Wenn Lydmila Kurienko an Ostern denkt, wird ihr bang ums Herz. Ostern, das ist nicht nur bei den Katholiken der höchste Feiertag, sondern auch in der orthodoxen Kirche, der 70 Prozent der Ukrainer angehören. Auf Ukrainisch spricht man auch vom Großtag. Das Fasten, das ebenfalls 40 Tage dauert, und der Gottesdienstbesuch gehören in der Ukraine noch viel mehr zum Alltag als in Deutschland. Auch bei Menschen, die anders als Lydmila Kurienko sonst nicht so sehr im Glauben verwurzelt sind.
Ein Ort, um für die Gefallenen zu beten
Dieses Ostern ist schon das zweite, das anders wird. Das viele Ukrainer fern der Heimat verbringen, andere getrennt von ihren Familien, von ihren Ehemännern und Vätern in einem Land im Krieg. Und ohne orthodoxe Gemeinde. „Wir würden gerne in Konstanz eine eigene Gemeinde gründen“, erzählt die 42-jährige Kurienko. Räumlichkeiten für Gottesdienste bräuchten sie dazu. „Wir brauchen auch einen Ort, um für die Gefallenen zu beten.“
Lydmila Kurienko hofft auf die Hilfe hiesiger Kirchengemeinden. Und sie ist damit nicht allein. In den Telegram-Kanälen, auf denen sich ukrainische Flüchtlinge austauschen, werde regelmäßig danach gefragt, schildert Lena Theiner, die sich in Radolfzell ehrenamtlich um Ukrainer kümmert. „Die Leute suchen religiösen Halt.“ Ganz besonders an den wiederkehrenden Feiertagen, an denen der Verlust von Normalität besonders schmerzhaft bewusst wird.

Der Bodensee war nicht geplant
Lydmila Kurienko ist eine von drei Frauen, die Lena Theiner zum SÜDKURIER-Redaktionsgespräch gebracht hat. Es soll um das orthodoxe Ostern gehen, das in der Ukraine übrigens nicht in dieser Woche, sondern am 16. April gefeiert wird. Darum, wie es gefeiert wird, und was es für die Frauen bedeutet, fern der Heimat zu sein. Neben Kurienko sind das Inna Vityuk (31) und Hannah Kyrychenko (37).
Die drei sind in den ersten Kriegswochen geflohen, haben Dramatisches erlebt. Alle haben ihre Kinder dabei, der Hauptgrund für ihre Flucht. Dass sie in Südbaden landen würden, war so nie geplant. Auch nicht, dass sie so lange bleiben würden. Gepackt haben sie gar nicht, weil die Bomben das unmöglich machten, oder nur einen Rucksack, weil sie dachten, dass sie nach ein paar Wochen zurückkehren würden. Es kam anders.
Drei Frauen, drei Fluchtgeschichten – das haben Lydmila Kurienko, Inna Vityuk und Hanna Kyrychenko erlebt



Tausende Kilometer vom Kriegsgeschehen entfernt
Doch die Frauen, die da um den Redaktionstisch sitzen, machen keinen gebrochenen Eindruck, sind keine Opfer. Alles andere als das. Sie besuchen Deutschkurse, leider reichen die Kenntnisse noch nicht aus, um in ihren Berufen Arbeit zu finden, und die Kinder haben sie längst überflügelt.
Sie haben sich Wohnungen gesucht, die Kinder besuchen Schule, Musikschule und Sportverein. Und sie haben sich eine Aufgabe gesucht: Sie wollen helfen, dass dieser Krieg gewonnen werden kann. Auch wenn sie sich Tausende von Kilometern vom Kriegsgeschehen entfernt befinden.

Sie besticken Stofftaschen, kreieren kunstfertige Broschen und Ketten, malen Postkarten und backen Leckereien aus ihrer Heimat. Jetzt zu Ostern sind es die süßen Osterbrote, Paska, mit viel Zuckerguss dekorierte Kuchen, außerdem kunstvoll bemalte Ostereier und Grußkarten im Osterdekor. Kunsthandwerk und Gebäck verkaufen sie regelmäßig an einem Stand in Radolfzell.
Was dabei an Geld zusammenkommt, wird in Generatoren, Nachtsichtgeräte, Verbandskästen, Medikamente, Decken oder Kinderkleidung investiert und zusammen mit Sachspenden in die Ukraine geschickt.
Medizinprodukte werden gebraucht
Hannah Kyrychenko ist Kardiologin und steht in Kontakt mit ehemaligen Mitstudenten, die an der Frontlinie ärztliche Versorgung leisten. Die wissen, was gebraucht wird. Genauso wie die Angehörigen in Charkiw, wo Inna Vityuk ihr Zuhause Hals über Kopf verlassen musste. In der Ukraine haben sie sich ein Netzwerk aufgebaut, kooperieren mit einer Hilfsorganisation aus Stuttgart und einem polnischen Netzwerk.

Was sie in die Heimat schicken, wird fein säuberlich dokumentiert. Das Ultraschallgerät, das eine hiesige Praxis gespendet hat, zum Beispiel. Von allem gibt es Fotos, die in sozialen Netzwerken öffentlich gemacht werden. „Es ist ihnen sehr wichtig, zu zeigen, dass jede Spende ankommt“, sagt Lena Theiner.
Der Wunsch nach einem Spender-Netzwerk
Bislang sind es einzelne Personen, die spenden. Dafür sind die Frauen extrem dankbar, wie überhaupt für die Unterstützung der Deutschen, deren Hilfsbereitschaft sie immer wieder betonen. „Das werden wir euch nie vergessen, davon werden wir noch unseren Enkeln erzählen“, sagt Hannah Kyrychenko.
Für ihre Heimat aber wollen sie mehr tun, ein Netzwerk aufbauen, mit Arztpraxen, Rehakliniken und Krankenhäusern in Kontakt treten. Sie haben eine Liste mitgebracht mit den Dingen, die zu Hause am dringendsten benötigt werden: Verbandsmaterial, Spritzen, Desinfektionsmittel sind darauf notiert, aber auch Rollstühle, Krücken, Sterilisatoren, tragbare Ultraschallgeräte und EKG-Geräte.
Sie tun das alles für ihr Land, aber auch für die eigene Moral. „Man fühlt sich besser, wenn man helfen kann“, sagt Inna Vityuk. „Es gibt ihnen Halt, dass sie persönlich etwas für ihr Land tun können“, erklärt Lena Theiner. Hannah Kyrychenko hat sich oft gefragt, wie lange der Krieg noch geht und wie lange sie noch bleiben. Belastend, weil sie keine Antwort weiß. „Ich kann nur auf die Frage Antwort geben: Was kann ich heute tun, damit der Sieg so schnell wie möglich kommt?“ Das ist darum aktuell ihre Lebensmaxime.
Während der Krieg im zweiten Jahr angekommen ist, lässt die Aufmerksamkeit für die Ungeheuerlichkeit im Osten Europas allmählich nach. Die Berichterstattung in den Medien ist nicht mehr so ausgiebig. Auch die Hilfe, beobachten die Ukrainerinnen, lasse nach. „Man gewöhnt sich sogar an den Krieg“, stellt Stanislav Karnatsevych, der für die Damen übersetzt. Leider sei dieser für die Menschen in der Ukraine genauso schrecklich wie zu Beginn.

Auch wenn sie die Deutschen in einer Tour loben, hört man eine Bitte heraus – nicht nachzulassen. Nie sei es wichtiger gewesen, die Ukraine zu unterstützen, weil diese sonst aufhöre zu existieren, sagt Kyrychenko. „Es ist nicht die Zeit, sich auf die Schulter zu klopfen.“
Wer mehr Informationen zu den Spendenaktionen haben möchte, kann Hannah Kyrychenko per E-Mail kontaktieren: Kirdamam@i.ua