Das Erste, was an Anne Donath auffällt, sind die Augen. Sie leuchten. Und wie die Frau dasitzt! Im Schneidersitz. Die soll 75 sein? Man sieht es ihr nicht an. Aber die Zipperlein kommen. Morgens laufe sie neuerdings herum wie ein Klappmesser, erzählt sie auf der Terrasse sitzend. Im Laufe des Tages werde es besser. Stetiges Hocken auf dem Boden und wieder Aufstehen, tägliches Radfahren und Gassigehen mit Hund Sancho – das hält sie beweglich.
Andere denken, es hat mit der Art zu tun, wie Donath wohnt. Möglich wär‘s, denn so zu wohnen ist in Deutschland etwas Besonderes. So lange, wie sie das schon macht, allemal. Donath lebt in Steinhausen bei Bad Schussenried in einem Blockhaus, vier mal vier Meter Grundfläche, ein Zimmer, in dem sich Matratze, Bad, Küche und Wohnzimmer befinden, unterm Dachboden Stauraum. Vor allem hat sie keinen Strom und – außer dem Holzofen, mit dem sie auch kocht – keine Heizung.
Im Dezember sind es 30 Jahre, dass die ehemalige Lehrerin und Pflegekraft dieses einfache Leben lebt. Das sind etwa 20, bevor das Tiny House überhaupt zum Begriff und Minimalismus zum Lifestyle wurde, und fast 30, bevor Deutschland anfing, über Energiekosten so richtig nachzudenken. Wärmewende, Heizungsgesetz, Gasimporte – all das geht Donath im Grunde nichts an. „Aber die Leute, deren Strom- und Gaskosten explodieren, tun mir leid“, sagt sie.

Donath kommt mit bemerkenswert wenig aus. In ihrem Kühlschrank – also dem Stoffbeutel, der an der Kellerluke hängt – lagern gerade ein angefangenes Glas Joghurt und eine Tupperdose mit Frischkäse. Das reicht. Morgen geht sie wieder einkaufen, die tägliche Routine tut ihr gut. Auch sonst ist ihr Verbrauch niedrig: Im Jahr macht sie zwei kleine Mülltonnen voll und füllt zwei gelbe Säcke, alles andere wandert auf den Kompost oder wird gar nicht erst gekauft.
Die Besucherin bekommt einen Espresso mit dem Gaskocher bereitet. Rauchen darf sie auch – der Zigarettenstummel muss aber mitgenommen werden.
Auch, was Donath an Holz benötigt, ist überschaubar: 150 Euro Energiekosten für Heizen, Kochen und Warmwasser fallen fürs ganze Jahr bei ihr an. Seit ein paar Jahren verbringt sie die Winter auf der griechischen Insel Kreta, seither belaufen sich ihre Energiekosten auf 70 Euro – gesamt.
20 Euro im Jahr für Wasser
Für Wasser bezahlt sie 20 Euro im Jahr. Zur Körperpflege und zum Wäschewaschen verwendet sie Regenwasser, das Klo wird mit Brauchwasser gespült. Trinkwasser braucht sie nur zum Trinken und Kochen. Alles andere hielte sie für Verschwendung.
Hier wird Anne Donath dann doch ein klein wenig dogmatisch. In der mit Trennwand und Tuch abgeteilten Bad-Ecke kleben kleine Zettel, welches Wasser die Besucher wofür verwenden sollen. Ansonsten kommt Donaths Konsumverweigerung ideologiefrei daher. Was nicht alle verstehen, die zu ihr kommen.
Vor ein paar Jahren hat sie ein Buch geschrieben über ihre Art zu leben. Sie war in verschiedenen Talkshows zu Gast, Zeitungen berichtete, der SWR war auch schon da.
So kommt es, dass sich immer wieder Interessierte dieses Lebendbeispiel dafür anschauen wollen, dass so etwas tatsächlich möglich ist. Donath empfängt sie gerne, auch wenn ihr gelegentlich unterstellt wird, sie mache das, weil sie elektromagnetische Strahlen für schädlich halte, moderne Technik ablehne oder zurück zur Natur wolle.
Anne Donath lacht. „Ich genieß‘ das alles hier“, sagt sie und zeigt auf das chaotisch sprießende Grün rundum. „Das muss aber nicht zur Religion werden.“ Sie hat außerdem erkannt, wie praktisch ein Handy sein kann. Geladen wird es mit Solarstrom, die Powerbank betreibt dazu noch einen LED-Strahler, den sie zum Stricken und Lesen nutzt.
Warum macht sie das?
Ideologie ist es nicht. Warum also dann macht die Frau das? Der Gedanke dahinter ist einfach und wird doch in unserer Welt selten gedacht. Eigentlich sei sie faul, bekennt die 75-Jährige aus Schleswig-Holstein, die den größten Teil ihres Lebens im Schwäbischen verbracht hat. Viel Arbeiten, um sich viel leisten zu können, und dann viele Sachen in Schuss halten zu müssen, was noch mehr Arbeit nach sich zieht und noch mehr finanziellen Aufwand – das hält sie für kein überzeugendes Lebenskonzept.
Und weil sie, die nach der Trennung von ihrem Mann drei Kinder alleine großgezogen hat, ohnehin nie viel verdient hat, hat sie sich beizeiten überlegt, dass sie bis zur Rente einen abbezahlten Wohnraum ohne viel Nebenkosten haben müsste.

124.000 Mark hat sie mit 45 Jahren von der Bank aufgenommen, um das Blockhaus zu finanzieren, mit 53 Jahren hatte sie die Schulden abbezahlt. Die Kinder waren damals schon ausgezogen. Seither lebt Donath hier.
Nach anfänglichem Widerstand der Dorfbewohner kommt sie inzwischen mit den meisten im Ort gut aus, auf ihren täglichen Touren erwarten sie viele Schwätzchen. In Rente ging sie mit Abschlägen, die inzwischen dank Mütterrente und kleiner Betriebsrente bei 1100 Euro netto liegende Summe findet sie üppig.
Donath sagt Sätze wie: „Ich habe keine Lust, viel Geld haben zu müssen, nur um mir Sachen leisten zu können. Das würde mich einschränken.“ Oder: „Ich gönne mir meine Faulheit.“ Damit kann nicht Bequemlichkeit gemeint sein. Wer mit 75 alle Strecken mit Rad, Bus oder Bahn zurücklegt (in einem Ort, in dem sonntags kein Bus hält), wer noch selbst sein Holz hackt, den kann man schlecht bequem nennen.
Aber Donath hat gerne Zeit für Dinge, die sie interessieren. Sie liest, spielt Flöte, malt, schreibt, strickt, unternimmt Radtouren und zeltet (“Das hält die Gedanken frisch“). Möglicherweise ist es das, was ihre Augen strahlen lässt.