„Es gibt ganz wenige in der CDU, die dagegen...“, sagt Tim Guldimann, stockt, zeigt auf Roderich Kiesewetter, „...du bist einer.“ Der bestätigt: „Leider, leider.“ Kiesewetter hatte in der berüchtigten Bundestagssitzung als einer der wenigen CDU-Parlamentarier nicht mit der AfD für einen rechtlich fragwürdigen Asylkurs gestimmt, war der Sitzung ferngeblieben – durchaus mit Nachteilen für die eigene Karriere, die Koalition mit der SPD verhandelt er trotz seiner Erfahrung jedenfalls nicht mit.

Deshalb sitzt der jüngst in den Bundestag wiedergewählte Experte für Verteidigungspolitik statt in Berlin nun in Friedrichshafen und diskutiert mit dem früheren Schweizer Diplomaten Tim Guldimann an der Zeppelin-Universität die Frage, wie sich Friede in Europa sichern ließe. Und gerade geht es darum, was da eigentlich gesichert, was verteidigt werden soll.

„Wir sind die Gralshüter dieser Werte“

Es gehe um die Verteidigung unserer fundamentalen Werte, der Menschenrechte, sagt Guldimann. „Ich habe nicht den Eindruck, dass uns in Europa klar ist, dass wir die Gralshüter dieser Werte sind“, spielt er auf die inneren politischen Verhältnisse an und meint damit auch die Abstimmung der Union mit der AfD Ende Januar.

Roderich Kiesewetter (links) und Tim Guldimann diskutieren in der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen, wie Friede in Europa ...
Roderich Kiesewetter (links) und Tim Guldimann diskutieren in der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen, wie Friede in Europa gesichert werden kann. | Bild: Jann-Luca Künßberg

Die beiden Diskutanten sind deutlich in ihrer Haltung. Denn ob in Europa der Bruch der regelbasierten Ordnung überall verstanden worden ist, steht zu bezweifeln, sagt Guldimann. „Was uns da um die Ohren fliegt, wird furchtbar.“ Eine Konfrontation der USA mit China, die Manipulation der öffentlichen Meinung in der eigenen Gesellschaft – dazu eine „Mafia im Weißen Haus“, so der Schweizer.

Auch mit Widersprüchen auseinandersetzen

„Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“, zitiert Roderich Kiesewetter die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann. Es ist ja durchaus so: Entscheidenden Fragen wurde nach Russlands Einmarsch in der Ukraine ausgewichen, seit der neuen Unzuverlässigkeit der USA unter Donald Trump stellen sie sich nun umso dringlicher.

Kiesewetter und Guldimann sind sich einig, dass Europa aufrüsten muss, um den eigenen Frieden zu sichern. Sie machen es sich aber nicht leicht dabei.

Verständnis von den Russen, nicht für sie

Der Schweizer Ex-Botschafter wirbt dafür, den Dialog mit der russischen Zivilbevölkerung aufrechtzuerhalten. „In der deutschen Sprache gibt es eine wertvolle Unterscheidung“, so Guldimann: „Wir kennen Verständnis von und Verständnis für etwas.“ Es gelte, ersteres zu entwickeln. Auch wenn die russische Erzählung vom angeblichen historischen Vertrauensbruch durch die Nato-Osterweiterung falsch sei, müsse man in die Auseinandersetzung darüber gehen – schließlich glaubten viele daran.

Bei der Bundestagswahl im Februar hat ein Viertel der Menschen für die russlandfreundlichen Positionen von AfD und BSW gestimmt. Die fänden sich auch in Teilen von SPD und Union, ergänzt Kiesewetter. „Und es ist ja richtig, es gibt eine alternative Lösung, die da verfängt.“

Die laute: Man müsse deutsche Ingenieurskunst mit russischen Ressourcen verbinden, dann bräuchte es keine Bündnisse wie Nato oder EU. „Es gibt diese Alternative“, so Kiesewetter. „Aber nur als Horror für die Staaten dazwischen.“ Das meint vor allem die Ukraine, Polen und die Balten.

Scholz hat Polen im Regen stehen gelassen

In weiten Teilen Polens, aber insbesondere in den baltischen Staaten und in Tschechien sorge man sich eher wegen eines zurückhaltenden Deutschlands, sagt Kiesewetter später im Gespräch mit dem SÜDKURIER: „Das bedeutet im Umkehrschluss für uns, diesen Vertrauensverlust nicht noch zu befeuern, indem wir energiepolitisch mit Russland zusammenarbeiten.“

Zuletzt hatte Thomas Bareiß, Kiesewetters CDU-Abgeordnetenkollege aus dem Wahlkreis Zollernalb-Sigmaringen, eine Inbetriebnahme von Nord Stream 2 ins Gespräch gebracht. Anders als Kiesewetter wurde Bareiß von der CDU in ein Koalitionsverhandlungsteam berufen.

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In den Beziehungen zu den Osteuropäern habe es schon genug Versäumnisse gegeben, sagt auch Guldimann, der scheidende Kanzler Olaf Scholz (SPD) habe die Polen nach ihrem Regierungswechsel weg von der autoritären PIS-Partei im Regen stehen gelassen.

Junge Menschen nicht in Zwangsdienst pressen

Zurück nach Deutschland: Wie soll die Bundeswehr ihre Personalprobleme lösen, wenn im neuen Bundestag eine Zweidrittelmehrheit für eine neue Dienstpflicht als ausgeschlossen gelten darf? Er setze auf Freiwilligkeit, sagt Kiesewetter hinterher. „Wir könnten natürlich mit einfacher Mehrheit die Wehrpflicht wieder einführen, dann gilt sie für Männer. Wir können aber auch mit einfachem Gesetz Frauen Dienstmöglichkeiten auf freiwilliger Basis anbieten.“

Man sollte nicht 800.000 junge Menschen eines Geburtsjahrganges in einen Zwangsdienst pressen, „das können wir immer noch machen, wenn Not ist“. Solcher Dienst sollte aus Überzeugung geleistet werden. „Das klappt viel besser, wenn gute Angebote, wenn Anreize geschaffen werden: dass Führerscheine gemacht werden können oder eine Schweißerausbildung. Das sind Fähigkeiten, die dann auch die Wirtschaft gebrauchen kann“, so Kiesewetter. Ähnlich machen es etwa die Schweden.

Beim Militärdienst geht es auch um Gerechtigkeit

Bei der Frage, wer dem Militär dient, gehe es aber auch um Gerechtigkeit. „Sollen wir es machen wie Putin und versuchen, Kinder aus ökonomisch schwächeren Familien zu verpflichten, indem wir ihnen das Siebenfache für ihren Militärdienst zahlen? Das würde bei uns bedeuten, dass ein Soldat am Anfang statt 1500 Euro netto 10.500 bekäme“, sagt Kiesewetter.

„Wollen wir so ködern und damit die Reichen aus ihrer Pflicht entlassen, sich für dieses Land einzusetzen? Das sollten wir nicht tun.“ Auch den Wohlhabenden müsse ins Gewissen geredet werden, mitzutun. „Wir werden bereits mit Falschinformationen angegriffen. Dafür brauchen wir auch eine geistige Wehrhaftigkeit – in der Bundeswehr, in den Blaulichtorganisationen, in der ganzen Gesellschaft. Alle müssen ihren Beitrag leisten, da sollte das Militär nicht alleine stehen, es geht um Gesamtverteidigung.“

Was ihn denn nun optimistisch stimmen solle, fragt ein Gast schließlich. Und ein anderer sagt, man bräuchte jetzt eigentlich eine politische Führungsfigur, die eine Mischung aus Bismarck, Karl dem Großen und ein wenig Helmut Schmidt sei – die Vorstellung sorgt für einen kurzen Moment der Heiterkeit in der ansonsten bedrückenden Weltlage, die auch dem Publikum anzumerken ist.