Ausgemacht ist in diesem von überraschenden Wendungen geprägten Wahlkampf in den USA auch sieben Wochen vor der Wahl noch nichts. Jüngste Volte: ein mutmaßlich geplanter erneuter Anschlag auf Präsidentschaftskandidat Donald Trump auf dem Golfplatz. Wie sich der auf Trumps Zustimmungswerte auswirkt, ist ungewiss.
Der Republikaner tut jedenfalls alles dafür, um den Vorfall für seine Kampagne auszuschlachten. Sein neuester Frontalangriff gegen seine demokratische Konkurrentin Kamala Harris, aktuell Vizepräsidentin, und den amtierenden Präsidenten Joe Biden: „Ihre Rhetorik führt dazu, dass auf mich geschossen wird“, behauptet Trump. Dabei ist der wegen seiner rüden Rhetorik berüchtigte Immobilienmilliardär seinerseits bekannt dafür, zu polarisieren.
Dennoch spricht derzeit einiges dafür, dass Harris das Rennen machen könnte – das sind die wichtigsten Gründe:
1. Positives Momentum
Nichts ist wichtiger, das zeigt die Geschichte, als in die letzten Wochen vor einer Präsidentschaftswahl von einer Woge der Positivität getragen zu werden. Harris dürfte darauf nun bis zum 5. November surfen. Demoskopen sehen sie als klare Gewinnerin der TV-Debatte. Sie attackierte Trump selbstbewusst und eloquent immer wieder mit Fakten und brachte ihn gelegentlich so aus der Fassung, dass er seinen roten Faden verlor und auf klare Schwächen der Biden/Harris-Regierung nicht einging.
Vor der Debatte lagen Trump und Harris Kopf an Kopf. Doch nun darf Harris einen Popularitätsaufschwung erwarten.

2. Trumps Selbsttäuschungen
Am Tag nach seinem Debatten-Debakel sprach Donald Trump erneut in einer Massen-E-Mail zu seinen Unterstützern. Er habe mit seinem „gewaltigen Debatten-Sieg“ seine Konkurrentin Kamala Harris „gedemütigt“. Nun werde er ihrer Kampagne den „K.-o.-Schlag“ versetzen. Niemand in seinem Lager hat es offenbar gewagt, Trump zu sagen, wie wenig überzeugend sein TV-Auftritt vor einem Millionenpublikum war. Unter den Berichterstattern der Debatte sah keiner Trump vorn, der 90 Minuten lang nur wie ein schlecht gelaunter alter Mann wirkte.
Aber offenbar glaubt der Republikaner, der 2016 als Außenseiter gestartet war und dann doch das Weiße Haus eroberte, dass die Debatte keine Folgen für ihn haben wird – und er tatsächlich besser als Harris war. Dies wird zwangsläufig dazu führen, dass er seine Wahlkampfstrategie nicht ändert.
3. Der Swift-Faktor
Kurz nach Ende der Debatte verkündete Popstar Taylor Swift, sie werde nunmehr für Kamala Harris stimmen. Das ist zwar keine Überraschung und war weithin erwartet worden. Ein Teil ihrer Swifties genannten Fans in den USA ist aufgrund ihres Alters zudem noch nicht wahlberechtigt. Doch jene, die Stimmzettel ausfüllen dürfen, werden wohl dem Vorbild ihres Idols folgen und das Kreuzchen für Harris machen.

4. Der Faktor Zeit
Nach dem parteiinternen Coup, der den altersschwachen Joe Biden zum Verzicht auf die Kandidatur zwang, bleibt Harris nur wenig Zeit, sich beim Wahlvolk bekannt zu machen. Mit dem erfolgreichen Debattenauftritt hat sie weit verbreitete Zweifel an ihrer Kompetenz erst einmal vom Tisch gewischt. In den verbleibenden sieben Wochen bis zur Wahl läuft nun Donald Trump die Zeit davon, den positiven Eindruck von Harris noch umzukehren.
5. Die US-Medien
Die wichtigsten TV-Sender – abgesehen vom konservativen Sender Fox News – machen in ihrer Berichterstattung aus ihrer Bewunderung für Harris keinen Hehl. Sie profitiert dabei von der unausgesprochenen Devise quer durch die Medienlandschaft, die lautet: Trump um jeden Preis verhindern.
Deutlich wurde das auch bei der Debatte, als die beiden Moderatoren des Senders ABC Aussagen von Trump gleich fünfmal infrage stellten – aber bei von Harris ebenfalls präsentierten Unwahrheiten schwiegen und nicht nachsetzten. Von einer solchen Konstellation in der öffentlichen Meinung kann Harris nur profitieren. Die große Mehrheit der US-Medien, die den kognitiven Verfall von Joe Biden jahrelang bewusst nicht thematisiert hatte, ist heute ihr wichtigster Verbündeter.