Wenn sich der Bundestag in dieser Woche mit der Neuregelung des Themas Organspende befasst, begibt sich die Politik an den Rand ihrer Möglichkeiten. Gesundheitsminister Spahn und zahlreiche Unterstützer auch aus anderen Parteien wollen die Zustimmung jedes Menschen zur Organspende im Todesfall zur Regel erheben, solange der betroffene Mensch nicht zuvor ausdrücklich seinen Widerspruch erklärt hat.

Das Motiv für diese Widerspruchslösung ist ethisch gut begründbar

Die Zahl der Spendenwilligen soll, so zumindest die Hoffnung, deutlich erhöht werden. Für tausende sehr kranker Menschen brächte das neue Hoffnung. Alles andere als Unterstützung dafür wäre kaum zu rechtfertigen.

Gegner wie Befürworter der Initiative wollen dasselbe: Mehr Organspenden

Dass es dennoch fast genauso viele Gegner der Initiative – ebenfalls quer durch alle Fraktionen, bei den großen Kirchen, bei Ethikern und Ärzten – gibt, liegt nicht an der Verweigerung lebensrettender Hilfe. Befürworter und Gegner der Spahn-Initiative wollen dasselbe: Mehr Organspenden.

Die Gegner lehnen es aber ab, dass der Staat sich die Entscheidungskompetenz über eine existenzielle und höchstpersönliche Frage des einzelnen Menschen anmaßt, indem er die Einwilligung zur Organspende als Regelfall voraussetzt. Damit würde das Prinzip der ausdrücklichen Einwilligung in die Spende auf den Kopf gestellt.

Übergriff des Staates

Tatsächlich käme dieses Verfahren selbst bei noch so positiven Absichten einem Übergriff des Staates auf die unantastbare Würde der Menschen sehr nahe. Das individuelle Selbstbestimmungsrecht über Geist, Körper und Seele ist deren zentraler Punkt. Das sollte man in Deutschland nur zu gut wissen. Nicht zufällig ist die Unantastbarkeit der Menschenwürde das Leitmotiv unseres Grundgesetzes. Es formuliert keine Zustands-Beschreibung, sondern die absolute Handlungs-Maxime.

Die Menschenwürde berührt den Kernwert dieses Staates: Sein Menschenbild.

Deshalb muss es bei einer Zustimmungslösung bleiben – mit aller Entschlossenheit, die Zahl der Spendenwilligen mit anderen Mitteln klar zu erhöhen. Der von Annalena Baerbock (Grüne) und Spahn-Vorgänger Hermann Gröhe (CDU) gemeinsam vertretene Alternativentwurf will genau das erreichen. Man weiß, dass alles Werben für mehr Spendenbereitschaft ohne großen Erfolg blieb.

Vielleicht wäre es sogar denkbar, jeden Bürger aus humanitären Gründen erklärungspflichtig zu machen – wie es übrigens auch bei Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen sinnvoll wäre. Über das Ende nicht nur des eigenen Lebens rechtzeitig nachzudenken, ist gewiss eine harte, nicht selten bittere Zumutung – aber eine, der sich jeder stellen sollte.

Die Frage der eigenen Organspende ist eine zutiefst persönliche Entscheidung, und sie muss es auch bleiben. Das ist in jedem Fall zu respektieren – beim heutigen Bundespräsidenten, der 2010 seiner Frau eine lebensrettende Niere spendete, aber auch bei jedem, der seine Organe, warum auch immer, nicht zur Verfügung stellt. Der Staat hat da nichts vorauszusetzen. Seine Repräsentanten sollten einsehen, dass die Entscheidungskompetenz des Staates bei den Fragen, die den Anfang und das Ende des Lebens betreffen, schnell überschritten ist.

Der Autor Ernst Hebeker, 65, war lange Jahre stellvertretender Chefredaktuer dieser Zeitung. Zuletzt arbeitete er als Sprecher des Deutschen Bundestags in Berlin.