Aus, vorbei, Amen: Die Schweiz bricht die Verhandlungen über ein Rahmenabkommen mit der Europäischen Union einseitig ab – ohne auch nur ansatzweise einen konkreten Plan B zu präsentieren. Dieser Entscheid ist unverständlich und riskant.
Unverständlich, weil eine so zentrale Frage in einer direkten Demokratie nicht abschließend von einer notorisch zerstrittenen Regierung gefällt werden sollte. Der Bundesrat hätte den Vertragstext zumindest dem Parlament zuleiten können und damit eine breitere demokratische Debatte ermöglicht. Politisch riskant ist der Abbruch, weil die Schweiz nun auf Gedeih und Verderb vom Wohlwollen der EU abhängig ist.

Faktisch war die Abhängigkeit der Schweiz nie größer
Es ist die Ironie der Geschichte: Die Nationalisten und Souveränisten mögen heute triumphieren. Christoph Blocher dürfte sich in seinem Herrliberger Garten eine gute Flasche Zürcher Landwein genehmigen. Doch faktisch war die Abhängigkeit der Schweiz von der EU nie größer als nach diesem Verhandlungsabbruch.

Warum? Brüssel hat dem kleinen Partner einen anständigen Mechanismus angeboten, wie man politische Differenzen künftig hätte regeln können. Die Schweiz hätte dabei stets die Möglichkeit gehabt, Entwicklungen auch nicht mitzumachen. Die in diesem Fall vorgesehenen Gegenmaßnahmen der EU wären von einem Schiedsgericht auf ihre Verhältnismäßigkeit überprüft worden. Dieser Mechanismus hätte den Kleinstaat vor der Willkür des viel größeren Partners wirksam geschützt.
Bleibt die EU pragmatisch und vernünftig?
Nun aber ist die vermeintlich so unabhängige und souveräne Schweiz vollständig den Launen der EU ausgeliefert. Bleibt Brüssel pragmatisch und vernünftig, dann könnte sich der Sturm dereinst wieder legen. Natürlich hat auch die EU ein Interesse an guten Beziehungen zu ihrem viertwichtigsten Handelspartner. Ganz ausgeschlossen ist ein solch milder Verlauf nicht.
Doch es wäre naiv, die Bedeutung der Schweiz zu überschätzen. Die EU ist für Bern viel wichtiger als umgekehrt. Und: Die EU hat im Prinzip ganz andere Sorgen, als sich weiterhin ausführlich mit den renitenten Eidgenossen und deren Sonderwürsten herumzuschlagen: Russland, die Türkei, die Migration, der Klimawandel, China, um nur die wichtigsten Herausforderungen zu nennen. Es gibt keine Garantie, dass in Brüssel die Tauben die Oberhand behalten werden, die sich mit der Schweiz auch ohne Rahmenvertrag verständigen wollen.
Wie ein Computer ohne Systemupdate
Es deutet im Gegenteil vieles darauf hin, dass die EU ihre Drohungen wahr machen wird. Der bilaterale Weg ist, so wie wir ihn kennen, am Ende. Neue Verträge gibt es keine mehr. Bestehende verlieren Schritt für Schritt an Wert. Wie ein Computer, der kein Systemupdate mehr erhält. Dies hat potenziell sehr negative Folgen für die kleine, offene schweizerische Volkswirtschaft und damit unseren Wohlstand. Niemand ist so stark mit Europa verbandelt wie die Schweiz. Niemand profitiert auf allen Ebenen so stark vom europäischen Binnenmarkt.
Das Heimtückische ist, dass die Erosion der aktuell idealen Rahmenbedingungen schleichend vonstattengehen wird. Die EU wird nicht übermorgen mit einem Paukenschlag die Schweiz abstrafen und die Grenzen dichtmachen. Viel eher kommen da Prozesse in Gang, welche die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Schweiz mittelfristig substanziell schmälern.
Niemand weiß, wie es weitergeht
Irgendwie werden Bern und Brüssel miteinander kutschieren müssen. Die Bekenntnisse des Bundesrats zu einer guten Zusammenarbeit mit Brüssel sind aber wohlfeil. Logisch, versucht man nun, den großen Nachbarn zu beschwichtigen. Mit dem heutigen Tag ist mehr denn je klar: Das Schicksal der Schweiz wird in Brüssel verhandelt. Ohne Schweizer Beteiligung.