Der Brexit beherrscht die Schlagzeilen. Dabei droht der EU längst auch der Verlust eines weiteren Partners: der Schweiz. Bis zum Jahresende sollten die Beziehungen eigentlich durch ein neues Rahmenabkommen gefestigt werden. Doch die Fronten sind verhärtet – obwohl Bern damit viel riskiert.
Sie gehören zwar nicht zur EU, zählen aber doch zu den treuen Partnern: die Eidgenossen. Seit 1972 ist ein dichtes Netz von 120 Verträgen über alle Politikbereiche entstanden – vom Luftverkehr über die Forschung bis hin zu Arbeitnehmerrechten. Doch der seit 2014 laufende Versuch, ein Rahmenabkommen zu vereinbaren, tritt auf der Stelle.
Schon ist von einem „Schwexit“ (Schweiz Exit) die Rede. Als „Binnenmarkt-Hardliner“ wird die EU-Kommission aus Bern beschimpft. In Brüssel heißt es, die Schweiz sei für die Union ein ständiger Stresstest.
Was ist der Auslöser des Krachs?
Auslöser des Krachs ist die von der Gemeinschaft verlangte Reform der „flankierenden Maßnahmen“, mit denen die Alpenrepublik ihre Löhne und Arbeitsbedingungen vor Dumping schützen will. Dabei stößt sich Brüssel vor allem an der sogenannten 8-Tage-Regel sowie der Kaution.
Denn Unternehmen aus der europäischen Nachbarschaft müssen sich acht Tage vor der Übernahme eines Auftrags im Alpenland durch einen Berg an Bürokratie der Behörden wälzen, Personalien, Einsatzort und Tätigkeit jedes Mitarbeiters übermitteln.
Außerdem sind Nachweise nötig, um zu belegen, dass die örtlichen Regelungen für Mindestlohn, Urlaubsanspruch und Spesen angewendet werden, damit kein einheimischer Arbeitnehmer benachteiligt wird.
Und wer dann eigenes Arbeitsgerät mit in die Schweiz bringen will, hat noch eine saftige Kaution zu hinterlegen. Begründung: Verstöße gegen das eidgenössische Arbeitsrecht lassen sich im Herkunftsland des Gast-Unternehmens nur schwer durchsetzen.
Gespräche abgelehnt
Die Schweizer Gewerkschaften lehnen inzwischen jedes Gespräch über eine Reform dieser flankierenden Maßnahmen strikt ab und ließen in den zurückliegenden Monaten gleich reihenweise Gespräche platzen.
„Wir sehen keinen Grund, den Schutz infrage zu stellen“, wird Paul Rechsteiner, Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, nicht müde, zu betonen. Hinzu kommen weitere Auseinandersetzungen um eine Richtlinie zur Unionsbürgerschaft und zur Streitschlichtung.
Außenminister Ignazio Cassis spricht zwar neuerdings davon, dass bis Ende Oktober eine Einigung möglich wäre. Doch woher er diesen Optimismus nimmt, ist unklar. Ohne die Gewerkschaften kann Bern in den Gesprächen mit der EU nichts anbieten.
Drohungen aus Brüssel
Das wiederum führt zu immer offeneren Drohungen Brüssels. Vor gut einem Jahr erhielt die Schweizer Börse eine nur auf ein Jahr befristete Zulassung für den europäischen Markt. Sollte diese nicht verlängert werden, wäre das Banken-Land vom EU-Finanzmarkt praktisch abgeschnitten.
Dass die EU-Verwaltung darin ein Modell zur Durchsetzung auch anderer Forderungen sieht, ist offenkundig. Dabei wissen die Eidgenossen, dass sie ohne ungehinderten Zugang zum Binnenmarkt, ohne Fachpersonal aus der übrigen Union und möglicherweise wiedereingeführte Grenzkontrollen praktisch nicht existieren können.
Ein weiteres Instrument, um die Schweiz beständig zu piesacken, ist die seit Mai geltende Datenschutzgrundverordnung. Zwar hat Bern die eigenen Regeln inzwischen angepasst, die Kommission aber lässt sich viel Zeit mit der Genehmigung – sollte diese Billigung ausbleiben, hätten die Firmen im Alpenland ein Riesenproblem.
Schwexit nicht undenkbar?
Der Schwexit gilt inzwischen als nicht mehr undenkbar, ohne dass die Regierung in Bern einen Plan B hätte. Sicher scheint wohl nur, dass beiden Parteien die Zeit wegläuft. 2019 wird nicht nur in der Schweiz gewählt, sondern auch in Europa.
Und in Bern weiß man, dass Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker dann in Brüssel nicht mehr antritt. Ob sein Nachfolger der Schweiz ähnlich geduldig und kompromissbereit gegenübertritt, ist völlig offen.