKURIER-Redakteur startet den Selbstversuch
Bild: Kipar, Sandro

Der Hype um die Dauerwaren ist in Zeiten des Coronavirus riesig. Bei „SicherSatt“ kommt man mit dem Abfüllen und Verpacken kaum noch hinterher. „Wir haben in einer Woche so viele Bestellungen reinbekommen wie sonst in einem Jahr“, sagt Geschäftsführer Philipp Nater. Inzwischen hat die Firma eine Lieferzeit von mehr als 12 Wochen. Wie gut es sich mit dem Paketinhalt wohl leben lässt? Ich bin gespannt.