Spannungen gibt es auf der Welt genug, seit Kremlchef Putin sein Nachbarland überfallen hat und der Osten Europas in Flammen steht. Ein weiteres Großfeuer braucht niemand. Und doch wird weiter gezündelt: Diesmal ist es die Führung in Peking, die mit Einmarsch droht. Taiwan, die Insel der Demokratie vor der Küste Chinas, hat allen Grund, um Frieden und Unabhängigkeit zu bangen. Fünfeinhalb Monate nach dem russischen Angriff auf die Ukraine steht der Westen im Fernen Osten vor derselben Grundsatzfrage. Was tun? Die Chinesen von einem Angriff abschrecken und Beistandserklärungen abgeben, so wie die USA dies tun? Oder lieber zurückrudern, beschwichtigen, nicht provozieren? So wie Russland ist auch China eine Atommacht.

Die Regierung in Peking ist sich ihres Drohpotenzials bewusst, deshalb setzt sie es unverhohlen ein. „Wer mit dem Feuer spielt, wird daran zugrunde gehen“, soll Staatspräsident Xi Jinping am Telefon zu US-Präsident Joe Biden gesagt haben, um den Besuch von Bidens Parteifreundin Nancy Pelosi zu verhindern. Im Streit um diese Reise spiegelt sich das ganze Dilemma des Taiwan-Konflikts. Taiwan versteht sich als unabhängiges Land und hält es für sein gutes Recht, einzuladen, wen es will. China sieht das anders. In den Augen Pekings ist Taiwan eine abtrünnige Insel, die es einzugliedern gilt – zur Not mit Gewalt. Jeder Besuch eines ausländischen Politikers wird vor diesem Hintergrund als Provokation aufgefasst. Soll man vor einem derart imperialen Herrschaftsanspruch einknicken? Die USA als traditionelle Schutzmacht Taiwans sagen Nein. Ihre Verbündeten in Europa sind da weniger sicher.

Möglicherweise zwingt Chinas Staatschef sie zu einer klareren Haltung. Die Frage sei nicht, ob China in Taiwan einmarschiert, sondern wann, sagt der US-Geheimdienst CIA. Die Gründe liegen, so wie in Russland auch, in den Machtmechanismen eines diktatorisch regierten Staates. Das chinesische Wirtschaftswunder ist schon vor Jahren zusammengebrochen, zu verantworten hat das Desaster der Mann an der Spitze, Präsident Xi Jinping. Der Kampf gegen einen äußeren Feind gibt dem angeschlagenen Machthaber die Gelegenheit, vor dem Volk das Gesicht zu wahren. Deshalb nimmt seine Armee Taiwan in den Würgegriff – eine Lage, die fatal an den Vorabend des Ukraine-Kriegs erinnert.

Ob Chinas Führung ernst macht, entscheidet sich somit in Peking, nirgendwo sonst. So wie in der Ukraine muss sich der Westen auf ein unsanftes Erwachen gefasst machen. Erneut wären umfassende Sanktionen fällig, diesmal gegen die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt. Sie schneiden noch tiefer ins eigene Fleisch als die Vergeltungsmaßnahmen gegen Putin. Wieder einmal muss Deutschland erkennen, dass es sich wirtschaftlich allzu sorglos von einer Diktatur abhängig gemacht hat. Ähnlich unbequem ist die Frage nach Waffenlieferungen, die auf die Länder im Westen zukommt, sollte sich China zu einem Einmarsch entschließen. Die USA haben sich schon vor 40 Jahren vertraglich dazu verpflichtet, die Europäer müssten es ausdiskutieren.

Für Xi Jinping ist somit noch vieles offen. In den Augen Washingtons ist Taiwan zwar das wichtigste Bollwerk, um den neuen Erzfeind China daran zu hindern, sich in Asien wirtschaftlich und militärisch weiter auszubreiten. Trotzdem hat Präsident Biden allen Grund, eine Kraftprobe zu fürchten. Die Folgen für die Weltwirtschaft wären katastrophal, der militärische Erfolg ungewiss. Für einen Zweifrontenkrieg, so sagen Fachleute, sind Amerikas Streitkräfte definitiv zu schwach.

Eine Spur zu vollmundig

Viele Beistandsversprechen, die derzeit die Runde machen, klingen daher eine Spur zu vollmundig. Jedes System der Abschreckung entfaltet nur dann seine Wirkung, wenn kein Zweifel daran besteht, dass den Worten Taten folgen. Das ging im Fall Putins schief und ist im Fall Pekings keineswegs ausgemacht. Der Westen kämpft in diesen Konflikten auch um seine Glaubwürdigkeit. Gerade deswegen wird er herausgefordert.

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