Emmanuel Macron hat das Talent, mit einem oder zwei Sätzen großes Aufsehen zu erregen. Das stellte der französische Präsident am Montagabend wieder einmal unter Beweis, als er nach einem Gipfel für die Unterstützung der Ukraine in Paris die Möglichkeit eines Einsatzes von europäischen Soldaten vor Ort ansprach.
Er betonte zwar, dass es „heute keinen Konsens gibt, um offiziell Bodentruppen zu schicken und dafür einzustehen“. Aber in der Dynamik sei nichts auszuschließen. „Wir werden alles tun, was nötig ist, damit Russland diesen Krieg nicht gewinnen kann.“
Polen und Niederlande lehnen ab
Der Rückblick auf die vergangenen zwei Jahre seit Beginn der russischen Angriffe zwinge zu großer Demut: Manche, die damals Schlafsäcke und Helme angeboten hätten, forderten heute schnellere und stärkere Militärhilfe.
Es war eine unverkennbare Spitze gegen den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz und dessen Appelle an die europäischen Partner, endlich mehr zu liefern.

Macrons „Nicht-Ausschließen“ eines Einsatzes von Bodentruppen stieß bei den europäischen Partnern auf Skepsis. So lehnten unter anderem der polnische Ministerpräsident Donald Tusk und sein scheidender niederländische Amtskollege Mark Rutte, der als künftiger Nato-Generalsekretär gehandelt wird, eine solche Möglichkeit ab. Darüber hinaus erscheint auch die Entsendung von Soldaten aus Frankreich in die Ukraine unwahrscheinlich.
In der französischen Öffentlichkeit, wo der Angriffskrieg weniger präsent ist als in der deutschen, wäre eine solche Entscheidung höchst umstritten, die der Präsident als oberster Befehlshaber der Armee alleine und ohne die Absegnung durch das Parlament treffen könnte.
Zwar befürwortet laut einer aktuellen Umfrage eine Mehrheit von 62 Prozent Waffenlieferungen an die Ukraine, aber die Zahl ging seit Juni 2023 um zehn Prozentpunkte zurück.
Eher politische als militärische Botschaft
Was also bezweckte Macron mit seinem Vorstoß? Der französische Politikwissenschaftler und Spezialist für internationale Beziehungen Bertrand Badie rät, nicht zu viel hineinzuinterpretieren.
Er erkenne „mehrere Botschaften, die eher politisch als militärisch sind“: Die erste sei eine Warnung an den russischen Präsidenten Wladimir Putin, nicht weitere rote Linien zu überschreiten; die zweite gehe an das beunruhigte ukrainische Volk, die dritte Botschaft richte sich an Europa: „Macron hat immer diese Idee der europäischen Verteidigung angestoßen und möchte als deren Anführer auftreten.“
Mit seinen zuletzt sehr klaren Worten für einen Sieg der Ukraine hat der 46-Jährige eine Wende vollzogen. Vor zwei Jahren betonte Macron in Interviews noch, Russland müsse im Fall von Friedensgesprächen Sicherheitsgarantien und Putin einen gesichtswahrenden Ausweg erhalten.
Auch damit verstörte er viele Partner. Am Montag sagte Macron nun, die russische Niederlage sei „unerlässlich für die Sicherheit und die Stabilität in Europa“.
„Auch er sieht sich in einer Führungsrolle in Europa“
In Deutschland wurde Macrons Äußerung auch als Antwort auf die Zurückhaltung des Bundeskanzlers interpretiert: „Macron will damit einen Kontrapunkt zu Bundeskanzler Olaf Scholz setzen, denn auch er sieht sich in einer Führungsrolle in Europa“, sagte der CDU-Verteidigungspolitiker und Heidenheimer Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter dem SÜDKURIER.
Der französische Präsident wolle „gleichzeitig davon ablenken, dass auch Frankreich der Ukraine zu wenig militärische Unterstützung leistet“. Einen deutschen Truppeneinsatz in der Ukraine könne man „grundsätzlich ausschließen“, so der CDU-Politiker.
Scholz schließt die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine bislang mit der Begründung aus, dass diese so komplex sei, dass deutsche Soldaten in der Ukraine bei der Zielerfassung helfen müssten. Doch selbst aus den Reihen der Ampel-Koalition gibt es Zweifel an dieser Erklärung.
Westliche Länder Schuld an Munitionsmisere
Der SPD-Außenpolitiker Nils Schmid sagte dem SÜDKURIER dazu: „Wir sollten die Abwägung des Kanzlers respektieren, auch wenn er sich in Zukunft anders entscheiden sollte.“ Viel dringender als den Taurus brauche die Ukraine derzeit Munition.
Die Schuld daran tragen laut Schmid die westlichen Staaten, die der Rüstungsindustrie keine langfristigen Abnahmezusagen gemacht hatten. „Wir müssen der Industrie diese Abnahmegarantien geben für längere Zeiträume, dann läuft das Geschäft“, so Schmid. Für die Ukraine sieht der Nürtinger Bundestagsabgeordnete „ein hartes Jahr“ voraus, denn „erst im Herbst werden wir in großem Umfang liefern“.
Frankreichs Präsident persönlich hatte das Treffen am Montag mit gut 20 Staats- und Regierungschefs initiiert. Bei dem Gipfel verständigte man sich unter anderem auf Initiativen zur Cyber-Abwehr, die Koproduktion von Waffen und den Ankauf von Munition auch aus Nicht-EU-Staaten.
Genau dagegen hatte Paris sich gesperrt, um die europäische Rüstungsindustrie zu stärken. So wurde nur ein Drittel der von der EU versprochenen Artilleriemunition geliefert, wie der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj beklagte.
Mit seiner jüngsten Initiative wollte Macron wohl auch den Kritikern begegnen, denen zufolge er die Ukraine vor allem mit Worten, aber nicht ausreichend mit Taten unterstütze. Dem Kiel Institut für Weltwirtschaft zufolge befindet sich Frankreich bei der Militärhilfe weltweit nur auf dem 15. Platz.