Ja, sie waschen, streicheln und dekorieren es. Sie geben ihm Kosenamen wie „Dicker“, „Baby“ oder „Schorschi“. Gedichte handeln von der Autoliebe, sogar in Liedern wurde die Freude am Fahren gefeiert: „Mein Maserati fährt 210./Schwupp, die Polizei hat‘s nicht geseh‘n./Das macht Spaß!/Ich geb‘ Gas, ich geb‘ Gas!“

Ein Opel Manta B aus dem Film „Manta, Manta“ im Verkehrsmuseum Dresden in der Ausstellung „Geliebt. Gebraucht. ...
Ein Opel Manta B aus dem Film „Manta, Manta“ im Verkehrsmuseum Dresden in der Ausstellung „Geliebt. Gebraucht. Gehasst. Die Deutschen und ihre Autos“. | Bild: Sebastian Kahnert/dpa

Der Neue-deutsche-Welle-Poet Markus sang das in den 80er-Jahren, in Zeiten, als „freie Fahrt für freie Bürger“ noch als politischer Slogan taugte. Und nicht zu vergessen: Kraftwerks „Autobahn“ wurde zu den zehn besten deutschen Songs aller Zeiten gewählt. So etwas sollte man wissen, wenn man über Autos schreibt – und über eine Liebe, die zu rosten beginnt.

48 Millionen Fahrzeuge

Rund 48 Millionen Fahrzeuge sind derzeit allein in der Bundesrepublik zugelassen. Noch immer ist das Automobil vor allem in ländlichen Gebieten das Statussymbol Nummer eins. Es verkörpert, das ist in zig Studien nachgewiesen, nach wie vor für Millionen von Menschen das Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit.

Seitdem ganz schön gewachsen: der erste Golf aus dem Jahr 1974.
Seitdem ganz schön gewachsen: der erste Golf aus dem Jahr 1974. | Bild: Charlie Magee

Deutschlands einziger Automobil-Psychologe Dr. Rüdiger Hossiep sagt beispielsweise, der Mensch liebe sein Auto, weil es die „Ergänzung der eigenen Persönlichkeit ist“. Es sei das „gepanzerte Selbst, ein sozialer Raum zum Mitnehmen“.

Wie Beziehungen zu Menschen

Und die Soziologin Christa Bös von der Freien Universität Berlin hat festgestellt, dass Liebesbeziehungen zum Auto und zwischenmenschliche Beziehungen „sich erstaunlich ähnlich sind“. Sie würden beide aus drei Komponenten bestehen: Leidenschaft, Intimität und nicht zuletzt dem Wunsch, sich dauerhaft zu binden.

An der Uni Ulm hat man in diesem Zusammenhang jungen Männern Fotos von Autos vorgelegt. Die Aktivitäten ihres Gehirns wurden dabei per Magnetresonanz gemessen. Im sogenannten Nucleus accumbens wurde dabei eine sehr starke Aktivität festgestellt. Das ist das „Belohnungszentrum“ des Menschen im Vorderhirn, die normalerweise beim Genuss von Kokain oder beim Sex so heftig ausschlägt.

Klassisch schön: ein Porsche 911.
Klassisch schön: ein Porsche 911. | Bild: Markus Scholz/dpa

Trotz Klimadebatte und Mobilitätsdiskussionen scheint die Zuneigung des deutschen Automobilisten zu seinem Gefährt weiter erstaunlich groß. Nach einer repräsentativen Umfrage der Deutschen Automobil Treuhand empfinden 55 Prozent der Pkw-Halter allein Freude, wenn sie das eigene Auto nur anschauen.

Spaß beim Autofahren?

Vier von fünf Fahrzeugbesitzern behaupten zudem, dass sie Spaß beim Autofahren haben. Und etwa jeder Fünfte gibt an, dass er gern auf Spritztour geht, eine Aussage, die nicht gegendert werden muss.

Allerdings wird das mit dem Spaß zunehmend weniger. Es gibt einfach zu viele Autos. Die Folge sind immer häufiger Staus auf der Autobahn und in den Städten. Ungefähr 65 Stunden im Jahr verbringt man in Frankfurt durchschnittlich mit der Parkplatzsuche. Das stellte der Verkehrsanalyse-Spezialist Inrix fest. In Berlin dauert die Suche 62 Stunden, in München 50.

Schweres Gerät: Ein Range Rover aktueller Bauform.
Schweres Gerät: Ein Range Rover aktueller Bauform. | Bild: Jaguar Land Rover

67 Prozent der Deutschen verbinden das steigende Verkehrsaufkommen mit erhöhtem Stress. Das belegt die jüngste Continental-Mobilitätsstudie. Die klare Mehrheit im Lande nimmt das mehr oder minder klaglos hin. Warum? Vielleicht, weil Liebe immer auch ein wenig irrational ist.

„Wir vergiften uns selbst“

Der Verkehrsexperte Stephan Rammler kritisiert in seinem Buch „Volk ohne Wagen“ diese fast pathologische Autofixierung der Deutschen. Er selbst ist genervt von verstopften Straßen, Staus, Abgasen und Motorenlärm.

„Die seit Jahrzehnten betriebene Gehirnwäsche mit dem Auto als Freiheit verheißendem Fixpunkt ist offenbar nicht schnell zu therapieren. Wir vergiften uns selbst“, sagt er angesichts der Abgaswerte in den Städten.

Bei Jungen ist das Auto abgemeldet

Es gibt inzwischen eine starke Gegenbewegung zum Kraftfahrzeug. Bei der Internationalen Autoausstellung in München brachten es die Gegner mit ihrem Protest jüngst sogar bis in die Tagesschau, als sie sich von Brücken abseilten. In den Träumen vieler Jugendlicher und junger Erwachsener spielt das Auto keine Hauptrolle mehr.

Abgase strömen aus dem Auspuff eines Fahrzeuges mit Dieselmotor.
Abgase strömen aus dem Auspuff eines Fahrzeuges mit Dieselmotor. | Bild: Jan Woitas/dpa

Kein Wunder. Es ist ja in den vergangenen Jahren eine Menge passiert. So richtig in Fahrt gekommen ist das Ganze mit dem Dieselskandal 2015. Da wurde plötzlich der Fokus darauf gerichtet, dass Unmengen Abgase aus den Auspuffrohren mit jedem Kilometer Fahrt in die Atmosphäre abgegeben werden.

Gewissenlos getrickst

Und die Erkenntnis, dass die meisten Autohersteller beinahe gewissenlos tricksten, um die politischen Umweltregeln zu umgehen. Da ist bei dem einen oder anderen Fan ein Riss in der Beziehungsstruktur zum Auto entstanden.

Den können auch die Elektromobile vermutlich nicht kitten. Gegenüber den sogenannten Verbrennermotoren haben sie aus Sicht der Autofans neben der energieaufwendigen Herstellung und schwierigen Entsorgung der Akkus ein nicht zu unterschätzendes emotionales Manko. Sie fahren, abgesehen von den Abrollgeräuschen, fast geräuschlos. Bestenfalls werden Motorgeräusche künstlich entworfen und per Lautsprecher übertragen.

Auf den „Sound“ kommt es an

Der „Sound“ aber ist bei Motorfans ein emotionales Thema. Das wird spätestens klar, wenn man schon einmal die leuchtenden Augen eines Autotraditionalisten beim Anlassen eines Ferraris oder Maseratis gesehen hat.

In der Volkswagen-Welt in Wolfsburg, einem Freizeitpark für Autoverrückte, gibt es Pavillons, in denen man sich mit dem Dröhnen der Motoren, zum Beispiel mit dem heiseren Fauchen eines Lamborghini, beschallen lassen kann. Liebe geht über die Sinne, und da wird bei der E-Mobilität schon gleich mal einer weniger angesprochen.

Optisch immer ähnlicher

Eigentlich sogar zwei weniger. Denn die modernen Automodelle werden einander optisch immer ähnlicher, ihre Individualität ist schlichtweg verloren gegangen. Der frühere Automobildesigner Stefan Heiliger vermutete schon vor Jahren, dass „alle an derselben Zielgruppe verdienen wollen“. Darum werden die Formen so gezeichnet, dass sie dem Mainstream gefallen.

Tempo-130-Schild auf der Autobahn A61 bei Waldesch.
Tempo-130-Schild auf der Autobahn A61 bei Waldesch. | Bild: Thomas Frey/dpa

Zu einer weiteren Entzauberung der Autos könnte das – verkehrspolitisch sinnvolle – Tempolimit führen (wenn nicht die Grünen bei den Berliner Koalitionsverhandlungen in dieser Legislaturperiode darauf verzichten). Dann dürfen alle nur noch 120 oder 130 km/h schnell fahren.

Der Wilde Westen für Asphaltcowboys

Und es könnte denen, die gerne ein wenig mehr Gas geben wollen, die letzte Illusion rauben, dass Autobahnen so etwas wie der Wilde Westen für Asphaltcowboys sind.

Und als ob das nicht alles schon tiefe Kratzer im Beziehungslack hinterlassen hätte, da vermeldete Volkswagen vor einigen Wochen, man werde ab 2023 nur mehr Automatikgetriebe einbauen. Die Kupplung war und gilt Motorfans in ihrer Beziehung zum Auto als besonders sensible Stelle. Das Spiel zwischen ihr und dem Gaspedal, der richtige Schleifpunkt, das geschmeidige Anfahren – das alles ist pure Romantik.

Und doch ist der Wegfall der Kupplung im Vergleich zu dem, was in Zukunft sonst noch so anstehen könnte, nur eine Lappalie. Denn der allergrößte Schrecken für Vollblut-Automobilisten ist das autonome Fahren.

„Ein weiterer Schritt zur Verblödung der Menschheit“

Der frühere Rallye-Weltmeister Walter Röhrl, auch mit inzwischen 74 Jahren noch immer ein Spitzenautofahrer, wird deutlich. Er sieht darin nichts weniger als „einen weiteren Schritt zur Verblödung der Menschheit“.

Forscher der RWTH Aachen fahren im Self Driving Lab (Anwendungslabor für automatisierte Fahrfunktion) auf einer Teststrecke.
Forscher der RWTH Aachen fahren im Self Driving Lab (Anwendungslabor für automatisierte Fahrfunktion) auf einer Teststrecke. | Bild: FEDERICO GAMBARINI/dpa

Irgendwie kann man den Mann verstehen. Denn vollautonomes Fahren heißt: Es gibt irgendwann am Ende kein Lenkrad und keine Pedale mehr. Jeder könnte plötzlich Auto fahren, auch Kinder oder eingeschränkte Personen. Klingt einerseits gut, weil es das Aus für Verkehrsrowdys bedeutet, fühlt sich aber für eingefleischte Automobilisten an wie eine Kapitulation.

Kontrollverlust

Denn der Fahrer verliert das, was er so liebt: den Spaß. Er hat keine Kontrolle, keine Macht mehr über Fahrzeug und Tempo. Somit beschleicht ihn auch das Gefühl, ein Stück seiner individuellen Freiheit zu verlieren.

Wie wird das alles weitergehen? Nur Fahrrad und öffentlicher Nahverkehr sind für viele keine adäquaten Alternativen. Über ein Drittel der Deutschen kann es sich noch nicht vorstellen, auf das Auto ganz zu verzichten.

Wie geht ein Leben ohne?

Wahrscheinlich ist, dass es kommt, wie in mancher in die Jahre gekommenen Ehe: Man bleibt trotz wachsender emotionaler Distanz zusammen – ganz einfach, weil bei den meisten die Fantasie dafür erloschen ist, wie ein Leben ohne einander aussehen könnte.