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Bis vor kurzem galt die Pressefreiheit in Europa als ungefährdet. Das hat sich geändert. Vor allem in Russland und einigen anderen osteuropäischen Ländern geraten Journalisten und regierungskritische Medien unter Druck.

Laut dieser Grafik ist im Jahr 2019 die Lage in Sachen Pressefreiheit in Ländern wie Nordkorea oder China sehr ernst. Als schwierig wird ...
Laut dieser Grafik ist im Jahr 2019 die Lage in Sachen Pressefreiheit in Ländern wie Nordkorea oder China sehr ernst. Als schwierig wird sie beispielsweise in Russland eingestuft. | Bild: AFP

Spannungsherd Türkei

Den repressivsten Kurs gegen die Pressefreiheit steuert allerdings der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan an. Während deutsche Karikaturisten Erdogan mitunter scharf angreifen dürfen und in den Kommentarspalten Kritik an ihm geübt werden darf, ist das in der Türkei nicht der Fall. Das bekam nun der Journalist Cem Simsek von der regierungskritischen Zeitung „Evrensel“ zu spüren. Nach der Veröffentlichung einiger Erdogan-Karikaturen muss er sich wegen Präsidentenbeleidigung vor Gericht verantworten. Das sagt alles über den Stand der Pressefreiheit in der Türkei.

Ein Schild mit der Aufschrift „Pressefreiheit“ und ein Grablicht stehen im August 2018 auf dem Platz der Deutschen Einheit ...
Ein Schild mit der Aufschrift „Pressefreiheit“ und ein Grablicht stehen im August 2018 auf dem Platz der Deutschen Einheit zu Füßen einer goldenen Erdogan-Statue. Die Statue wurde im Rahmen des Kunstfestivals „Wiesbaden Biennale“ aufgestellt. | Bild: Arne Dedert, dpa

In dem Prozess, der auf Beschwerde von Erdogans Anwälten eingeleitet wurde, fordert die Staatsanwaltschaft bis zu vier Jahre und acht Monate Haft für den Zeichner. Simsek weist die Vorwürfe zurück und beruft sich auf die Pressefreiheit. Doch viele Staatsanwälte und Richter definieren die Grenzen der Presse- und Meinungsfreiheit wesentlich enger als Journalisten.

Nach einer Zählung des Juristen Yaman Akdeniz leitete die türkische Justiz allein in den vergangenen zwei Jahren mehr als 60.000 Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Präsidentenbeleidigung ein. Nach Angaben türkischer Menschenrechtler und Oppositionspolitiker sind in den ersten neun Monaten des Jahres mehr als 50 Journalisten festgenommen worden.

Strafanzeigen sind gängiges Mittel

Kürzlich ließ Erdogan bei einem türkischen Gericht sogar eine Strafanzeige gegen den Direktor und den Chefredakteur des französischen Magazins „Le Point“ einreichen. Die Zeitschrift hatte den Präsidenten wegen des Syrien-Feldzuges als „Vernichter“ bezeichnet. Konkrete Auswirkungen hätte eine Verurteilung nicht, so lange die beiden Franzosen nicht in die Türkei kommen. Doch mit der Strafanzeige macht Erdogan ähnlich wie mit seiner Klage gegen den Satiriker Jan Böhmermann klar, dass er auch gegen Kritiker im Ausland vorgehen will.

Der Strafvorwurf der Präsidentenbeleidigung ist nur eines der Instrumente, die in der Türkei gegen missliebige Journalisten und Nutzer sozialer Medien eingesetzt werden. Ein weiteres ist der Vorwurf der Terror-Propaganda. Anders als in EU-Ländern legen türkische Gerichte kritische Kommentare auch dann als Terror-Unterstützung aus, wenn sie nicht zur Gewalt aufrufen.

Auch mit dem Vorwurf der Volksverhetzung werden Meinungsäußerungen verfolgt, die von der Regierungslinie abweichen. Seit dem Beginn des Syrien-Einmarschs zeigt sich das deutlich. Zwei Journalisten von Oppositionsmedien wurden am ersten Tag der Militäraktion vorübergehend in Gewahrsam genommen. In der ersten Woche des Feldzugs wurden 186 Beschuldigte wegen „schwarzer Propaganda“ gegen den Einmarsch festgenommen. 24 von ihnen kamen in Untersuchungshaft.

Mit viel Kritik konfrontiert

Emma Sinclair-Webb von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch warf den Behörden vor, „intolerant auf Kritik am Einmarsch“ zu reagieren. Sie verwies auf einen Videoclip der EU in sozialen Medien, in dem die Türkei aufgefordert wurde, die Militäraktion zu stoppen. In der Türkei könnte eine solche Äußerung strafrechtliche Folgen haben.

Menschen demonstrieren am 3. März 2017 auf dem Kernerplatz in Stuttgart in der Nähe des Türkischen Konsulats für die Freilassung des ...
Menschen demonstrieren am 3. März 2017 auf dem Kernerplatz in Stuttgart in der Nähe des Türkischen Konsulats für die Freilassung des Journalisten Deniz Yücel. | Bild: Lino Mirgeler, dpa

EU und Europarat kritisieren den Umgang der Türkei mit den Medien seit Jahren. In ihrem Bericht zur Türkei beklagte die EU-Kommission Rückschritte bei der Meinungsfreiheit. Vor dem Europäischen Menschenrechtsgericht in Straßburg wurde die Türkei im vergangenen Jahr in 40 Fällen wegen Verletzungen der Meinungsfreiheit verurteilt – mehr als jedes andere Land.

Türkei reagiert mit Justizreform

Als Antwort auf die Kritik aus Europa brachte Erdogans Regierung eine Justizreform auf den Weg, die mehr Meinungsfreiheit bringen soll. Laut der Neuordnung werde jede journalistische Äußerung geduldet, wenn sie die „Grenzen der Kritik“ nicht verlasse. Die vage Formulierung lässt der größtenteils auf Regierungslinie gebrachten Justiz viel Spielraum.

Autoritäre Regime und die Macht von Konzernen: Auch hier stehen Medien unter Druck

  • Russland: Seit Jahren nehmen die Repressionen gegen russische Medienschaffende zu. Viele Journalisten – vor allem solche, die bei staatlichen Medien arbeiten – zensieren sich selbst. Oft gibt es in den Redaktionen eine abendliche Sitzung, nach der der Ressortleiter vorgibt, was erscheinen oder gesendet werden darf und welche kritische Bemerkung gestrichen gehört. Kritisieren Journalisten trotz allem das System, drohen Festnahmen, Verhöre, zivil- und strafrechtliche Verfolgung, auch die Beschlagnahmung von Arbeitsgeräten. Es ist aber ein Mythos, dass alle Medien gleichgeschaltet sind. Er basiert auf der Annahme, dass vor allem staatliche und staatsnahe Sender, Nachrichtenagenturen und Zeitungen den Markt und somit auch die Wahrnehmung der Menschen dominieren. Die Vielfalt aber findet in Nischen statt. Vor allem in digitalen.

(Inna Hartwich, Moskau)

  • Polen: Nach dem Wahlsieg von Jaroslaw Kaczynski und der rechtskonservativen PiS 2015 wurden die Staatsmedien der Kontrolle des Schatzministeriums unterstellt. Es kam beim öffentlichen Rundfunk sowie bei der Nachrichtenagentur PAP zu Entlassungen und Neueinstellungen. Kritiker sprachen von einer „Welle personeller Säuberungen“. Vorstandschef beim staatlichen Fernsehsender TVP wurde der PiS-Politiker Jacek Kurski. Inzwischen wacht ein Nationaler Medienrat, der fest in Regierungshand ist, über die Staatsmedien. Die Regierung setzte Verlagshäuser, TV- und Radiosender sowie Online-Plattformen unter Druck, indem sie staatlich finanzierte Werbung umlenkte und auf unliebsame Berichte mit Klagen reagierte. Nach dem jüngsten Wahlsieg fürchten Kritiker weitere Einschränkungen der Pressefreiheit.

(Ulrich Krökel, Warschau)

  • Ungarn: In Puncto Pressefreiheit steht das Land heute schlechter da als manche afrikanischen Staaten. Grund ist die restriktive Medienpolitik von Ministerpräsident Viktor Orban. Schon wenige Monate nach seinem Wahlsieg 2010 installierte die Regierung ein Kontrollgremium für öffentliche wie private Medien, das die Berichterstattung überwachen und mit den Mitteln des Strafrechts Änderungen erzwingen konnte. Proteste der EU führten zu kleineren Korrekturen zugunsten privater Print- und Onlinemedien. Beim staatlichen Rundfunk und bei der Nachrichtenagentur MTI tauschten die Kontrolleure ein Drittel der Beschäftigten aus und besetzten viele Leitungsfunktionen neu. Zugleich übte die Regierung immer stärkeren wirtschaftlichen Druck auf private Medien aus, etwa durch eine Sondersteuer auf Werbeeinnahmen.

(Ulrich Krökel)

  • Frankreich: Die verbalen und tätlichen Angriffe im Umfeld der Proteste der „Gelbwesten“ treffen auch Journalisten. Aber auch viele Politiker ziehen die Glaubwürdigkeit der Medien in Frage. Journalisten genießen in Frankreich wenig Vertrauen. Dies liegt nicht nur an den staatlichen Subventionen für Print- und Online-Medien. Große Blätter gehören Industriellen, die sich Einfluss sichern. So war der Milliardär und Rüstungs-Unternehmer Serge Dassault, Eigentümer des bürgerlichen „Le Figaro“, das seine politische Ausrichtung vertritt. Die linke „Libération“ gehört dem Unternehmer Patrick Drahi, und der Luxusgüter-Konzern LVMH (Louis Vuitton Moët Hennessy) ist Eigentümer der Wirtschaftszeitung „Les Échos“ sowie von „Le Parisien – Aujourd‘hui en France“. Bei „Le Monde“ ist der tschechische Milliardär Daniel Kretinsky jetzt Miteigentümer.

(Birgit Holzer, Paris)

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