Die Konstanzer IS-Kämpferin Sarah O. ist nur eine von etwa 1050 deutschen Islamisten, die in Richtung Syrien oder Irak ausgereist sind. Seit der IS an Boden verlor, flüchteten einige Mitglieder – in andere Gebiete oder aber über die Grenze in die Türkei – und von dort möglicherweise unbemerkt zurück nach Europa.

Die Konstanzer IS-Rückkehrerin Sarah O. beim Prozessauftakt in Düsseldorf.
Die Konstanzer IS-Rückkehrerin Sarah O. beim Prozessauftakt in Düsseldorf. | Bild: Mirjam Moll

Sarah O. wurde schon an der türkisch-syrischen Grenze gefasst – im Frühjahr 2018. Im September wurde sie an Deutschland ausgeliefert. Ihr Fall schlug hohe Wellen: Mit 15 hatte die damalige Schülerin am Konstanzer Humboldt-Gymnasium ihr bisheriges Leben aufgegeben, war heimlich über die Türkei nach Syrien gereist, um sich dort dem IS anzuschließen. Seit Mitte Oktober muss sie sich in Düsseldorf vor dem Oberlandesgericht verantworten. Ob es zu einem Urteil kommt, ist offen. Was man ihr tatsächlich nachweisen kann, wird in diesem Prozess zum Dreh- und Angelpunkt.

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IS-Rückkehrer sind „große Gefahr für die innere Sicherheit“

Was aber passiert mit den Rückkehrern, die nicht hinter Gitter kommen? Der FDP-Landtagsabgeordnete Nico Weinmann (Kreis Heilbronn), rechtspolitischer Sprecher der FDP im Parlamentarischen Kontrollgremium, sieht in den zurückkehrenden IS-Kämpfern eine „große Gefahr für die innere Sicherheit“, sagt er. „Sie lehnen unsere Werteordnung aus ideologischen Gründen ab, sind bereit, für sie zu kämpfen und verfügen auch über die entsprechenden Kenntnisse durch den jahrelangen Aufenthalt in Syrien oder im Irak.“ Er kommt zu dem Schluss: „Die Risiken sind auch für Baden-Württemberg beträchtlich.“

„Von zurückkehrenden islamistischen Kämpfern geht eine sehr große Gefahr für die innere Sicherheit aus.“ Nico Weinmann, ...
„Von zurückkehrenden islamistischen Kämpfern geht eine sehr große Gefahr für die innere Sicherheit aus.“ Nico Weinmann, FDP-Abgeordneter | Bild: FDP Fraktion

Auch der Terrorexperte Peter Neumann, der in London am renommierten King’s College zu Radikalisierung forscht, warnt vor den noch in Syrien und dem Irak verbliebenen deutschen IS-Mitgliedern. Seiner Kenntnis nach befinden sich derzeit noch etwa 250 mutmaßliche Dschihadisten aus Deutschland in Nordsyrien und teilweise im Irak in kurdischer Haft. „Wir wissen, dass Islamisten sehr gefährlich sind, wenn sie im Ausland trainiert, gekämpft und sich brutalisiert haben“, sagt er in einem Interview.

„Wir wissen, dass Islamisten sehr gefährlich sind, wenn sie im Ausland trainiert, gekämpft und sich brutalisiert haben.“ ...
„Wir wissen, dass Islamisten sehr gefährlich sind, wenn sie im Ausland trainiert, gekämpft und sich brutalisiert haben.“ Peter Neumann, Terrorexperte | Bild: Ina Fassbender

Konkrete Anhaltspunkte für Teilnahme an Kampfhandlungen

Der Bundesverfassungsschutz hat zu etwa der Hälfte der damals Ausgereisten konkrete Anhaltspunkte, dass diese Menschen „aufseiten des IS und der al-Qaida oder denen nahe stehenden Gruppierungen sowie anderer terroristischer Gruppierungen an Kampfhandlungen teilnehmen oder teilgenommen haben“ oder diese unterstützen. Dennoch gibt es „zu einem Teil der ausgereisten Personen bislang keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für die Einleitung von Ermittlungsverfahren durch die zuständigen Justizbehörden“, heißt es in der Antwort der Landesregierung Baden-Württemberg auf einen Antrag des Landtagsabgeordneten Weinmann, die dem SÜDKURIER exklusiv vorliegt.

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Konkrete Informationen zu den Ausgereisten sind dagegen spärlich gesät, auch, weil die Bundesanwaltschaft in vielen Fällen noch ermittelt und die Staatssicherheit betroffen sein könnte. Lediglich Eckdaten werden bekanntgegeben: Unter den bundesweit bekannten Syrien-Gängern sind etwa 250 Frauen, die meisten IS-Anhänger sind jünger als 30 Jahre. Ein Drittel der 1050 Ausgereisten ist inzwischen wieder in Deutschland.

Etwa 220 sind offenbar in Syrien oder dem Irak umgekommen. In 110 Fällen „liegen den Sicherheitsbehörden Erkenntnisse vor, wonach sie sich aktiv an Kämpfen in Syrien oder Irak beteiligt haben“. Gegen diese werde aktiv ermittelt. Zudem befinden sich „Personen im unteren dreistelligen Bereich“ in Syrien oder im Irak, teils in Gefangenschaft oder Gewahrsam, die ausreisen wollen, heißt es in der Antwort der Landesregierung weiter.

50 Menschen aus Baden-Württemberg sind laut Landesverfassungsschutz nach Syrien ausgereist

In Baden-Württemberg liegen dem Landesverfassungsschutz Hinweise zu 50 Islamisten vor, die nach Syrien oder in den Irak ausgereist sind, um sich dem IS anzuschließen. Etwa ein Dutzend kam ums Leben.

12 der ausgereisten Baden-Württemberger sind Frauen – darunter Sarah O. aus Konstanz

Ebenso viele davon sind Frauen – unter ihnen Sarah O. Mehr als die Hälfte der Ausgereisten aus dem Südwesten sind Deutsche oder haben eine doppelte Staatsbürgerschaft. Die überwiegende Mehrheit ist nach Angaben der Landesregierung zwischen 18 und 39 Jahre alt.

10 potenzielle Gefährder aus dem Südwesten werden derzeit vom Landesverfassungsschutz beobachtet

Derzeit ermitteln baden-württembergische Staatsanwaltschaften gegen zehn Menschen, darunter auch potenzielle Gefährder. Gegen alle zehn liegen den Angaben zufolge Haftbefehle vor, „unter anderem wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ nach Paragraf 89a des Strafgesetzbuches. Was darin steht, lässt aufhorchen. Denn der Artikel findet nur Anwendung, wenn der Betreffende „Umgang mit Schusswaffen, Sprengstoffen, Spreng- oder Brandvorrichtungen, Kernbrenn- oder sonstigen radioaktiven Stoffen, Stoffen, die Gift enthalten“ hatte. Das Problem: Alle zehn Verdächtigen befinden sich nach Informationen der Landesbehörden im Ausland. Und die Beweislage ist schon in Fällen wie Sarah O. schwierig – ein Freispruch nicht auszuschließen.

Mehrere Verfahren gegen IS-Rückkehrer im Südwesten

Andere werden schon im Irak vor Gericht gestellt: Eine Frau und ihre Tochter sind nach Angaben der Polizei Baden-Württemberg im Irak zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt worden, weil sie sich dem IS angeschlossen haben sollen. Derzeit laufen mehrere Verfahren gegen IS-Rückkehrer in Baden-Württemberg, vor allem am Oberlandesgericht Stuttgart. Ein 30-Jähriger ist in erster Instanz zu zwei Jahren und fünf Monaten Haft verurteilt worden, weil er sich unter anderem dem IS angeschlossen und an Kampfhandlungen teilgenommen hatte. Die übrigen Verfahren laufen noch.

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Dem Landesverfassungsschutz liegen Informationen vor, wonach „eine niedrige zweistellige Zahl von Kindern“ im Alter von heute fünf bis 15 Jahren von ihren Eltern in die Kampfgebiete nach Syrien und Irak mitgenommen wurden. Hinzu kommen dort geborene Kinder, nach Angaben des Landeskriminalamts liegt deren Zahl im „mittleren einstelligen Bereich“. Ein Drittel der Kinder sei inzwischen aber in Deutschland. Zwei Frauen mit mehreren Kindern befinden sich nach Angaben der baden-württembergischen Behörden noch in Syrien – solche Erkenntnisse liegen demnach allerdings nur „in Einzelfällen“ vor. In Sarah O.s Fall leben ihre Kinder nach Informationen dieser Zeitung bei einer Pflegefamilie.

Rückholung nur in Einzelfällen

Doch bislang hält sich die Bundesregierung zurück bei der Rückholung von inhaftierten IS-Kämpfern. In Baden-Württemberg sei das nur „in Einzelfällen“ so, wie aus Erkenntnissen der Polizei hervorgeht. Das könnte fatale Folgen haben: Erst kürzlich wurde bekannt, dass mehrere Hundert IS-Kämpfer aus kurdischen Gefangenenlagern ausgebrochen sind. Sie könnten sich in andere Gebiete in Syrien oder dem Irak absetzen – oder versuchen, heimlich nach Deutschland zurückzukehren.

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Bei „Rückkehrern, die in terroristischen Ausbildungslagern waren oder an Kampfhandlungen beteiligt“ waren, „muss von einer fortschreitenden ideologischen Radikalisierung und einer gefestigten dschihadistischen Grundhaltung ausgegangen werden“, heißt es dazu seitens der Landesregierung. Auch von Frauen, die im Krisengebiet als „Sittenwächterinnen oder zu Propagandazwecken“ eingesetzt worden seien, könne demnach Gefahr ausgehen. Sarah O. hat sich der Anklage zufolge an der Waffe ausbilden lassen, auf ihrem Facebookaccount, der inzwischen gelöscht wurde, zeigte sie ein Bild einer Waffe mit dem Untertitel „meine neue Perle“. Ihr Anwalt Ali Aydin sagt, Sarah O. habe sich inzwischen abgewandt von der Ideologie des IS. Ob es wirklich so ist, weiß nur sie selbst.