Das Gezerre um die Juraprofessorin Frauke Brosius-Gersdorf geht weiter – leider. Statt dass die Union über ihren Schatten springt und die von der SPD vorgeschlagene Kandidatin mitträgt, wie das ursprünglich gemeinsam beschlossen wurde, will man nach der geplatzten Wahl am 11. Juli im Bundestag die Causa jetzt intern klären.

Brosius-Gersdorf lehrt als Professorin für Öffentliches Recht an der Universität Potsdam, ihre Schriften sind öffentlich und sie hat sich im Richterwahlausschuss des Bundestags vorgestellt. Die Unionsabgeordneten wussten also durchaus, um wen es sich bei der 54-Jährigen handelt.

Ihre liberale Haltung zum Abtreibungsrecht, ihre Befürwortung eines Parteienverbots gegen die AfD und für eine Impfpflicht in der Pandemie sind kein Geheimnis. Aber statt sich eingehend mit ihren Positionen zu beschäftigen, saß man einem Plagiatsjäger auf und ließ sich von Falschbehauptungen leiten, die vor allem aus der rechten Ecke kamen, anstatt diese zu prüfen, ehe man die Kandidatin öffentlich angreift und diskreditiert.

Als die Kandidatin mit tadellosem Ruf sich durch die sozialen Medien gezerrt sah, als „Linksextremistin“ tituliert wurde und der Bamberger Erzbischof Herwig Gössl von einem „Abgrund der Intoleranz und Menschenverachtung“ bezüglich ihrer Person sprach, trat sie zu Recht die Flucht nach vorn an.

Der Bamberger Erzbischof Herwig Gössl rudert nach seiner Predigt zurück und gesteht seinen Fehler ein.
Der Bamberger Erzbischof Herwig Gössl rudert nach seiner Predigt zurück und gesteht seinen Fehler ein. | Bild: Sven Hoppe, dpa

Sie stellte sich klar und sachlich den Fragen von Markus Lanz in dessen Talkshow. Und sprach einen entscheidenden Punkt an, nämlich den „Rollenwechsel“, der sich mit dem Tag vollzieht, an dem sie die rote Robe der Verfassungsrichter tragen würde. Es handelt sich dabei eben gerade nicht mehr um wissenschaftliches Arbeiten, sondern um die Ausfüllung eines juristischen Amtes am höchsten deutschen Gericht.

Natürlich bringt jede Kandidatin und jeder Kandidat bestimmte Positionen und wissenschaftliche Einordnungen mit. Innerhalb des Gerichts geht es jedoch nicht um politische Einstellungen, sondern um die juristische Einordnung bestimmter Fälle, die an das Gericht zur Entscheidung herangetragen werden.

Klare Positionen sind bei Kandidaten ganz normal

Selbstverständlich vertreten die Kandidaten und späteren Richter klare Positionen, handelt es sich doch um juristisch höchst kompetente Experten. Und wer könnte zuvor wissenschaftlich gearbeitet und Veröffentlichungen vorgelegt haben, ohne sich zu gesellschaftlich relevanten Themen zu positionieren?

Gerade die Verfassung eröffnet Ermessensspielräume, die es auszulegen gilt. Jede Richterin und jeder Richter am Bundesverfassungsgericht muss persönliche Auslegungen mit den anderen diskutieren, ehe das Gremium zu einem mehrheitlich getroffenen Beschluss kommt. Dass die kollektive Auseinandersetzung vor dem Hintergrund eigener juristischer Ansichten und persönlicher Lebenswege geschieht, ist ganz normal.

Kein Problem bei Ex-Politikern

Am Ende tragen Richter mitunter auch Positionen mit, die sie zuvor anders beurteilt haben. In der Vergangenheit wurden immer wieder Politiker Mitglieder eines der beiden Senate, wie beispielsweise Roman Herzog, der zuvor Kultus- und Innenminister in Baden-Württemberg war und seine CDU-Mitgliedschaft nach seiner Berufung ruhen ließ. Oder Peter Müller, der als ehemaliger CDU-Ministerpräsident des Saarlandes auch hinter Urteilen stand, die der Union missfielen.

Bei Stephan Harbarth, dem Präsidenten des Verfassungsgerichts, hatte die Linkspartei Vorbehalte geäußert, dass amtierende Politiker (auch er saß zuvor für die CDU im Bundestag) als Richter in Interessenkonflikte kommen könnten.

Doch das Bundesverfassungsgericht ist von der Distanz zur Politik geprägt. Es wacht über die Einhaltung des Grundgesetzes und bestimmt, wo der Staat handeln darf und wo ihm Grenzen gesetzt sind. Außerdem genießt es höchstes Ansehen – in der Politik und der Bevölkerung. Durch ein solches Unions-Hickhack nimmt es Schaden.

Zu denken geben sollte CDU/CSU auch, dass sich nur 24 Prozent der Deutschen laut einer Forsa-Umfrage für einen Rückzug von Frauke Brosius-Gersdorf aussprechen – bei den Unionswählern sogar nur 23 Prozent.