Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht. So sagt es der deutsche Volksmund. Der Satz müsste erst recht in der Politik gelten. Tut er aber nicht. Auf der britischen Insel triumphiert ein Taschenspieler, der schon bei der Brexit-Abstimmung vor drei Jahren den Wählern Lügen auftischte und im aktuellen Wahlkampf noch einen drauflegte. Die Wähler haben es ihm nicht übelgenommen: Boris Johnson kann ein noch besseres Wahlergebnis vorweisen als Margaret Thatcher 1987. Auch Europa hat jetzt seinen Donald Trump.
Kurzum, Populismus wird an der Wahlurne belohnt. Aber warum? Das britische Beispiel zeigt es wie im Lehrbuch. Johnson hat seinen Wahlkampf geführt, als habe er bei Trump ein Praktikum absolviert. Er machte den Gegner nieder, scheute vor Halb- und Unwahrheiten nicht zurück und hetzte Wähler gegeneinander auf. Vor allem aber gelang es ihm, das Thema zu diktieren – in diesem Fall hieß es Brexit. Johnsons Taktik ging auf, weil seine Landsleute das Theater um den EU-Austritt leid sind und endlich Klarheit wollen – verständlich nach dem Chaos der vergangenen drei Jahre. Der Premier verstand es wie kein anderer, dieses Bedürfnis in Wählerstimmen umzumünzen.
Johnsons schmutziger Wahlkampf
Rücksichten nahm er dabei keine. Johnsons Slogan „Vollende den Brexit„ erinnert fatal an AfD-Sprüche wie „Vollende die Wende“ in Ostdeutschland. Videos wurden manipuliert, falsche Faktenchecks ins Internet geschoben, Hassbotschaften gegen Europa und Zuwanderer verbreitet. Selbst am Wahltag wurde noch gelogen und betrogen, beispielsweise mit dem Gerücht, die Wähler bräuchten einen Ausweis, um wählen zu dürfen. Alle Rechtspopulisten in Europa werden mit größtem Interesse auf diesen Wahlsieg schauen, um zu sehen, was sie abkupfern können.
Was man aus der Brexit-Wahl lernen kann
Und lernen lässt sich aus dem britischen Beispiel in der Tat einiges. Auf der Insel hat sich etwas im Wahlverhalten verschoben, das im Rest Europas ebenfalls schon lange wankt. Besonders auffällig: Die Sozialdemokratie ist weggefegt. Gerade in den einstigen Hochburgen der Labour-Partei, den rußgefärbten Industrievierteln im Norden und in der Mitte Englands, sind die Wähler zu den Konservativen übergelaufen. Sie stimmten schon 2016 für den Brexit und entschieden sich nun für den Politiker, der ihn durchzieht. Es sind Wähler, die über Jahrzehnte mit der Arbeiterpartei Labour verwachsen waren. Jetzt aber wackeln Jobs und alte Parteibindungen. Die Ursache all ihrer Probleme sieht diese Schicht in einer EU, die angeblich die Interessen von Eliten vertritt, Flüchtlinge verteilt und mit dem Euro den kleinen Mann enteignet.
Das Versagen der Sozialdemokraten
So wie die Sozialdemokraten in den meisten Ländern Europas hat Labour-Chef Jeremy Corbyn diese Ängste nie begriffen. Gerade die SPD in Deutschland, die unter ihren beiden neuen Vorsitzenden scharf nach links abbiegt, sollte genau hinschauen. Corbyn beantwortete Populismus mit Populismus – nur eben links. Er versprach den Wählern kostenloses Internet, die Abschaffung von Studiengebühren, die Renationalisierung von Strom, Wasser und Bahn. Aufgegangen ist sein Kalkül nicht, weil selbst hartgesottene Stammwähler diesen Wunschzettel durchschauten. Für die SPD muss das eine Warnung sein. Auf ihrem Parteitag in Berlin beschloss sie viele Wohltaten für das Volk, von der Abschaffung von Hartz IV bis zum Mietendeckel. Die Briten-Wahl zeigt, dass sich das nicht auszahlt, wenn die Wähler an der Umsetzbarkeit solcher Forderungen zweifeln.
Populismus lässt sich nicht mit Populismus bekämpfen, sondern nur mit einer Politik, die die Probleme der Menschen erkennt und anpackt, ohne den Wählern nach dem Mund zu reden. In Frankreich zeigt sich, wie schwer das ist. Arbeitnehmer gehen im Land der Gelbwesten mit 62 in Rente, Lokomotivführer schon mit 52. Präsident Macron will das ändern, weil das System sonst zusammenbricht. Das Volk antwortet mit einem Generalstreik. Im Hintergrund warten rechte Kräfte darauf, dass der Präsident scheitert und Marine Le Pen das Ruder übernimmt.
Europas kleine Trumps
So werden in Europa die kleinen Trumps größer und größer. In Polen, Ungarn und Tschechien haben schon lange Kräfte das Sagen, die sich von der EU nichts sagen lassen. Im Osten Deutschland ist es schwierig geworden, gegen die AfD eine Regierung zu bilden. In Österreich ist die FPÖ immer noch da, in Italien lauert Salvini auf seine zweite Chance. Für die Jahrhundertaufgabe der europäischen Einigung bleibt diese Entwicklung lebensgefährlich. Es sei denn, dieser Gegner stolpert über seine eigenen Füße. Populisten mogeln sich gern als angebliche Volksversteher an die Macht, haben aber keinen Plan, wenn sie dort ankommen. Der britische Premier ist ein Prachtexemplar dieser Gattung. Für Boris Johnson und sein Land beginnen die Probleme erst.