Herr Aydin, Sie sind der Pflichtverteidiger von Sarah O. Wie ist es für Sie, eine potenzielle IS-Kämpferin zu verteidigen?

Sie ist nicht die erste, die ich verteidige, der solche Vorwürfe gemacht werden. Ich bin zwar ihr Pflichtverteidiger, aber ich wurde von meiner Mandantin ausgewählt. Wie das ist? Ich kann Ihnen nur sagen, in meinen Augen ist sie eine junge Frau, die mit 15 vielleicht Entscheidungen getroffen hat, die sie meiner Meinung nach heute auf keinen Fall treffen würde.

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Kann man sich als Anwalt vollständig von solchen Tatvorwürfen distanzieren?

Das muss man sogar. Man verteidigt nicht die Tat, man verteidigt immer den Menschen. Wenn man in dem Bereich tätig ist, entwickelt man einen Automatismus um klar zu differenzieren zwischen dem Job und allem anderen. Problematischer ist vielleicht eher, dass man zu abgehärtet wird. Freunde haben mich einmal darauf aufmerksam gemacht, dass ich etwas kaltherziger geworden bin, Dinge weniger an mich heranlasse.

Heißt das, Sarah hat sich vom IS abgewendet?

Davon bin ich überzeugt. Gerade jemand wie sie hat definitiv eine zweite Chance verdient und wieder in die Gesellschaft integriert zu werden, solange der Wille vorhanden ist. Und der Wille ist bei ihr vorhanden.

Anwalt Ali Aydin und Seda Basay-Yildiz verteidigen gemeinsam die Konstanzer IS-Rückkehrerin Sarah O., hier beraten sie sich vor dem ...
Anwalt Ali Aydin und Seda Basay-Yildiz verteidigen gemeinsam die Konstanzer IS-Rückkehrerin Sarah O., hier beraten sie sich vor dem Prozessauftakt im Saal des Hochsicherheitsgebäudes des Oberlandesgerichts Düsseldorf. | Bild: Moll, Mirjam

Der Landesverfassungsschutz hat eine Studie erhoben zur Radikalisierung von Frauen. Es ist auffällig, dass derzeit bundesweit mehrere IS-Rückkehrerinnen vor Gericht stehen. Wie erklären Sie sich das?

Es ist tatsächlich neu, dass wir inzwischen viel mehr Verfahren gegen Frauen haben. Das war früher nicht so. Die meisten aktuellen Verfahren betreffen Frauen.

Sarah O. war eine ganz normale Schülerin, die sich nach Zeugenaussagen plötzlich stark verändert hat. Wie kann es sein, dass die Schule und ihr Umfeld weggesehen haben? Trägt die Gesellschaft eine Mitverantwortung, wenn junge Menschen wie sie sich radikalisieren?

Wir müssen uns fragen, wie es sein kann, dass jemand, der in der Mitte unserer Gesellschaft aufwächst, so weit gehen konnte. Das sind keine strafrechtlichen Fragen, dennoch müssen sie gestellt werden. Ich habe Mandanten, die haben in Deutschland nichts erreicht. Ich will nicht die Diskriminiertenkarte ausspielen, aber gerade in diesem Bereich ist der Hintergrund wichtig.

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Wie meinen Sie das?

Jeder, der eine Straftat begangen hat, gehört ins Gefängnis – das ist die Auffassung vieler Menschen. Aber wenn man deren Lebenslauf anschaut, sieht man häufig, dass etwas schief gegangen ist. Ich hatte einen Mandanten, dessen Lebenseinstellung lautete: Ein Jackie am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen. Drei Wochen später war die Person in Syrien und hatte eine Kalaschnikow in den Händen. Wenn man sich anschaut, wie sich ein Leben gewandelt hat, muss das beim Strafmaß mit aufgenommen werden.

Wie kann es gelingen, Menschen in einem schwierigen sozialen Umfeld, die offenbar empfänglicher sind für die Botschaften des IS, rechtzeitig aufzufangen?

Es gibt Netzwerke wie das Violence Preventive Network. Das ist eine gute Sache, weil man versucht, die Leute, die religiösen Extremismus angehören, zu gewinnen, mit ihnen zu reden. Ihnen klarzumachen, dass das Problem nicht religiös ist, sondern wo anders liegt.

Aber wenn es dafür wie im Fall von Sarah zu spät ist und die Menschen sich dem IS anschließen? Was ist der richtige Umgang nach ihrer Rückkehr?

Das Wegsperren und Verurteilen ist meiner Meinung nach keine Lösung. Die Leute kommen irgendwann ja auch wieder raus. Wenn Sie eine falsche Ideologie haben und man arbeitet nicht ganz genau an dieser, dann sitzen sie ihre Zeit ab. Und was dann? In den Justizvollzugsanstalten werden viele Fehler gemacht. Es wird gefördert, dass die Menschen, die dort einsitzen, radikalisiert wieder rauskommen. Besonders in Hessen sind die Zustände in den Haftanstalten schlimm. Stattdessen sollte mehr Geld in die Präventionsarbeit fließen.

Der Prozess von Sarah O. hat schon viele Termine und ist sogar noch vor Prozessbeginn um weitere Verhandlungstage ergänzt worden. Rechnen Sie mit einem Urteil am 20. Dezember?

Nein. Solche Prozesse ziehen sich meistens länger hin. Ich gehe davon aus, dass wir hier eine ganze Weile sitzen.

Sie klingen, als würden Sie ihre Arbeit als Strafverteidiger sehr mögen.

Das ist natürlich interessant. Es ist eine Mischung aus Verteidigung, psychologischer Betreuung und Sozialarbeit. Als Pflichtverteidiger ist es nicht, wie wenn Sie einen Mandanten im Zivilrecht betreuen. In solchen Fällen sind Sie meist die einzige Bezugsperson. Sie sind die Wand zwischen allen, die diese Person hassen und dieser Person. Der einzige, der diese Person besuchen kann, manchmal über Monate und Jahre hinweg. Das ist etwas ganz anderes, als Probleme mit dem Vermieter vor Gericht zu klären.

Sarah O. wird von Justizbeamten in den Gerichtssaal geführt. Der Frau aus Konstanz wird neben IS-Mitgliedschaft unter anderem ...
Sarah O. wird von Justizbeamten in den Gerichtssaal geführt. Der Frau aus Konstanz wird neben IS-Mitgliedschaft unter anderem Menschenhandel und Freiheitsberaubung vorgeworfen. Sie soll mit ihrem Mann in Syrien ein jesidisches Mädchen sowie zwei jesidische Frauen als Sklaven gehalten haben. | Bild: David Young

 

Gibt es Fälle, die Sie nicht übernehmen würden?

Im Staatsschutzbereich habe ich derartige Fälle noch nie gehabt. Im Strafrecht generell würde ich Fälle mit Vergewaltigungsvorwurf nicht übernehmen. Oder wenn es um Kinder geht, denen Leid zugefügt wurde. Da hätte ich Probleme, weil ich denke, dass jeder das Recht auf einen angemessene und gute Verteidigung hat. Ich wäre nicht in der Lage, das zu gewährleisten. Ich habe zwei Söhne.

Sarah O. ist ja nicht die einzige IS-Rückkehrerin, die Sie verteidigen. Macht es Ihnen etwas aus, dass Sie mittlerweile vielleicht fast schon als IS-Anwalt bekannt sind?

Als IS Anwalt bekannt bin ich – denke ich mal – nicht, da ich nicht nur in IS-Verfahren verteidige, sondern in Verfahren, in denen es auch um andere Organisationen geht als auch in vielen Verfahren, in denen kein Organisationsbezug vorliegt. Ich bin vielleicht dafür bekannt, in Staatsschutzverfahren oder Terrorverfahren zu verteidigen.

Sind solche Mandate nicht rufschädigend?

Verteidiger, die ausschließlich oder schwerpunktmäßig im Betäubungsmittel-Bereich verteidigen, stehen auch in einem bestimmten Ruf. Das kann ich leider nicht beeinflussen, finde es aber natürlich schade. Ich verteidige in Staatsschutzverfahren, weil es Strafrecht auf hohem Niveau ist. Und wenn man schon in vielen Verfahren bundesweit verteidigt hat, ist man nun mal fit in dieser Materie. Dann ist es die logische Konsequenz, dass man auch öfter beauftragt wird. Wenn das einzelne anders werten, ist mir dies reichlich egal.

Was für ein Verhältnis haben Sie zu Ihren Mandanten?

Sie müssen sich vorstellen, wenn jemand in U-Haft landet, dann kann es sein, dass in Fällen des Staatsschutzes zwischen der Inhaftierung und dem Prozessbeginn ein Jahr vergeht. Die Gegebenheiten in der U-Haft werden dann noch härter. Es könnte ja eine Suizidgefahr vorliegen, also werden manche Tatverdächtigen in besonders gesicherten Hafträumen untergebracht. Das sind kameraüberwachte Zellen, Privatsphäre gibt es nicht. Diese Menschen werden anders behandelt als andere Häftlinge. Sie bekommen nur eingeschränkten Besuch durch Angehörige. Im Schnitt vielleicht eine halbe Stunde Besuchszeit, das ist von Haftanstalt zu Haftanstalt unterschiedlich. Was wollen Sie da mit der Familie bereden? Es gibt wenig Freigang, Telefonate mit Angehörigen sind nicht in allen Bundesländern erlaubt und wenn, dann werden sie überwacht.

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Worauf wollen Sie hinaus?

Als Ihr Anwalt kann ich Sie jederzeit in der Haft besuchen. Wann immer ich Zeit habe. Ich brauche keine Besuchserlaubnis, kann unangekündigt vorbeikommen. Ich könnte stundenlang mit Ihnen reden. Telefonate zu mir als Anwalt sind in der Regel freigeschaltet und uneingeschränkt. Natürlich ist das ein anderes Verhältnis.

Wie wirkt sich das aus?

Meine Mandaten rufen mich manchmal auch am Wochenende an. Sie heulen am Telefon, es geht ihnen schlecht. Sie brauchen einfach jemanden zum Reden. Und sie können sich auf die anwaltliche Schweigepflicht berufen: Was Sie mit Ihrem Verteidiger besprechen, bleibt unter uns. Ich lasse deshalb meistens meine Handynummer freischalten für die Haftanstalt, damit meine Mandaten mich erreichen. Denn wenn sie es tun, geht es ihnen schlecht. Ich bin sehr viel unterwegs und habe wenig Zeit mit meiner Familie, Aber ich denke mir immer, vielleicht tut er sich etwas an, wenn ich jetzt nicht mit ihm rede. Deshalb versuche ich, das Verhältnis mit meinen Mandanten zu pflegen.

Das klingt aber schon nach intensiver Betreuung…

Ich sehe das auch als soziale Arbeit, den Menschen etwas zurückzugeben. Sie sollen sehen, dass einer, der ein Organ der Rechtspflege ist, auch für die Leute da ist. Als Anwalt ist man der Einzige, der noch da ist für diese Menschen. Meine Aufgabe ist es, alleine für diese Menschen zu kämpfen. so sieht es das Mandat vor. Was ein Vorteil ist, ist dass ich türkischer Herkunft und muslimischem Glaubens bin.

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Warum?

Ich rede mit den Leuten natürlich auch über religiöse Themen. Und versuche ihnen zu sagen, dass da etwas falsch gelaufen ist. Darin sehe ich auch meine gesellschaftliche Aufgabe. Jeden, den wir wieder integrieren können in die Gesellschaft, müssen wir nicht überwachen und vor dem müssen wir uns auch nicht fürchten. Wegschließen ist keine Dauerlösung.

Wie häufig besuchen Sie Sarah O. in der Haft?

Ich habe sie schon sehr oft besucht, ich telefoniere ab und zu mit ihr. Ein JVA-Aufenthalt ist nie angenehm. Sie hatte anfangs viele Probleme, weil die JVA überreagiert hat, aber das haben wir aus der Welt geschafft. Es ist oft so, dass bei Staatsschutzverfahren etwas schief läuft. Ich nehme da kein Blatt vor den Mund und spreche es an.

Was können Sie über Ihren Gemütszustand sagen, seit sie in Untersuchungshaft sitzt?

Der Sarah geht es den Umständen entsprechend gut. Ein Jahr U-Haft ist kein Zuckerschlecken. Das sage ich meinen Mandaten vorher: „Du wirst verschiedene Phasen haben – gute und schlechte. Du wirst heulen, die Welt verantwortlich machen oder mich.“ Die meisten sind mir dankbar, dass ich da Klartext rede. Es gibt Phasen, in denen ist der Verteidiger an allem schuld, dann wieder welche, in denen er der Beste ist. Wir können uns das nicht vorstellen, was in diesen Menschen vorgeht. Weil wir ein Leben in Freiheit führen.

Zur Person

Ali Aydin ist Fachanwalt für Strafrecht mit Sitz in Frankfurt am Main. Inzwischen ist er ausschließlich im Gebiet des Strafrechts tätig und hat sich auf Staatsschutzverfahren spezialisiert. In den vergangenen Jahren hat er durch die Vertretung von Fällen wie dem Salafisten und Hassprediger Abu Walaa, dessen Prozess seit etwa zwei Jahren in Celle läuft, Aufmerksamkeit erregt. Auch Jennifer W., die in München als IS-Rückkehrerin angeklagt ist, verteidigt er. Ihr wird vorgeworfen, ein jesidisches Mädchen verdursten zu haben lassen. (mim)