Frau Joschke, Sie besitzen die französische und die deutsche Staatsangehörigkeit. Wenn Sie bei der Vendée Globe gewinnen, soll ich dann für Sie die französische oder die deutsche Nationalhymne singen?

(lacht) Beide. Oder gar keine. Ich bin eher multikulturell, mein Vater ist halb Deutscher und halb Österreicher, ich habe also drei Kulturen und erkenne mich selbst nicht in nur einer. Überhaupt nicht in der französischen, obwohl ich mehr Französin bin als Deutsche, weil ich viel länger in Frankreich gelebt habe. Also, ich würde sagen, gar keine Hymne.

Ihre Pressemappe zur Vendée Globe ist überschrieben: „Osez l‘aventure“, also „wagt das Abenteuer„. Sind Sie in erster Linie Abenteurerin, oder sind Sie Sportlerin?

Ich bin beides. Das finde ich genial bei der Vendée Globe, man kann beides sein. Manche sagen, ich bin eher Sportler, andere sagen, ich bin nur für das Abenteuer dabei. Bei mir ist das echt fifty-fifty. Abenteuer ist sehr wichtig für mich. Als ich angefangen habe mit der Mini-Transat (eine Transatlantik-Einhandregatta mit 6,50 Meter langen Booten, Anmerkung d. Red.) vor vielen Jahren, wollte ich eigentlich ein Abenteuer erleben. Ich wusste zwar schon, dass es eine Regatta ist, aber ich dachte, allein auf diesem ganz kleinen Boot...

Am Anfang war es mehr Abenteuer, aber dann hat mich auch der Ehrgeiz gepackt, und ich habe die Wettkampfidee darin gespürt. Als ich ganz jung war, habe ich gedacht, Wettkampf, na ja, das ist nichts für mich. Bei der Vendée Globe kann man beides erleben. Man kann nicht sagen, das sei nur ein Sport, weil es ja sehr lange dauert. Man weiß, da kommen die Tiefs, die hohen Wellen. Irgendwann ist es dann kein Sport mehr, sondern eine Frage des Überlebens. Das ist dann ein richtiges Abenteuer. Auch beim Boot geht immer wieder mal was kaputt. Man muss reparieren, dabei langsamer segeln, bevor es wieder in den Wettkampfmodus übergeht. Das ist eben total das Abenteuer.

Groß und klein: Diese 18 Meter lange Rennyacht wird die 1,60 Meter große Isabelle Joschke um die Welt jagen.
Groß und klein: Diese 18 Meter lange Rennyacht wird die 1,60 Meter große Isabelle Joschke um die Welt jagen. | Bild: Jean-Marie Liot

Ganz aktuell schnellen die Corona-Infektionszahlen in die Höhe. Wie schützen Sie sich davor, bei den vielen Terminen so kurz vor dem Start?

Vor dem Start brauche ich viel Ruhe um Energie zu sammeln. Ich muss die Navigation und die Meteorologie im Blick haben. Dabei bin ich viel allein und nicht oft mit Leuten zusammen. Ich schütze mich sonst schon seit vielen Jahren, indem ich einen gesunden Lebenswandel pflege. Das ist viel wichtiger als eine Maske. Wenn man eine gute Abwehr und Immunität hat, dann ist auch ein Virus kein Problem.

Ich finde, jeder sollte sich mehr um so etwas kümmern, als sich zu sorgen, dass er angesteckt wird. Das ist das Wichtigste. Man weiß nicht, was morgen passiert. Es gibt viele andere Krankheiten. Es gibt Krebs, das ist eine viel unheimlichere Krankheit. Auf einmal vergisst man, was es sonst für Krankheiten gibt. Ich passe schon auf, nehme natürliche Vitamine aus Pflanzen. Keine künstlichen. Ich habe keine Angst.

Von den 33 Booten am Start der Vendée Globe werden sechs von Frauen gesteuert, soviele wie noch nie. Sind das nun viele Frauen oder noch zu wenige?

Für mich sind es noch viel zu wenige. Wir sind im Jahr 2020. Viele denken, dass man heute in Frankreich als Frau die gleichen Chancen hat, wie ein Mann. Dann verstehe ich aber nicht, warum so wenig Frauen am Start sind. Wenn wir genau dieselben Chancen hätten, dann wären wir viel mehr. Segeln ist kein männlicher Sport. Es ist ein Sport, den Frauen genauso gut können. Die Frauen müssten sich mehr trauen.

Schwerarbeit ist angesagt, wenn es gilt, die Segel zu setzen oder die Segel zu verstauen.
Schwerarbeit ist angesagt, wenn es gilt, die Segel zu setzen oder die Segel zu verstauen. | Bild: Ronan Gladu

Sie sagen, dass die bloße körperliche Kraft eine viel geringere Barriere für Frauen sei, als viele glauben. Aber wie gleichen Frauen ihre im allgemeinen doch geringere Kraft aus?

Wenn man allein auf einem Boot ist, gibt es nicht nur Manöver. Man muss viel denken, entscheiden, man muss das Boot betreuen. Man muss sich selbst betreuen, an sich glauben. Dann gibt es die strategischen Überlegungen. Das sind viele Parameter, bei denen es nicht auf die körperliche Kraft ankommt.

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Aber um die Ballaste von rechts nach links zu wuchten. Da muss man ja Kraft haben.

Das stimmt schon. Es wäre viel einfacher, wenn wir dieselbe Kraft hätten, wie die Männer. Aber wie wir das ausgleichen. Wenn man weniger Kraft hat, braucht man eine Art Intelligenz. Man muss viel darüber nachdenken, wie man was macht. Zum Beispiel, wenn ich eine Wende mache, dann muss ich genau wissen, wann der richtige Zeitpunkt ist. Ich kann nicht einfach mal sagen, ach, jetzt mach ich eine Wende und in zwei Stunden nochmal. Nein, ich muss wissen, ob es jetzt der richtige Zeitpunkt ist. Man muss viel organisieren, nachdenken, man muss auch Intuition haben. Wenn man weniger Kraft hat, dann verbringt man mehr Zeit, um andere Kapazitäten zu entwickeln.

Der Leiter Ihres Teams, Alain Gauthier, war selbst Sieger der Vendée Globe 1993, er war der Coach von Ellen MacArthur, die bei der Vendée Globe 2001 zweite wurde. Er bescheinigt den Frauen mehr Ausdauer und mehr Charakterstärke. Hat er recht?

Na ja, ich glaube bei der Ausdauer, da hat er recht. Mehr Charakter? Ich weiß nicht. Aber ich glaube, wenn man heute als Frau die Vendée Globe segeln will, dann braucht man viel Charakter, ja.

Isabelle Joschke sitzt auf dem Foiler genannten Flügel ihrer Rennyacht. Die Foiler heben die Yacht etwas aus dem Wasser, was das Boot ...
Isabelle Joschke sitzt auf dem Foiler genannten Flügel ihrer Rennyacht. Die Foiler heben die Yacht etwas aus dem Wasser, was das Boot schneller macht. | Bild: © Th.Martinez

Als sportliche und körperliche Vorbereitung schwören Sie auf Pilates. Was ist an Pilates speziell für Sie oder für Frauen so gut?

Erstmal ist es nicht nur für Frauen gut, sondern für jeden gut. Frank Cammas und Charles Caudrelier (zwei prominente, sehr erfolgreiche französische Segler, Anmerkung d. Red.) haben den selben Coach wie ich. Ich habe den Coach seit fünf Jahren, ich bin vielleicht die erste, die mit Pilates angefangen hat. Und jetzt gibt es viele männliche Segler, die auch Pilates machen.

Man denkt, Pilates ist etwas für Frauen. Pilates ist so wichtig für mich, weil ich lerne, alle meine Muskeln zusammen zu denken. Wenn ich eine Bewegung mache, zum Beispiel mit einem Arm, dann mache ich die Bewegung mit allen meinen Muskeln. Es fängt an bei den Füßen, alles macht mit. Und das lernt man im Pilates. Jedes Körperteil macht mit.

Wenn ich etwas mit den Schultern mache, dann sind meine Beine dabei, meine Füße etc. Für Segeln ist Pilates wichtig. Denn man muss viel tragen, da kommt es sehr auf die Haltung an. Und auf die Geschmeidigkeit und Beweglichkeit. Das ist sehr wichtig. Wenn ich in einen Sturm gerate, dann brauche ich diese Geschmeidigkeit und Beweglichkeit, um dem Sturm auszuhalten. Man muss die Schläge, die das Boot tut, einkassieren können und braucht dazu diese Art Beweglichkeit.

Sie sind Initiatorin des Vereins Horizon Mixité, mit dem Sie die Gleichstellung der Frauen stärken wollen. Wie ist das Echo darauf?

Heute ist es ein Thema, dass viele Leute verstehen und auch wissen, dass es wichtig ist. Vor allem bei meinen Sponsoren habe ich ein gutes Echo. Es ist vor allem wichtig, bei den Kindern für das Thema zu werben. Man sagt, die Mädchen können tanzen oder Gymnastik machen. Es ist immer noch so, dass man beim Sport den Jungen mehr zutraut. Sie machen Fußball und auch gleich dazu den passenden Wettkampf. Bei den Mädchen ist es eben nicht so. Dann werden die Mädchen erwachsen und denken, der Wettkampf, das ist nichts für sie, sie brauchen das nicht.

Sie sind allein an Bord für 70 bis 80 Tage, fühlen sich aber gar nicht allein, schreiben Sie in der Pressemappe. Wie kann man das verstehen?

Man kann mit Leuten sein und sich alleine fühlen. Ich liebe es, allein zu sein. Wenn ich allein bin im Ozean, dann fühle ich mich nicht allein, weil der Ozean und alles, was um mich herum ist, sehr lebendig ist. Es ist jeden Tag anders, und es gibt sehr viel Interaktion zwischen Wind, Wolken, Wellen. Auch das Boot ist nicht nur ein Stück Karbon. Ich fühle mich sehr lebendig, wenn ich alleine mitten im Ozean bin. Außerdem gibt es eine ganze Reihe von Leuten, die während der Regatta schauen, was ich mache, die hinter mir stehen.

In Schräglage über das Boot balancieren erfordert eine gute Körperbeherrschung.
In Schräglage über das Boot balancieren erfordert eine gute Körperbeherrschung. | Bild: © Th.Martinez

Bei entsprechenden Windverhältnissen herrscht ein Höllenlärm im Boot. Wie halten Sie das aus?

Es ist sehr schwierig. Ich glaube, man gewöhnt sich dran. Es ermüdet schon sehr.

Wie schützen Sie sich?

Ich kann mich nicht total schützen. Ich habe Kopfhörer und kann Musik hören. Ich habe auch einen Schallschutz-Helm. Aber ich muss ja auch hören, was um mich herum passiert. Jedes kleine Geräusch sagt mir ja etwas. Ich glaube, ich werde mich daran gewöhnen. Und wenn ich zurückkomme, dann bin ich halb taub (lacht). Dann brauche ich viel Zeit, um mich auszuruhen.

Wie sieht denn Ihr Schlafrhythmus aus? Wieviel Stunden Schlaf werden Sie täglich brauchen, um durchzuhalten?

Das weiß ich noch nicht. Wenn ich nur eine Atlantiküberquerung mache, dann brauche ich drei bis vier Stunden. Am Anfang eher zwei oder drei, am Ende eher vier. Aber die Vendée Globe dauert ja sehr lange, weshalb ich glaube, ich werde vier bis fünf Stunden brauchen, manchmal vielleicht auch mehr. Es kann sein, dass ich im Südpazifik, wenn das Wetter ok ist, länger schlafe.

Der Arbeitsplatz: Über Bildschirme beobachtet die Skipperin alle relevanten Daten.
Der Arbeitsplatz: Über Bildschirme beobachtet die Skipperin alle relevanten Daten. | Bild: Ronan Gladu

Ihr Boot hat schon drei Vendée Globe bestritten. 2009 wurde es dritter mit Marc Guillemot, 2017 wurde Yann Eliès damit fünfter. Ab welcher Platzierung würden Sie sagen, es war ein sportlicher Erfolg?

Es kommt drauf an, wer vor mir ist. Ich habe 50 Prozent Chancen überhaupt anzukommen. Wenn ich es schaffe und es sind nur noch 15 oder 17 Boote, dann will ich unter den Top 10 sein, oder sogar unter den Top 5.

Sie haben wohl als einzige Skipperin tatsächlich frische Eier an Bord. 98 an der Zahl. Wie bleiben die denn frisch und was machen Sie draus?

(lacht) Ich hoffe, sie bleiben so lange wie möglich frisch, aber das weiß ich noch nicht. Ich habe bisher ohne Probleme vier Wochen Eier im Boot gehabt.

Sind sie gekühlt?

Nein, sie sind nicht gekühlt. Was ich daraus mache? Frühstücken. Ich liebe weiches Ei und Spiegelei, und manchmal auch Omelette.

Mahlzeit: Sanft getrocknetes Gemüse, Fisch und Fleisch stehen auf der Speisekarte.
Mahlzeit: Sanft getrocknetes Gemüse, Fisch und Fleisch stehen auf der Speisekarte. | Bild: Ronan Gladu

Wie sieht denn sonst Ihr Speiseplan an Bord aus?

Ich habe jemand, der für mich gekocht hat. Das wurde ganz sanft getrocknet. Ich habe guten Fisch, gutes Fleisch, ganz gute Speisen, die auch gesund sind. Leider habe ich eben nur getrocknetes Gemüse und getrocknete Früchte. Sonst habe ich auch Algen.

Sie haben an der Pariser Sorbonne klassische Literatur, Griechisch und Latein studiert. Was nehmen Sie denn zum Lesen auf die Vendée Globe mit?

Ich habe ein Lesegerät. Da habe ich sehr viele Bücher drauf. Es sind Sachen, die einfach zu lesen sind.

Zum Beispiel?

„Au revoir la haut“ von Pierre Lemaitre (zu deutsch: „Wir sehen uns dort oben“) oder „La nuit prodigieuse“ von Elena Ferrante („Meine geniale Freundin“).

Werden Sie auch Musik dabei haben?

Ja, ich habe auch viel Musik. Es sind meine Freunde, die die Play-Liste vorbereiten, genauso wie bei den Büchern. Ich habe das delegiert, weil ich eben auch neue Sachen entdecken möchte. Ich habe auch Filme, obwohl ich nur wenige schaue, auch zuhause. Ich lese eher. Aber wer weiß, ich habe alles. Man freut sich, mal was anderes zu sehen.

Bei der Musik, ist das klassische Musik, oder sind das eher Chansons?

Es sind Chansons, es ist Weltmusik – etwas was Power hat, damit ich nicht einschlafe (lacht).

In Deutschland ist die Vendée Globe, die wohl härteste und anspruchsvollste Segelregatta der Welt, noch immer weitgehend unbekannt. Ändert sich das durch Ihre und Boris Herrmanns Teilnahme? Wie groß ist Ihr Fanclub in Deutschland?

In Deutschland habe ich keinen großen Fanclub. Boris eher, denn er ist ein echter Deutscher. Ich bin in Frankreich groß geworden, ich habe nur drei Jahre in Freiburg gewohnt. In Deutschland ist es eher die Familie, die mir folgt, und weniger die Freunde.