Herr Lindner, kann man Friedrich Merz noch vertrauen?
Das werden die Bürgerinnen und Bürger beurteilen. Frau Merkel jedenfalls hat ihn ja hart zurechtgewiesen. Ich hätte ihm zu den Manövern der vergangenen Woche auch nicht geraten.
Aber im Kern geht es doch darum, dass unser Land eine andere Wirtschaftspolitik bekommt und endlich die Kontrolle, Steuerung und Begrenzung der Migration, die sich die Bürgerinnen und Bürger wünschen. Und das geht nach Lage der Dinge nur in einer schwarz-gelben Zusammenarbeit. Das hat die letzte Woche gezeigt.
Ja, wobei die rechnerisch nicht ganz ausreichen dürfte.
Noch nicht, ich arbeite daran. Aber auch eine Deutschlandkoalition aus CDU, SPD und FDP wäre sicherlich pragmatischer als das, was wir gegenwärtig erleben. Denn die allermeisten Maßnahmen zur Kontrolle bei der Migration scheitern gegenwärtig an den Grünen. So war das in der vergangenen Woche wieder.
Sobald die FDP im Bundestag ist, gibt es keine schwarz-grüne Mehrheit. Dann müsste wohl eine Deutschlandkoalition gebildet werden. Die könnte zumindest besser wirken als Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün.
Ihre Fraktion hat vergangene Woche noch alles versucht, um eine demokratische Mehrheit zu organisieren. Woran ist es letzten Endes gescheitert?
Daran, dass die Grünen den Familiennachzug nicht begrenzen, sondern ausweiten wollen. Also genau das Gegenteil dessen wollen, was die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger will. Wir werden noch einmal einen neuen Verständigungsversuch unternehmen. Die Grünen und auch die Sozialdemokraten weisen ja zu Recht darauf hin, dass das neue europäische Asylsystem als deutsches Gesetz beschlossen werden muss. Dazu wäre die FDP auch vor der Bundestagswahl noch bereit.
In dieses Gesetz sollten aber dann die wesentlichen und guten Punkte aus der vergangenen Woche aufgenommen werden. Das sind Forderungen, die auch von den grünen und sozialdemokratischen Ministerpräsidenten für richtig gehalten werden. Es muss möglich sein, dass man im demokratischen Zentrum unseres Landes solche sachlich sinnvollen Vorschläge gemeinsam beschließt.
Jetzt wird seit Tagen demonstriert, viele Menschen sehen die gemeinsame Abstimmung mit der AfD als Sündenfall. Nehmen Sie das nicht so ernst, oder warum sind Sie da nicht zurückgezuckt?
Wir haben es uns nicht leicht gemacht. Auch Kolleginnen und Kollegen der CDU und der FDP haben an der Abstimmung nicht teilgenommen. Aber ich sehe die Sache so – und so sieht es die FDP auch mit der weit überwiegenden Mehrheit: Einem Antrag einer demokratischen Fraktion, der den Forderungen der FDP entspricht, der Positionen und Vorschläge der Ministerpräsidenten der Länder umfasst, stimmen wir zu. Da machen wir unser Abstimmungsverhalten nicht von der AfD abhängig. Sonst hätte diese ja Macht über uns.
Die eigentliche Frage ist doch, warum Grüne und SPD einem solchen Antrag nicht zustimmen wollen. Das ist doch das Problem. Die AfD wird doch größer dadurch, wenn man offensichtlich notwendige Problemlösungen verweigert.
Vielleicht wird sie aber auch größer dadurch, dass dieses Thema schon wieder zum Haupt-Wahlkampfthema gemacht wurde.
Deshalb habe ich schon im vergangenen Jahr noch als Minister immer für einen Schulterschluss von Union, SPD, Grünen und FDP in dieser Frage geworben. Damals ist es leider an SPD und Grünen gescheitert. Wir geben nicht auf, neue Vorschläge zu machen und jeden Anlass zu nutzen, hier zusammenzukommen.
Tatsächlich bin ich der Auffassung, dass die Wirtschaftskrise, ein belehrendes Verhältnis gegenüber erwachsenen Menschen, das Heizungschaos und die Verweigerung einer geordneten Migrationspolitik die Haupttriggerpunkte für die AfD-Wählerinnen und -Wähler sind. Darunter mag es auch radikalisierte geben, aber es gibt bei 20 Prozent Wähleranteil sicherlich auch viele bürgerliche Wähler, die gemäßigt sind, die das gegenwärtig aus Protest tun, und die müssen wir zurückholen.
Die Tat von Aschaffenburg hat den Wahlkampf völlig umgekrempelt. War es unvermeidlich, die Migration wieder an die erste Stelle der Wahlkampfthemen zu setzen?
Das Problem Migration ist dringend und muss gelöst werden. Aus Sicht der FDP darf darüber aber die Reaktion auf die sich zuspitzende Wirtschaftskrise nicht vergessen werden. Wir haben wieder fast drei Millionen Arbeitslose, eine Million Langzeitarbeitslose, viele gut bezahlte, sicher geglaubte Jobs werden abgebaut. Der Lebensstandard in Deutschland sinkt.
Das ist keine Überraschung, bei fünf Jahren ohne Wirtschaftswachstum. Deshalb brauchen wir darauf eine Antwort. Deutschland hat alles, was man braucht, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Wir sind vor gut zehn, 15 Jahren falsch abgebogen und müssen jetzt unseren Kurs in der Wirtschafts- und Finanzpolitik, auch in der Klima- und Energiepolitik grundlegend korrigieren, damit wir wieder an alte Erfolge anknüpfen können.
Sie absolvieren an 46 Tagen 75 Auftritte im ganzen Land. Weiß man da eigentlich überhaupt noch, wo man sich befindet?
Ja, absolut. Die Veranstaltungen sind sehr motivierend für mich, auch wenn das ein harter, sehr polarisierender Wahlkampf ist. Oft tritt die versammelte Linke gegen die FDP auf. Ausgerechnet diejenigen, die immer sagen, sie sind gegen Hass und Hetze, machen genau das, besonders gerne bei den Protesten gegen mich und die FDP. Offensichtlich provozieren wir sie durch unseren Einsatz für Eigenverantwortung, Freiheit, Leistungsprinzip und privates Eigentum.
Mich motiviert aber, wie viele Bürgerinnen und Bürger in unsere Veranstaltungen kommen, die hören wollen, was wir für eine Wirtschaftswende, mehr Kontrolle der Migration und einen funktionierenden Staat vorschlagen.
Was hat man als Wahlkämpfer für einen Eindruck vom Land? Ist die Stimmung so getrübt, wie das gerade die Rheingold-Studie beschreibt, die ja davon ausgeht, dass die Deutschen ratlos, enttäuscht und voller Verlustängste sind?
Viele Bürger sind sehr verunsichert. Die Menschen sind frustriert, dass man wählen kann, wen man will, und es ändert sich trotzdem nichts. Das ist äußerst gefährlich, weil das die Ränder stärkt. Gerade deshalb versuche ich ja deutlich zu machen: Wählt nicht die Ränder, sondern stärkt die Mitte und auch die FDP, dann ergibt sich die Möglichkeit einer politischen Wende.
Das, was die meisten Menschen wollen, liegt ja auf der Hand und ist umsetzbar. Mit einer Wirtschaftswende und einem Staat, der sich ums Wesentliche kümmert. Die Menschen sind die Bevormundung, die Besserwisserei und die moralische Überheblichkeit leid. Das ist doch keine Raketenwissenschaft.
Nein, aber das hat bei der letzten Koalition auch nicht geklappt.
Ja, weil da wieder zwei linke Parteien dabei waren. Wir brauchen einfach mal wieder eine Regierung, die sich nicht gegenseitig blockiert, sondern die Partner ungefähr in dieselbe Richtung wollen, bei allen Unterschieden im Wettbewerb.
Allerdings sind die Zeiten, als es für dieses Lager gereicht hat, vorbei. Außer man nimmt die AfD mit hinzu.
Da das niemals passieren darf und wird, muss man den Wählerinnen und Wählern der AfD sagen, dass mit jeder Stimme für die AfD die Wahrscheinlichkeit wächst, dass genau die Parteien, die sie nicht in Verantwortung sehen wollen, nämlich Grüne und SPD, in diese Regierungsverantwortung kommen. Paradox, die Leute wählen AfD und bekommen das genaue Gegenteil von dem, was sie wollen.
Ich möchte noch einmal auf Friedrich Merz und seine Glaubwürdigkeit zu sprechen kommen. Merz hatte erst noch im November versprochen, dass es wirklich keinerlei Anträge mit der AfD geben soll. Dieser Aussage hat er nun zuwider gehandelt, ohne Not. Ist es da mit ihm durchgegangen, oder warum tut er so etwas?
Das weiß ich nicht. Aber richtig ist, dass er ohne Not Rot-Grün mobilisiert hat. Die können jetzt mit der Brandmauer-Debatte von ihrer eigenen Konzeptlosigkeit in der Wirtschafts- und Migrationspolitik ablenken. Das hat Friedrich Merz zu verantworten.
Und er hat in seiner eigenen Partei eine Spaltung hervorgerufen. Die zwölf Abweichler bei der Abstimmung aus der Union sind ja nur ein oberflächliches Zeichen. Dass die von der CDU geführten Länder gesagt haben, sie würden das Gesetz nicht mittragen, zeigt, dass die Spaltung in der CDU größer ist. Das hat er ohne Not heraufbeschworen.

Wie erklären Sie sich das?
Ich habe dafür keine Erklärung. Dieses Gesetz und der Antrag, der beschlossen wurde, sind ja nur ganz kleine Bausteine. Entscheidend wird sein, welche Regierung nach der Wahl gebildet wird. Das entscheidet über den weiteren Kurs des Landes, nicht diese Entscheidungen vor der Wahl, die mit Zufallsmehrheit getroffen worden sind bzw. wären.
Schenken wir dem Thema also zu viel Aufmerksamkeit?
Es gibt natürlich ein Interesse daran, im Wahlkampf von SPD und Grünen, dass dieses Brandmauer-Thema groß bleibt. Obwohl ich sagen kann, dass die Brandmauer aus Sicht der FDP absolut intakt ist. Wir unterstützen keine Anträge der AfD, wir wählen keine Kandidaten der AfD, es gibt kein Zusammenwirken mit der AfD. Trotzdem sprechen wir jetzt fast nur über die AfD.
Reden wir über die FDP. Nach den Umfragen ist es gar nicht so unwahrscheinlich, dass es die Liberalen nicht mehr in den Bundestag schaffen. War es dann im Rückblick trotzdem richtig, die Koalition platzen zu lassen?
Ich bin sicher, dass die FDP in den Bundestag gehört. Die Umfragen haben eine Messtoleranz, und die Menschen sind zum großen Teil noch unentschlossen, was sie wählen werden. Die Koalition musste beendet werden, die FDP ist dafür in ein größtes politisches Risiko gegangen.
Wir haben Staatsämter aufgegeben, Nachteile in Kauf genommen. Die Ämter hätte man retten können, aber es wäre zum Schaden unseres Landes gewesen. Wir hätten in Kauf nehmen müssen, dass Deutschland angesichts der Polarisierung im Land und der scharfen Wirtschaftskrise untätig bleibt. Deshalb ist es richtig, dass es jetzt eine neue Wahl gibt.
Reden Sie eigentlich noch mit Volker Wissing?
Ich wünsche ihm alles Gute.
Gerade sind Sie noch Minister gewesen und demnächst womöglich, wenn die FDP rausfliegen sollte, arbeitslos. Haben Sie denn einen Plan B für Ihr Leben?
Machen Sie sich um mich bitte keine Sorgen. Machen Sie sich Sorgen ums Land. Aber auch: wie das Land wäre ohne FDP. Weil wir dann nämlich 2029 eine Wahl haben werden, bei der die AfD womöglich stärkste Kraft wird. Nachdem die CDU mit linken Parteien regiert hat.
Deshalb hat sogar der ehemalige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel neulich gesagt, man müsse für die FDP kämpfen, weil sie das liberale Gegengewicht zu den anderen im Bundestag sei.