Zu den größten Ärgernissen der Deutschen gehört das Trommelfeuer politischer Korrektheits-Sprache. Das haben zuletzt die Allensbacher Meinungsforscher festgestellt: „Der Mehrheit geht auch zu weit, dass immer mehr auf Genderneutralität geachtet wird, sei es durch die Einforderung, dass in Ansprachen immer die männliche und die weibliche Anrede zu verwenden ist, sei es durch Vorgaben für Stellenanzeigen, in denen nun durch ein Sternchen alle drei Geschlechter zu adressieren sind.“

Das scheint in Politik und manchen Medien niemanden zu interessieren

Wer frühmorgens sehr schnell sehr wach werden will, schalte den Deutschlandfunk ein. Schon in der Frühsendung beginnt die Exekution der geschlechterneutralen Sprache („Flaschensammlerinnen und Flaschensammler“). An „Studierende“ hat man sich ja inzwischen gewöhnt, aber „Flüchtende“, „Protestierende“, „Forschende“? Klar, dass da ständig von „Syrerinnen und Syrern“ die Rede ist, aber die Vorstellung von „flüchtenden Studierenden“ als lernende Menschen auf der Flucht trägt schon bitteren Zynismus in sich. An die Stelle von Journalismus tritt Polit-Aktivismus der öffentlich-rechtlichen Art.

Niemand schert sich da um den Unterschied zwischen biologischem (sexus) und sprachlichem Geschlecht (genus)

Allein die Wirkungsabsicht zählt, die diese Differenz propagandistisch einebnen will. Kein Zufall, dass sich Gendersprache in gewissen Kontexten ballt: Von „Kapitänin“ Rackete beim Migrationsthema haben wir ausgiebig gehört, und es passt, dass die Presseagentur der Evangelischen Kirche von einer „Vorständin“ schreibt.

Die von Allensbach ermittelte Ablehnung dieser permanenten Nerverei wird rücksichtslos ignoriert. Die Sprache der Politik hat sich dabei weit von der Sprache der Bevölkerung entfremdet. Man kann sehr wohl für konsequente Gleichberechtigung der Geschlechter eintreten, ohne Sprache zu manipulieren. Wie wird es erst sein, wenn die ebenfalls von politischen Glaubenskriegern (korrekt: Glaubenskriegführenden) propagierte Erweiterung ins „Diverse“ zur Norm erhoben wird? Auch die sprachliche Form der politischen Korrektheit ist ja nichts anderes als die dogmatische Anmaßung einer Deutungshoheit. Niemand täusche sich über die Entschlossenheit der Anmaßenden: Der Meinungsterror von Minderheiten nimmt beängstigend zu, weltweit und nicht nur an Universitäten.

Die Sprache ist nur ein, allerdings allgegenwärtiger Ort dieses Kampfes

Vor einem Jahr wurde eine Zwei-Euro-Münze mit Helmut Schmidt in Umlauf gebracht. Sie zeigt den früheren Kanzler und „elder statesman“ mit ausgestrecktem Arm und den berühmten zwei Fingern, zwischen denen bei ihm stets eine Zigarette steckte. Aber die Zigarette fehlt dort, aus Korrektheitsgründen. Man könnte auch historische Bilder von den berühmten Zigarrenrauchern Ludwig Erhard und Winston Churchill nachträglich korrigieren. Vielleicht wird demnächst jemand mit dem Segelboot an der New Yorker Freiheits-Statue vorbeifahren und feststellen, dass die Fackel als Symbol für die Verbrennung von fossilen Brennstoffen nicht mehr „zeitgemäß“ sei. Von Freiheit redet dann niemand mehr.

Ernst Hebeker, 65, war lange Jahre stellvertretender SÜDKURIER-Chefredakteur, zuletzt Sprecher des Deutschen Bundestages.