Lieber Herr Hoeneß,

ich kann mir vorstellen, dass Sie sich als Ruheständler in Ihrer Villa am Starnberger See gewaltig langweilen. Sie vermissen wohl den Zoff mit Ex-Vereinsbossen wie Willi Lemke oder Hans-Joachim Watzke. Sie trauern vielleicht den Keifereien mit Ex-Trainer Christoph Daum oder Udo Lattek hinterher. Sie denken wohl gerne daran zurück, als bei einer Jahreshauptversammlung nach ihrer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung tausende Fans skandierten: „Uli! Uli! Uli!“

Uli Hoeneß, ehemaliger Vereinsboss des FC Bayern München.
Uli Hoeneß, ehemaliger Vereinsboss des FC Bayern München. | Bild: Marijan Murat

Hach, was war es doch für eine geile Zeit voller Erfolg und Aufmerksamkeit, gell? Ich vermisse Sie auch, Herr Hoeneß: Ihre legendären Interviews nach dem Abpfiff oder Ihr bayern-rotes Gesicht, wenn dann auch noch Borussia Dortmund Ihren Verein besiegt hatte (lang, lang ist das allerdings her!).

Doch die Fußball-Welt hat sich weitergedreht. Mittlerweile sitzen beispielsweise andere Persönlichkeiten in der Sendung „Doppelpass“ auf Sport1 – der Weißbier-Hölle des deutschen Fußballs, wo der laufende Spieltag bis zur Unkenntlichkeit verdaut wird. Vergangene Woche ging es unter anderem um die anstehende Fußball-WM in Katar. Der kritische Tenor schmeckte ihnen gar nicht – und weil Sie nicht eingeladen waren, riefen Sie einfach selber an.

https://www.youtube.com/watch?v=jSvOY921ESs

„Den Arbeitern in Katar geht es durch die WM besser und nicht schlechter. Das sollte man endlich mal akzeptieren und nicht ständig auf die Leute draufhauen“, sagten Sie. All das Engagement und die Aufmerksamkeit für Turnier und Land führe dazu, dass sich die Umstände für die Gesellschaft dort nur verbesserten.

Nach WM in Russland kaum Veränderung zum Besseren

Mit ihrem Anruf weckten Sie die schlummernde Gäste im Publikum. Danach fetzten Sie sich mit dem Fußballfunktionär

Andreas Rettig, der sich vorbildlicherweise sehr kritisch mit der WM auseinandersetzt, und hatten mal wieder die Aufmerksamkeit von ganz Fußballdeutschland.

Aber zur Erinnerung: Vor vier Jahren fand die Fußball-Weltmeisterschaft in Russland statt. Damals hieß es von Verbänden und Funktionären, das Turnier sorge für Veränderung in dem Land. Heute führt der Staatspräsident Krieg gegen die Ukraine und hat kürzlich 300.000

weitere Männer für die Gefechte mobilisiert. Wandel durch Fußball sieht anders aus.

Moskau im Juli 2018: Der russische Präsident Wladimir Putin berührt nach dem Endspiel neben Fifa-Präsident Gianni Infantino den WM-Pokal.
Moskau im Juli 2018: Der russische Präsident Wladimir Putin berührt nach dem Endspiel neben Fifa-Präsident Gianni Infantino den WM-Pokal. | Bild: Cao Can

Dass Sie für das Turnier in Katar Partei ergreifen, wundert mich nicht. Sie waren Bayern-Präsident als ein millionenschwerer Sponsorenvertrag zwischen der katarischen Staatsfluglinie und dem Verein unterschrieben wurde. Es mag für Sie eine Sauerei sein, auf eine Veranstaltung „draufzuhauen“, die uns unsere Adventszeit versüßen soll.

Doch diese Kritik ist berechtigt: Tausende Arbeiter sind bei den Bauarbeiten für Stadien gestorben, Fußballfunktionäre wurden bei der Vergabe bestochen und eine Autokratie erhält die Chance, sich als Vorbildsnation zu inszenieren. Selbst wenn Sie Ihren Besuchen in Katar nie einen unglücklichen Arbeiter gesehen haben: Diese Weihnachts-WM im Wüstenstaat braucht kein Mensch.